Kapitel 42

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Ich klettere aus meinem Bett und tapse auf Zehenspitzen den dunklen Flur entlang zu Frederiks Schlafzimmer. Seine Tür ist angelehnt und wie so oft kann ich die Stimmen seines Fernsehers bis nach draußen hören. Mein Herz schlägt so stark, dass es mir gefühlt fast aus der Brust springt und ich kann das Blut in meinen Ohren rauschen hören. Aber was habe ich schon zu verlieren? Schlimmer kann es sowieso schon kaum noch werden. Ich klopfe unsicher und als kurz später die Stimmen verstummen, öffne ich vorsichtig die Tür. „Ich glaube... ich... würde auf dein... Angebot... zurück kommen... also... natürlich nur, wenn es... für dich okay ist!" stottere ich blass und starre angestrengt an die Wand hinter dem Bett über ihm. „Oh! Ja klar! Komm rein!" Frederik setzt sich auf und rutscht von der Mitte des Bettes rüber auf die linke Seite. Ich schließe die Tür hinter mir und gehe zögernd aufs Bett zu. Es ist das erste mal, dass ich in diesem Raum bin. Aber das Zimmer ist genauso schön und modernd wie der Rest dieser kleinen Villa. Ich lege mich schüchtern auf die rechte Seite und ziehe die Decke über mich. „Konntest du nicht schlafen?" Frederik dreht sich zu mir auf die Seite. Als ich bemerke, dass er nicht einmal ein Shirt an hat, merke ich, wie Panik in mir aufsteigt. „Kannst du... kannst du... bitte..." stammel ich mit aufgerissenen Augen und zeige auf seine Brust. Ich weiß nicht, warum es mir so viel ausmacht und es kommt mir auch wirklich Albert vor, unterdrücken kann ich es dennoch nicht. „Oooooh! Ja klar! Entschuldige bitte!" er steht auf, geht zum Schrank und zieht sich sowohl ein Shirt, als auch eine Jogginghose an. „Danke" ich merke, wie ich rot werde. „Kein Problem" er lächelt sanft und legt sich wieder zurück zu mir. „Jetzt bist du mehr wie Paul und nicht wie Jakob" erkläre ich beschämt. „Ich verstehe. Ich wähle Paul" er zwinkert und betrachtet mich dann. „Weißt du... im Moment läuft irgendwie alles schief..." ich schaue mit Tränen in den Augen an die Decke. „Ja. Das merke ich. Und ich würde dir so gerne helfen, aber ich weiß nicht wie" „das weiß ich auch nicht. Alle meine Probleme haben sich bisher immer mit einer Umarmung von Paul oder Elisabeth lösen lassen. Aber im Moment irgendwie nicht..." ich wische mir die Tränen von den Wangen. „Willst du eine Umarmung haben? Vielleicht würde dir das nach all den Wochen weder Paul noch Elisabeth sehen gut tun... wenn du willst" er blinzelt nicht ein Mal. Ich drehe meinen Kopf zu ihm und erwidere seinen Blick mit einer Mischung aus Skepsis und Unbehagen. „Okay" flüstere ich irgendwann und rutsche zu ihm rüber. Er breitet seine Arme aus und legt sie fest um mich. Meine Nase drücke ich gegen sein T-Shirt, welches unbeschreiblich gut riecht! Seine ausstrahlende Körperwärme lässt mich nach einigen Minuten deutlich müder werden. „Ich weiß, ich komme mit Sicherheit nicht an Pauls Umarmungen dran, aber vielleicht hilft es dir ja trotzdem..." sagt Frederik leise und streichelt mir durch die Haare. Ich nicke abwesend. „Vielleicht schaffst du es ja sogar, ausnahmsweise mal wieder auszuschlafen... das wäre doch ein guter Start ins Wochenende" fährt er ruhig fort und wieder nicke ich. „Hast du frei?" entgegne ich fast schon hoffnungsvoll, weil ich dann nicht ungewollt geweckt werden würde wenn er aufsteht und dieses Mal ist er es, der nickt. „Danke, dass du da bist und mir so hilfst... ich fühle mich einfach nur nicht wohl in der Gegenwart von fremden Menschen" erkläre ich schuldbewusst. „Okay. Was hast du dieses Wochenende vor?" er lässt mich los und rutscht ein Stück weg von mir. „Nichts" Ich zucke leicht mit den Schultern. „Okay. Dann lernen wir uns dieses Wochenende mal etwas kennen und bringen dich auf andere Gedanken. Dann bin ich hoffentlich nicht mehr fremd und du kannst dich hier etwas mehr entspannen. Ich muss auch erst am Montag wieder arbeiten" teilt er mir mit. „Okay..." „und ich beiße dich nicht. Versprochen" er zwinkert wieder und ich muss schwach lächeln. „Aber ich verstehe es auch nach allem, was du durchgemacht hast. Und ich bewundere, wie du das trotzdem alles schaffst" „lass uns bitte über etwas anderes reden" bitte ich ihn mit belegter Stimme und er nickt. „Schlafen?" ich nicke und warte, bis er das Licht ausgemacht hat, dann Kuschel ich mich wieder vorsichtig an ihn. „Gute Nacht!" er legt seine Decke über meine zusätzlich drüber und umarmt mich fest. „Gute Nacht!" nuschel ich müde zurück und schließe meine Augen.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, liegen wir nahezu unverändert da. Wir liegen beide auf der Seite zueinander hin gedreht. Mein Gesicht ist immer noch gegen Frederiks Brust gedrückt und er hat seine Arme fest um mich gelegt. Seine Wange drückt leicht auf meinen Kopf, aber nicht so, dass es unangenehm ist. Zugegeben: eine ganze Nacht durfte ich nicht einmal mit Paul bisher kuscheln. Außer die Nacht im Krankenhaus - aber da war er ja schon weg, als ich morgens wieder aufgewacht bin. Ich bewege mich bemüht vorsichtig, wecke Frederik damit aber scheinbar direkt. „Guten Morgen... ist alles okay?" er fährt mit seiner Hand über meinen Rücken und dreht sich dann etwas weg. Ich nicke verschlafen und setze mich auf, um auf seinen Wecker schauen zu können. Er folgt meinem Blick. „Halb zehn" stellt er lächelnd fest. „Wow!" hauche ich und lasse mich zurück auf die Matratze fallen. „Ausschlafen hat also geklappt" ich sehe, wie sehr er sich darüber freut. „Ja... und soll ich dir was sagen? Heute morgen habe ich sogar ausnahmsweise mal Hunger..." „Ja das ist auch kein Wunder. Deine letzte Mahlzeit war gestern Mittag. Und die bestand aus einer einzigen Banane!" schimpft er und fährt sich gekonnt durch die Haare. „Ich weiß" nuschel ich wieder schüchtern und setze mich doch wieder auf. „Komm, wir gehen richtig lecker frühstücken!" bestimmt Frederik und steht auf. „Wie?" frage ich verwirrt und beobachte ihn, wie er sich eine Jeans und ein Poloshirt, sowie frische Unterwäsche aus dem Schrank holt. „Na wir suchen uns ein leckeres Kaffee, bestellen was richtig gutes zu essen und quatsche etwas. Oder essen einfach nur. Wie du willst. Ich gehe mal schnell duschen" verkündet er mit seinen Sachen in der Hand und verschwindet. Ich bleibe irritiert zurück. Frühstücken also. Wenn das erst der Anfang vom Wochenende ist, weiß ich gar nicht, was noch alles kommen soll. Trotzdem freue ich mich irgendwie darauf.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt