Drei Monate später.
Es ist Anfang Oktober.„Hey.... Ich bin wieder zurück" rufe ich wie immer vom Flur ins Haus, als ich von der Schule zurück komme. Ohne auf eine Antwort zu warten, ziehe ich mir meine Schuhe und die Jacke aus, verräume alles in die Garderobe und springe die Treppen nach oben in mein Zimmer. Ich werfe mich aufs Bett und schließe meine Augen. Heute fühle ich mich so müde wie schon lange nicht mehr. Der Tag war unglaublich kräftezehrend. Es klopft leise an meiner Tür. „Hey... wie war dein Tag? Sorry, ich wollte dich eigentlich nicht gleich überfallen, aber wie war deine erste Sitzung?" fragt Frederik vorsichtig, als er die Tür geöffnet hat. Ich öffne meine Augen wieder. „War gut" antworte ich nur so kurz und knapp wie immer. „Trotz neuem Psychologen?" Frederik mustert mich eindringlich. „Ja. Es war gut" wiederhole ich und merke, wie reizbar ich bin. „Hast du Hunger? Sollen wir was kochen?" „ich habe keinen Hunger, danke" ich drehe mich weg von ihm auf die Seite. „Du hast nie Hunger, wenn ich dich frage. Und du hast echt schon genug abgenommen! Das kann so nicht weiter gehen! Ich mache mir riesige Sorgen! Und der Rest auch... Paul und Elisabeth und Anna und..." weiter kommt er nicht, weil ich ihn unterbreche. „Es geht mir gut. Aber ich habe keinen Hunger" wiederhole ich, ohne mich zu ihm zu drehen. Ich weiß, wie nett er ist und wie viel Mühe er sich gibt, dennoch geht es mir aktuell so schlecht, dass ich nicht mal mehr kraft zum reden, beziehungsweise diskutieren habe. Ich habe ganz genau für gar nichts mehr kraft. Ich bin froh, wenn ich meine Schultage schaffe, ohne dabei einzuschlafen. „Okay" Frederik schnaubt und verschwindet wieder. Nachdem meine Albträume im letzten viertel Jahr immer schlimmer wurden, musste ich doch einsehen, dass es so nicht weiter geht. Ich hatte die Hoffnung, es würde sich alles von alleine wieder erledigen und gut werden, sobald ich mich jemandem anvertraut habe, aber genau das Gegenteil ist passiert. Ich ziehe die Decke über mich und knipse das Licht aus. Trotz dass es erst 18.30 Uhr ist, schlafe ich innerhalb weniger Sekunden tief und fest ein.
Nachts wache ich schwer atmend auf, wobei ich nicht genau weiß, was mich geweckt hat. Mein Shirt ist klatschnass und ich zittere am ganzen Körper. Mir ist heiss und kalt zugleich. Ich suche im Dunkeln nach dem Lichtschalter, bevor ich ihn aber erreiche, geht die Tür mit einem Mal auf. „Was ist los?! Ist alles okay?" Frederik macht das Licht an und starrt mich besorgt an. „Was?" nuschel ich und beuge mich aus dem Bett, um mich plötzlich zu übergeben. „Ohje... du hast ganz laut geschrien..." erklärt Frederik und hält mir meine Haare zurück. „Entschuldigung... ich habe nicht gemerkt, dass mir schlecht ist" Murmel ich beschämt und schlage meine Decke zur Seite. „Alles gut... aber... du bist ja ganz nass... was ist passiert?" er setzt sich neben mich aufs Bett. „Ich... nur schlecht geträumt... wie immer" Presse ich hervor und bevor er etwas weiteres sagen kann, bin ich im Bad verschwunden, um mich ein zweites Mal zu übergeben. Unglaublich, was die Psyche alles mit uns machen und in uns auslösen kann! „Ohje... du siehst wirklich gar nicht gut aus! Willst du kurz duschen? Das tut bestimmt gut... Ich mache das in der Zeit weg..." Frederik taucht hinter mir auf und zeigt in die Richtung meines Zimmers. „Nein... ich... ich mache das schnell..." lalle ich leicht taumelnd und will an ihm vorbei, aber er versperrt mir den Weg. „Nein. Du atmest jetzt bitte kurz durch! Ich mache das" er schaut mich so ernst an, dass ich merke, dass diskutieren nicht möglich ist. „Danke" schniefe ich und gehe zurück zur Dusche. Er verlässt das Zimmer und schließt die Tür hinter sich. Ich ziehe mir die nassen, klebrigen Klamotten vom Körper und schmeiße sie direkt in die Waschmaschine. Dann stelle ich mich unter das heisse Wasser. Mit geschlossenen Augen genieße ich die Wärme und den frischen Geruch meines Shampoos in der Kabine und merke, wie es mir von Sekunde zu Sekunde wieder etwas besser geht und ich unter die Lebenden zurück kehre. „Ich habe dein Bett frisch bezogen... es war auch komplett nass" erklärt Frederik mir, als ich das bad verlasse und er mir gerade im Flur entgegen kommt. „Danke!" sage ich erneut und versuche die Tränen in meinen Augen weg zu blinzeln. In meinem Zimmer sammle ich die alte Wäsche vom Boden ein und bringe sie ebenfalls ins Bad zur Waschmaschine. „Ich will nicht, dass es komisch klingt... aber wenn du nicht alleine schlafen willst, weil du Angst hast... dann... kannst du auch gerne jederzeit rüber kommen... dass es heute Nacht so schlimm war, ist bestimmt wegen deinem ersten Mal darüber reden heute seitdem das alles passiert ist... das gehört zum Prozess mit dazu... ich wollte auch eigentlich nicht einfach so rein kommen... aber ich wusste nicht, ob es was ernstes ist... du hast mich mit deinem Schrei sehr erschrocken" erklärt Frederik leicht stotternd, als er plötzlich hinter mir in der Tür steht. „Oh... ich... danke..." mehr schaffe ich nicht zu sagen. „Ich habe dir ein Glas Wasser auf deinen Nachttisch gestellt... du kannst deine Türe auch gerne für den Rest der Nacht offen lassen" fährt er fort. Ach, warum ist er nur so unbeschreiblich süß manchmal? Ich nicke und versuche ein schluchzen zu unterdrücken. Womit habe ich seine Hilfe nur verdient? „Dann... Schlaf gut... und melde dich wenn was ist!" er lächelt kurz und geht zurück in sein Schlafzimmer. Alleine schlafen macht mir tatsächlich Angst, aber bei ihm schlafen?! Bei einem immer noch fremden Mann in einem fremden Bett? Nach allem was geschehen ist? Alleine der Gedanke löst eine Gänsehaut auf meiner Haut aus. Ich schüttle mich leicht, mache alle Lichter hinter mir aus und gehe zurück in mein Zimmer. Als ich nach zwei Stunden immer noch angsterfüllt wach liege, beschließe ich, über meinen Schatten zu springen.
DU LIEST GERADE
Herztöne (3)
FanfictionGeschrieben: 2021 ••• Emilia ist gerade einmal 13 Jahre alt, da geben ihre Eltern sie aus unbekannten Gründen von heute auf morgen in ein Heim und zur Adoption frei. Der Schock sitzt tief, aber auch sie muss lernen, dass das Leben einfach weiter geh...