Kapitel 69

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„Naja... wir waren früher viel zusammen unterwegs... während er noch in Ausbildung war und ich als Student an der Uni... vor allem am Wochenende in sämtlichen Clubs und Bars. Und während Paul bis heute noch der etwas schüchternere von uns beiden ist, war ich irgendwie immer... etwas... offener..." er kratzt sich verlegen hinterm Ohr. „Heißt?" ich blinzle nicht ein Mal. „Naja... irgendwie hatte ich mehr einzelne Nächte als Beziehungen und wenn ich mal eine Beziehung hatte, war die irgendwie immer nur... von kurzer Dauer" „was heißt ‚mehr einzelne Nächte'? Reden wir von einer in der Woche? Eine im Moment? Eine im Jahr?" ich ziehe meine Augenbrauen hoch. „Ähm... vielleicht so... ein bis zwei in der Woche...?" er wird rot und ich sehe, wie unangenehm ihm dieses Gespräch ist. „Über welchen Zeitraum reden wir?" frage ich weiter. „Drei bis vier Jahre denke ich... wobei es natürlich auch Phasen gab, wo ich gar nicht unterwegs war!" verteidigt er sich sofort. „Wie viele Beziehungen hattest du schon?" immer mehr habe ich das Gefühl, Pauls Polizei-Job durch mein Verhör zu übernehmen. „Sechs. Und meine ONS habe ich nach fünfzig aufgehört zu zählen" letztes gibt es zerknirscht zu. „FÜNFZIG?!" frage ich schockiert und merke, wie ich blass werde. „Naja... ich war halt viel unterwegs!" versucht er sich zu rechtfertigen. „Ich glaube, ich habe keinen Hunger mehr" murmel ich, stehe auf und gehe hoch ins Schlafzimmer. „Hey... die letzten beiden Jahre hatte ich mit niemandem was! Du bist die erste seit langer zeit!" er läuft mir hinterher. „Das macht es nicht besser, dass ich Nummer 93 oder was weiß ich wie viel bin... wahrscheinlich war das bei unserem letzten richtigen Treffen gar nicht so besonders und perfekt für dich, wie du es behauptet hast, oder?!" ich schaue ihn mit Tränen in den Augen an. „Doch! Das war es! Ich meine es ernst! Ich... könnte mir auch niemals vorstellen, wieder mit so vielen anderen etwas zu haben! Allgemein mit jemand anderem kommt für mich aktuell nicht in Frage... das war doch immer alles ohne Gefühle! Und auch nur eine Phase... Aber gegenüber dir habe ich Gefühle - Ich habe dich wahnsinnig gerne und du bist mir unwahrscheinlich wichtig! Ohne dich könnte ich mir kein Leben mehr vorstellen! Niemand zuvor hat jemals so lange und so intensiv bei mir gelebt, meine Eltern hat noch keine kennengelernt und auch für ein Praktikum habe ich noch niemanden überredet... du bist etwas besonderes für mich!" er will meine Hand nehmen, aber ich ziehe sie weg. „Ich bin müde" teile ich ihm mit und ziehe mich kurzerhand um. Er stöhnt frustriert und verlässt den Raum wieder. Manchmal ist es eben doch nicht gut, alles über einen Menschen zu wissen. Und jetzt kann ich auch Pauls Sorgen verstehen.
Frederik kommt erst spät ins Bett, aber ich liege immer noch wach. Er zieht sich leise aus und stolpert dann leicht taumelnd zum Bett. Oh nein... rieche ich da etwa Alkohol?! „Hast du getrunken?" frage ich schockiert und er nickt in der Dunkelheit. „Dein ernst? Du weißt, dass ich das seit Jakob nicht leiden kann! Das ist das allerletzte!" flüstere ich mit erstickter Stimme, schnappe mir mein Handy und die Klamotten vom Boden und verschwinde ins Gästezimmer. Wie kommt er auf die Idee, sich betrunken zu mir ins Bett zu legen nach allem was passiert ist?! Er kennt die Geschichte doch! Schluchzend lege ich mich in das kalte Bett, in dem ich ursprünglich hier schlafen sollte und rolle mich klein zusammen. Wenig später höre ich Frederik, wie er sich im Badezimmer nebenan übergibt. Dann bleibt es für den Rest der Nacht ruhig.

Am nächsten morgen klopft es ganz früh an meiner Tür. Ich habe keine Minute geschlafen, spät kann es aber auch noch nicht sein. Ich tippe auf irgendwas zwischen 4 und 5 Uhr. Es klopft noch einmal, dann öffnet sich die Tür einen Spalt. „Darf ich rein kommen?" fragt Frederik leise, aber ich antworte nicht. „Bist du überhaupt wach?" flüstert er weiter, aber wieder antworte ich nicht. Er kommt rein, schließt die Tür hinter sich und legt sich mit Abstand neben mich aufs Bett. „Es tut mir so leid! Ich kann meine Vergangenheit nicht mehr ändern, aber ich will es in Zukunft besser machen! Ich wollte dich nicht verletzen!" flüstert er leise schluchzend und fährt mit seinen Fingerspitzen über meinen Arm. Ich merke, wie ich mich zusammenreißen muss, um still liegen zu bleiben. „Du bist mir doch so wichtig! Ich würde ALLES für dich tun! Dir mein Leben anvertrauen..." flüstert er und nimmt im Dunkeln meine Hand. Ich hingegen tue weiterhin so als würde ich schlafen. „Bitte verlasse mich niemals!" schnieft er und küsst mich auf den Handrücken. Dann steht er wieder auf und verschwindet leise. Ich atme tief ein und wieder aus. Ich warte ein paar Minuten, dann beschließe ich, ihm hinterher zu gehen.

„Hey... darf ich rein kommen?" frage ich dieses Mal in das schwach beleuchtete Zimmer, in dem Frederik gerade leise den Fernseher eingeschaltet hat. „Ich bitte darum!" er wischt sich ein paar Tränen von den Wangen und rutscht ein Stück zur Seite. Ich lege mich neben ihn unter die Decke und betrachte ihn. „Ich habe dich aber nicht geweckt, oder?" fragt er, aber ich schüttle den Kopf. Immerhin weiß ich offiziell gar nicht, dass er da war. „Sorry, ich wollte gestern Abend nichts trinken... aber ich konnte nicht anders... ich habe nicht darüber nachgedacht, was ich damit mache" erklärt er. „Schon okay... kannst du nicht schlafen?" frage ich scheinheilig und er zuckt mit den Schultern. „Nicht wenn mein Bett so leer ist, obwohl es eigentlich voll sein könnte... und zwar mit meiner liebsten Mitbewohnerin und besten Freundin auf dieser Welt" antwortet er. Ich merke, wie ich etwas rot werde. „Tut mir leid... ich wollte dich mit meiner Vergangenheit nicht so enttäuschen! Vor allem nicht, wo du immer noch nicht wieder richtig fit bist!" „ist schon okay... du kannst es ja eh nicht mehr ändern" Murmel ich. Er dreht sich zu mir auf die Seite und beobachtet mich im Schein des Fernsehers. „Du siehst echt kaputt aus!" stellt er fest und ich muss leicht lächeln. „Danke" ich drehe mich ebenfalls zu ihm und er legt seinen Arm über mich drüber. „Vertragen wir uns wieder?" fragt er und ich nicke. „Im Moment bist DU das wichtigste in meinem Leben und ich will auch keinen Kontakt zu jemand anderem haben! Nicht mal ein kleines ‚Hallo' oder irgendwas. Nur dich!" beteuert er. Ich rutsche zu ihm rüber und Kuschel mich an ihn. „Schön, dass du wieder zuhause bist!" flüstert er und küsst mich auf die Stirn. „Danke" lächle ich und schließe meine Augen.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt