Kapitel 84

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Am nächsten Morgen realisiere ich beim aufwachen zum ersten Mal, was am Vortag eigentlich überhaupt geschehen ist. Und zum ersten Mal kann ich nichts tun, außer mich einfach nur darüber zu freuen. Ich habe so hart dafür gearbeitet und jetzt hat es auch noch in so jungen Jahren geklappt! Elisabeth hat recht - ich muss diese Chance nutzen! Wie ein Honigkuchenpferd mache ich mich fertig für die Arbeit, komme pünktlich und gut gelaunt im Café an, fahre direkt nach der Arbeit weiter zu Paul und Anna (wobei Paul auf der Arbeit ist und ich bis abends auf ihn warten muss - Jonas freut sich dafür umso mehr über die Aufmerksamkeit, die er von mir bekommt), denen ich die großen Neuigkeiten verkünde und die auch direkt mit mir darauf im Garten mit einem Sekt anstoßen und anschließend fahre ich zurück nach Hause, wo Elisabeth schon auf mich wartet. „Endlich Wochenende!" seufzt sie als Begrüßung und rührt in den Töpfen auf dem Herd herum. „Oh ja! Aber... ich bin so voller Tatendrang! Ich will so viel es geht in den nächsten beiden Tagen erledigen!" grinse ich und ernte dafür einen überraschten Blick von Elisabeth. „Sag bloß, du freust dich jetzt doch?!" „Na klar freue ich mich! Ich glaube... es hat nur ein paar Stunden überdenken gebraucht" ich kichere. „So gut gelaunt habe ich dich lange nicht mehr erlebt! Aber umso besser - dann fahren wir morgen los, um deine Möbel zu kaufen" sie strahlt und holt zwei Teller aus der Schublade. Gemeinsam essen wir und schauen dann einen Film auf Netflix, bevor ich mich ins Bett verabschiede. Es ist der erste Abend, an dem meine Alltagsgedanken die Sehnsucht nach Frederik überdecken. Und dementsprechend schnell schlafe ich ein und ich schaffe es sogar richtig auszuschlafen.

Die nächsten zwei Wochen vergehen wie im Flug: drei Tage vor meiner Abreise nach Baden-Württemberg sagt mir die Uni eines der Studentenzimmer zu, meine Aufgaben bekomme ich alle erledigt und da ich weiterhin montags bis freitags im Café arbeite, schaffe ich es sogar, noch ein bisschen mein Konto zu füllen. Elisabeth lässt es sich nicht nehmen, mich Freitags nach der Arbeit zusammen mit Paul und einem voll beladenen Sprinter wegzufahren. Der Moment, in dem wir Köln verlassen, tut unwahrscheinlich weh. Beide haben mir versprochen, Frederik nicht zu erzählen, dass ich jetzt weg bin und was ich mache - auf der einen Seite beruhigt es mich irgendwie, auf der anderen Seite schmerzt es. Wenn er jemals wieder mit mir reden wollen würde, wäre ich jetzt nicht mehr da. Mit Tränen in den Augen starre ich aus dem Fenster, während Elisabeth und Paul sich lachend unterhalten. Nach Dreieinhalb Stunden erreichen wir den riesigen Wohnkomplex der Uni und mit weichen Knien gehe ich nach drinnen an die Anmeldung, wo mich eine freundliche Dame erwartet. Ich nenne ihr meinen Namen und schneller als ich schauen kann, habe ich die Papiere unterschrieben und halte den Schlüssel zu meiner Wohnung in der Hand. „Danke!" nuschel ich und gehe wieder nach draußen. „Oh wow! Das ging schnell!" staunt Paul, der gerade auf seinem Handy herumtippt. „Ja... ich bin so aufgeregt!" gestehe ich und springe von einem Bein aufs andere. „Dann lass uns direkt hoch gehen... die meisten scheinen wohl erst morgen oder übermorgen anzureisen..." stellt Elisabeth fest, denn auf dem Parkplatz ist es ziemlich leer. Ich schnappe mir meine ersten Taschen, genau wie Elisabeth und Paul und zusammen quetschen wir uns in den Aufzug und fahren ins 5. Stockwerk. Das Gebäude ist mehr als nur renovierungsbedürftig, aber irgendwie gefällt es mir. „Die hinterste scheint deine / eure Wohnung zu sein" verkündet Paul, der uns voraus geht und zeigt auf die letzte Wohnungstür auf der linken Seite. Ich nicke leicht und schließe auf. Drinnen erwartet uns eine sehr schlichte, kleine Küche, ein schäbiges Badezimmer und drei Schlafzimmer, wobei eines schon bewohnt zu sein scheint. „Oh, du scheinst jemanden aus einem höheren Semester bei dir zu haben!" stellt Elisabeth entzückt fest. „Suche dir schnell das schönere von beiden Zimmern aus!" grinst Paul und schaut abwechselnd in beide rein. Ich entscheide mich kurzerhand für das etwas größere und hoffe, dass der dritte Bewohner es mir nicht übel nehmen wird. „Jetzt schaut euch mal dieses tolle Wetter und diesen tollen Balkon an!" schwärmt Elisabeth und öffnet eine große Glastür in meinem Zimmer, die direkt raus führt. Alle drei Zimmer scheinen Zugang zum Balkon zu haben und sogar ein Tisch mit sechs Stühlen steht schon da. „Ich glaube, du hättest es deutlich schlimmer erwischen können!" meint Paul und streichelt mir über den Rücken. „Hoffentlich sind die anderen beiden nett!" Murmel ich müde. „Bestimmt! Komm, lass uns mal alles hochbringen... das Bett sollten wir heute noch aufbauen, sonst hast du keinen Platz zum schlafen!" Paul nimmt mich an der Hand und zieht mich wieder runter, während Elisabeth sich weiter umschaut. Tatsächlich ist es schon relativ spät und bald wird die Sonne untergehen. Und da ich weiß, was wir die nächsten beiden Tage noch alles aufbauen und erledigen müssen, trage ich die Kisten und Kartons in Rekordzeit nach drinnen. Pünktlich um 22 Uhr haben wir das Bett aufgebaut und bezogen, genau wie meinen Schreibtisch und den Stuhl und eine Lampe an der Decke montiert. „Vielen dank euch!" Ich setze mich lächelnd auf das Bett. „Gerne! Willst du wirklich alleine hier bleiben die erste Nacht?" Elisabeth sieht besorgt aus. Ich kichere. „Ich bin 19 Jahre alt und werde jetzt wohl öfter alleine hier schlafen müssen... ich schaffe das!" versichere ich ihr. „Und wenn nicht schreibe ich!" setze ich schnell hinterher, als sie den Mund öffnet, um etwas weiteres zu sagen. Sie lächelt schwach. „Wir sehen uns morgen früh bei euch zum Frühstück!" ich umarme sie und auch Paul. „Alles klar. Dann schlafe gut!" Paul erwidert die Umarmung und auch Elisabeth kurz später. Zehn Minuten später sind beide in das Hotel verschwunden, in dem sie die nächsten beiden Nächte verbringen werden. Und ich ziehe mich nur noch um, lege mich ins Bett und schlafe so schnell ein wie selten zuvor in meinem Leben.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt