Kapitel 74

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„Hey... was machst du denn hier?!" fragt Frederik schockiert, als er ins Behandlungszimmer rein kommt. „Ich... meine Hand..." schluchze ich und lasse das Tuch von der helfenden Schwester weg machen. „Ach herrje... was hast du angestellt? Warst du nicht bei deiner Prüfung?!" Frederik rollt auf seinem weißen Hocker zu mir rüber. „Doch... eben fertig geworden... ich... das ist davor passiert" erkläre ich und versuche mir die Tränen mit dem Ärmel meines anderen Arms weg zu wischen. „Das sieht ja gar nicht gut aus! Das müssen wir auf jeden Fall Röntgen lassen, tut mir leid!" murmelt er abwesend, während er meine Hand vorsichtig dreht und wendet und hin und her bewegt. „Wie ist das passiert?" fragt er weiter, nachdem er die Schwester raus geschickt hat, um in der Radiologie anzurufen. „Ich bin gestürzt" Lüge ich. Er schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und ich sehe, dass er mir kein Wort glaubt, jedoch belässt er es dabei. „Sie kann direkt hoch" verkündet die Schwester, als sie wenig später zurück kommt und ich stehe auf. „Soll ich mitkommen?" fragt Frederik sofort, aber ich schüttle den Kopf. „Ich finde den Weg. Danke!" ich gehe an ihm vorbei zu den Aufzügen und merke wie eine riesige Last von mir fällt, als sich die Türen hinter mir schließen.

Eine halbe Stunde später komme ich zurück in die Notaufnahme. „Ich habe ganz arg schlechte Nachrichten für dich... die Hand ist tatsächlich gebrochen" Frederik schaut mich traurig an, als ich wieder im Zimmer auf der Bank Platz genommen habe. „Ne, oder?!" Ich klinge so ungläubig wie selten zuvor. „Aber immerhin muss es nicht operiert werden... da reicht ein Gips" vermutlich denkt er, die Nachricht würde es besser machen und mich etwas aufmuntern. „Wir machen das jetzt schnell... und dann hole ich dir ein Taxi, damit du nach Hause kannst" Frederik sucht zusammen mit der Schwester alle Materialien zusammen und ich schaue fasziniert zu, wie sie meine Hand fachgerecht versorgen. „So. Fertig!" verkündet Frederik zwanzig Minuten später stolz und rollt ein Stück weg von mir. „Danke" ich hole leicht schluchzend Luft. „Nicht weinen! Komm, ich gebe dir noch ein paar Schmerzmittel. Zuhause weißt du ja, wo sie sind" er geht zum Schrank und reicht mir zwei Tabletten, sowie ein Glas Wasser. Ich nehme beides schweigend zu mir. „Willst du noch kurz hier sitzen bleiben oder direkt nach Hause?" „nach Hause" bitte ich ihn. Er hilft mir hoch von der Bank und legt seine Arme um sich. „Ruhe dich etwas aus bis heute Abend... und dann gehen wir zur Feier schick essen. Und morgen buchen wir unseren Urlaub" er küsst mich auf die Stirn. „Ich... muss dir etwas sagen" Murmel ich und er schaut mich fragend an, als ich aber gerade anfangen will zu erzählen, geht die Tür auf. „Frederik? Patient mit Zustand nach Rea" verkündet die Schwester nur knapp und Frederik stöhnt. „Wir reden später, okay?" er legt seine Hände um meine Wangen und küsst mich sanft, dann verschwindet er. Ich versuche nicht wieder zu weinen und mache mich auf den Weg nach Hause.

Frederik kommt am frühen Abend zurück. Ich habe meinen Nachmittag damit verbracht, alles über Geburten, Abtreibungen, Schwangerschaften und Zukunftsängste zu googeln. Viel Zeit, um mich zu entscheiden, bleibt mir aber nicht. „Hi! Na, was macht die Hand?" fragt Frederik und kommt zu mir zum Sofa. „Deine Medikamente... die waren ganz schön krass" Murmel ich müde und halte meine Gips-Hand in die Luft. „Oh echt? Dann bist du vielleicht nur nichts gewohnt" grinst er. „Hast du Hunger?" setzt er hinterher und ich nicke - auch wenn ich seit heute morgen gar keinen Appetit habe und am liebsten einfach weglaufen würde. Aber die Übelkeit in meinem Magen vor Hunger ist mittlerweile so groß, dass ich das Gefühl habe, mich jede Minute übergeben zu müssen. „Ich habe beim Italiener reserviert... aber wenn du lieber auf etwas anderes Lust hast?" er begutachtet den Gips an meiner Hand. „Nein. Italienisch ist gut" ich setze mich vorsichtig auf und reibe mir die Augen. „Dann mache ich mich mal fertig" Frederik steht auf und verschwindet wieder. Wie soll ich ihm bloß diese große Neuigkeit verkünden? Verkünde ich es ihm überhaupt? Ich bleibe kurz sitzen und als er wieder die Treppe runter kommt, mache ich mich oben ebenfalls fertig. „Hey... du kannst gerne schon mal im Auto warten... ich komme in zwei Minuten" rufe ich irgendwann runter und zu meiner Erleichterung macht Frederik, was ich ihm sage. Nachdem die Haustür ins Schloss gefallen ist, schnappe ich mir mein Handy und rufe in Rekordzeit bei meiner Frauenärztin an. Ich erkläre der Sprechstundenhilfe wie dringend es ist und zu meiner Erleichterung bittet sie mich, direkt am nächsten Tag vorbei zu kommen. Irgendwie erleichtert lege ich ich wieder auf und mache mich auf den Weg zum Auto.

„Also? Was gibts? Was wolltest du mir sagen?" fragt Frederik sanft, als wir gerade vom Hof fahren, aber ich zucke unschuldig mit den Schultern. „Ich habe es irgendwie vergessen... war wohl nicht so wichtig" antworte ich fast schon gelangweilt und schaue angestrengt aus dem Fenster. „Dann lass uns einfach den Abend genießen. Und auf dein Abitur anstoßen!" grinst er stolz und greift nach meiner Hand. Ich streichle zögerlich mit meinem Daumen über seinen Handrücken und versuche mich nur auf unser anstehendes ‚Date' zu konzentrieren. Und in der Tat schaffe ich es zumindest für die kommenden zwei Stunden meine Sorgen und Gedanken komplett auszuschalten und den Abend und das Essen zu genießen. Nur das anstehende Gespräch bei meiner Ärztin will auf der Rückfahrt nicht aus meinem Kopf.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt