Kapitel 39

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„Du willst also bei mir wohnen?" Frederik sitzt wie in einem Verhör auf einem Stuhl vor meinem Bett. Seine Arme hat er vor der Brust verschränkt und er mustert mich etwas arrogant. „Naja... mit wollen hat das glaube ich nicht so viel zu tun..." rutscht es mir leise nuschelnd heraus und ich rechne schon mit dem schlimmsten, aber zu meiner Verwunderung muss ich erkennen, wie Frederik anfängt, leicht zu grinsen. „Schade. Ich dachte, du hättest gut geschlafen in dem Bett" er löst seine Arme vor seiner Brust, beugt sich nach vorne und stützt seine Ellenbogen auf seinen Oberschenkeln ab. Sein Kinn stützt er auf seine Hände. „Das habe ich auch" Ich ziehe mir die Decke bis unter die Nase, da ich etwas rot werde. „Weißt du... Paul ist einer meiner besten Freunde. Und ich merke, wie wichtig es ihm ist, dass du einen Platz zum schlafen hast. Verständlich. Und dass er auch weiß, dass es dieses Mal ein sicherer Platz ist. Die Frage ist nur: siehst du es denn auch als sicheren Platz?" fragt er, aber ich schüttle ehrlich den Kopf. „Nein. Ich kenne dich nicht. Oder nur schlecht. Ich kann dich nicht einschätzen... mal bist du super freundlich, dann wieder kalt, arrogant und abweisend... ich weiß nichts über dich... nur, dass du Arzt bist, dass Paul dich kennt, wo du wohnst und dass du ein weiches Bett hast" antworte ich. „Aber Paul sagt, ich wäre gut aufgehoben bei dir... also muss es stimmen" setze ich hinterher. „Immerhin war das eine ehrliche Antwort" seufzt Frederik und lehnt sich wieder zurück auf seinem Stuhl. Ich schweige. „Okay. Ich kann dir nur anbieten, vorerst bei mir zu wohnen. Denn ich möchte sowohl dir, als auch Paul diesen Gefallen tun. Er ist nämlich wirklich am Boden zerstört. Ich denke, es würde euch beiden etwas Last von den Schultern nehmen. Ob du es annimmst oder nicht, musst du selber entscheiden" Frederik steht auf und verlässt das Zimmer ohne ein weiteres Wort. Ich blinzle ihm verwirrt hinterher.

Paul kommt am Abend noch mal zu mir rein. „Elisabeth geht es den Umständen entsprechend gut. Sie ist mental fix und fertig, aber körperlich geht es ihr gut. Sie hat schon unzählige Male nach dir gefragt, darf aber wie du auch erst morgen wieder nach Hause" verkündet er mir. Ich nicke. „Ich habe mit Frederik ausgemacht, dass ihr beide für die erste Nacht erst mal bei mir bleibt. Ich sammle euch also morgen beide ein, wir fahren zu mir, bestellen abends was zu essen und dann machen wir einen Plan. Ist das okay?" er legt sich neben mich aufs Bett. Ich nicke wieder. „Du bist müde, oder?" „ich bin einfach... ich weiß nicht. Am liebsten würde ich sterben. In meinem Kopf ist so viel los!" antworte ich, während ich weiterhin an die Decke starre. Auch Paul schaut angestrengt nach oben, greift jetzt aber nach meiner Hand. „Sterben ist keine Lösung. Es wird alles wieder gut werden. Jakob sitzt nach wie vor in Untersuchungshaft und er wird auch so schnell - beziehungsweise gar nicht - wieder frei kommen. Aber du musst dir helfen lassen. Was du erlebst hast, ist schlimm. Das kannst du nicht mit dir alleine ausmachen. Rufe deine alte Therapeutin an, oder suche dir eine neue. Du wirst sonst dauerhaft darunter leiden. Auch wenn du jetzt noch am wenigsten davon merkst. Hörst du?" er wendet seinen Blick jetzt doch auf mich. Ich nicke ein drittes Mal mit einem dicken Kloß im Hals. „Du hast Angst, oder?" er dreht sich auf die Seite zu mir. „Sehr" flüstere ich. Er legt seinen Arm über mich und streichelt mit seinem Daumen über meine Seite. „Das musst du nicht. Ich halte immer zu dir. Egal was passiert" er rutscht so nah es geht zu mir rüber und drückt seine Nase in meine Haare. „Wann musst du nach Hause?" ich drehe mein Gesicht in seine Richtung. „Gar nicht. Anna ist heute Nacht bei ihren Eltern. Sie hat darauf bestanden, dass ich bei dir bleibe. Als sie mitbekommen hat, was geschehen ist, war sie genauso schockiert und mitgenommen. Sie meinte, du würdest mich wohl brauchen, also soll ich hier bleiben" erklärt er. „Danke" schniefe ich, drehe mich jetzt ebenfalls zu ihm und weine leise gegen seine Brust. „Lass alles raus. Das hilft" flüstert er und streichelt mir sanft über den Rücken. Eine gefühlte Ewigkeit liegen wir so da und ich weine so sehr, dass Pauls Shirt innerhalb weniger Sekunden komplett nass ist. Aber sein Geruch und die Wärme sind irgendwie beruhigend. Gegen Mitternacht schlafe ich kraftlos an Paul gekuschelt ein.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, ist Paul verschwunden. Stattdessen sitzt Frederik vor meinem Bett. „Oh mein Gott..." Murmel ich schlaftrunken und drehe mich auf die andere Seite. „Guten morgen! Ich freue mich auch dich zu sehen! Sag, hast du dich entschieden? Nur dass ich weiß, ob ich noch was vorbereiten muss" er steht auf und läuft um das Bett herum, sodass er wieder in meinem Blickfeld ist. „Ja, ich nehme das Angebot an" Murmel ich nach wie vor im Halbschlaf. „Alles klar. Dann bis morgen!" er dreht sich um und geht. Das war alles? Dafür hat er mir womöglich schon ewig beim schlafen zugeschaut? Verrückt. Ich döse weiter vor mich hin, bis die morgendliche Visite - ziemlich laut polternd und ohne Rücksicht auf schlafende Verluste - herein geplatzt kommt. Die Ärzte tauschen ein paar Worte aus, die ich nicht einmal verstehe und verschwinden dann wieder. Anschließend holt Paul mich wie versprochen ab und zusammen gehen wir auf die Station, auf der Elisabeth liegt. Als wir ihr Zimmer betreten, schlägt mir mein Herz bis zum Hals und mir ist extrem schlecht. Sie hat bereits alles zusammengepackt und sitzt ungeduldig auf dem Bett. „Da seid ihr ja! Emilia..." sie starrt mich mit glasigem Blick an, steht auf und schließt mich in ihre Arme. „Es tut mir so leid!" auch sie entschuldigt sich tausende Male, was es mir nicht unbedingt einfacher macht. „Ich werde das alles irgendwie wieder gut machen! Verzeihe mir bitte! Ich schäme mich sehr für meinen Mann" sie lässt mich aufgelöst wieder los und küsst mich auf die Wange. „Schon okay" ich wende mich murmelnd direkt von ihr ab, da ich es nicht schaffe, ihr in die Augen zu schauen. Immerhin geht es hier um ihren Mann. Das hat sie richtig festgestellt. Es geht um den Mann, den sie damals in der Oberstufe kennen und Lieben gelernt hat. Mit dem sie so oft versucht hat Kinder zu bekommen, es aber nie geschafft hat. Bis sie mich ausgesucht haben. Der Mann, den sie geheiratet hat, der ihr versprochen hat, immer treu und an ihrer Seite zu sein. Der Mann, mit dem sie das gemeinsame Haus gebaut haben. Das alles und noch vieles mehr. Sie schaut mir traurig hinterher, aber ich bekomme es gar nicht erst mit, da ich bereits bei den Aufzügen bin, als sie gemeinsam mit Paul das Zimmer verlässt. Ich will so schnell wie möglich weg von hier!

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt