Kapitel 68

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„Hallo mein Schatz! Willkommen auf der normalen Station!" begrüßt Elisabeth mich lächelnd, als ich meine Augen wieder aufmache und streichelt mir durch die Haare. Ich lächle schwach zurück und versuche mich etwas zu strecken. „Achtung, du hast noch mehr Besuch" flüstert sie zwinkernd und als ich über meine Schulter nach hinten schaue, sehe ich die beiden Streithähne von eben mit jeweils vor der Brust verschränkten Armen in zwei unterschiedlichen Ecken sitzen. Ich wende meinen Blick wieder zu Elisabeth und versuche ruhig zu bleiben. „Geht es dir wieder besser?" fragt sie und ich nicke. „Wenn alles gut geht, darfst du Ende der Woche wieder nach Hause" lächelt sie sanft. „Nach Hause? Was heißt das?" frage ich, da ich gar nicht richtig weiß, wer oder was eigentlich mein Zuhause ist. „Entweder zu mir... oder zurück zu Frederiks Eltern... oder zu ihm... oder ganz alleine in eine Wohnung... dorthin, wo du dich am wohlsten fühlst" erklärt sie mir. Ich schließe erschöpft meine Augen. Ich spüre plötzlich eine Hand von hinten auf meiner Schulter und öffne meine Augen wieder. Es ist Paul. „Es tut mir leid wegen vorhin! Ich habe das nicht gewollt... du musst selber wissen, wo es dir mit wem am besten geht... du bist alt genug und das vergesse ich immer wieder... verzeihe mir bitte" erklärt er mir aufgelöst. Ich nicke schwach. Er dreht sich um und verlässt das Zimmer wieder. „Ich lasse euch mal alleine" zwinkert Elisabeth und an ihrer Stelle lässt sich Frederik auf den Stuhl fallen. Als die Tür zu ist, atmet er tief ein - und wieder aus. „Sollte ich im Nachhinein betrachtet irgendetwas in dieser Nacht getan haben, was du...." fängt er an, aber ich unterbreche ihn, indem ich meinen Kopf schüttle. „Ich würde gerne wieder zu dir ziehen... was meine nächtliche Angst angeht werden wir wohl von vorne anfangen müssen, aber... ich brauche dich als Freund!" flüstere ich. Er steht auf, schiebt mich vorsichtig ein Stück zur Seite und legt sich dann neben mich aufs Bett. „Du darfst natürlich zurück kommen! Das habe ich dir damals ja schon versprochen" er küsst mich vorsichtig auf die Stirn. „Ich wollte nicht, dass du wegen mir so Angst hast... und so kaputt gehst..." flüstere ich mit tränenerstickter Stimme und drücke mein Gesicht gegen seine Brust. „Nein, du kannst dafür ja nichts. Und ich hoffe, das haben sie Psychologen dir bereits klar gemacht!" protestiert er. „... er hat sich einfach umgebracht! Erst meine Eltern... dann hat er es bei mir versucht und dann sich. Direkt vor meinen Augen... einfach so!" schluchze ich. „Ich weiß... das muss fürchterlich gewesen sein! Aber es ist vorbei! Ein für alle Male!" Er streichelt mir über die Schulter. „Ich will so schnell wie möglich hier raus! Ist Paul noch sauer?" schniefe ich und Frederik seufzt. „Ich fürchte schon... ja" „lasse dir bitte nichts von ihm einreden... du hast keine Schuld und hast mich auch zu nichts überredet!" „Das hoffe ich doch!" er schließt müde seine Augen. „Ich hoffe, Miriam denkt jetzt nicht, ich wäre nur wegen ihr nicht mehr gekommen" kichere ich mit einem Mal und auch er muss grinsen. „Ich glaube nicht... ich habe sie seitdem aber selber auch nicht mehr gesehen, weil ich nicht zur Arbeit bin" antwortet er. „Ich glaube, ich muss noch mal schlafen" gähne ich. „Ja, das machst du. Viel schlafen lässt dich schneller gesund werden" nickt er und deckt mich zu. Ich drehe mich auf die Seite weg von ihm und schließe meine Augen. So schnell wie in diesem Moment bin ich noch nie eingeschlafen.

Fünf Tage später werde ich endlich entlassen. Paul verkündet mir mich abzuholen und nach Hause zu bringen, da Frederik und Elisabeth arbeiten müssen. „Paul... wir müssen echt noch mal reden!" sage ich vorsichtig, als wir vor Frederiks Haus ankommen. Er hat mir seine Schlüssel mitgegeben, dass ich überhaupt rein komme. Er seufzt und reibt sich müde übers Gesicht. Wahrscheinlich weil er weiß, was jetzt kommt. „Ich hab's verstanden! Ich werde mich nicht weiter äußern bei allem, was Frederik und dich angeht... dass ich nicht begeistert bin, dass du wieder hier bist nachdem ihr nicht mal darüber geredet habt, was das jetzt eigentlich zwischen euch ist, ist dir klar. Oder?!" er schaut etwas schlecht gelaunt zu mir rüber. „Wo ist denn das Problem?! Im schlimmsten Fall war es etwas einmaliges!" „zweimaliges. Schlimm genug, dass ich das weiß" murmelt Paul und zieht seine Augenbrauen düster zusammen. Ich seufze. „Wir sind einfach gut befreundet! So wie du und ich auch!" „nein. Denn du und ich haben nie miteinander geschlafen!" protestiert er. „Ja. Weil wir uns auch schon ewig kennen... Du bist mein bester Freund - wenn du mich nicht verstehst und unterstützt, wer dann?" ich merke, wie meine Stimme langsam anfängt zu zittern. „Er ist Arzt. Er ist fast zehn Jahre älter als du. Er lebt in einem schnöseligen Haus. Das sind alles Voraussetzungen, um Herzen zu brechen!" „ach. Und das macht man neuerdings vom Beruf abhängig? Oder vom Alter? DU bist genauso alt wie er. Und eigentlich sein Freund. Zumindest dachte sowohl ich das, als auch er" antworte ich enttäuscht. „Das ist er ja auch! Aber er hatte noch nie eine Beziehung, die länger als ein halbes Jahr ging! Dafür aber gleich umso mehr..." „das ist nicht unser Problem. Das ist seine Sache und umso besser wäre es doch, wenn wir jetzt nur ganz normal befreundet sind" schnaube ich. „Ich will doch nur nicht, dass du... zu seiner... Sammlung dazu gehörst!" Paul greift fast schon ängstlich nach meiner Hand. Wie er Frederik darstellt, macht die Situation nicht unbedingt besser. „Ich muss mich jetzt etwas ausruhen... meine Bettruhe habe ich nicht umsonst verordnet bekommen" Murmel ich und öffne die Autotür. „Emilia...!" ruft Paul mir noch hinterher, aber ich schmeiße die Tür hinter mir zu und verschwinde ins Haus. Im Flur hole ich direkt mein Handy raus und schreibe Frederik.

„Hey, ich bin jetzt bei dir... können wir heute Abend mal reden?"

Ich atme tief durch, dann ziehe ich mir Schuhe und Jacke aus und gehe ins Wohnzimmer, wo ich es mir auf dem Sofa bequem mache. Frederik kommt mit etwas Verspätung, jedoch mit zwei Pizzakartons unterm Arm nach Hause. „Hey! Ich hoffe, dein Reden ist nicht ernst?" Begrüßt er mich und stellt die Kartons auf den Wohnzimmertisch. Ich schüttle leicht den Kopf und warte, bis er alle Sachen abgestellt hat und sich zu mir gesetzt hat. „Also? Was gibts?" fragt er und nimmt sich einen der Kartons. Ich hoffe tief Luft. „Warum hat Paul Angst, dass ich zu deiner ‚Sammlung' dazu komme aufgrund deiner Frauen-Vergangenheit?" frage ich und mustere ihn eindringlich. Er murmelt kurz etwas unverständliches, denkt kurz nach und fängt dann an zu erzählen.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt