Kapitel 37

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„DAS DARF DOCH ALLES NICHT WAHR SEIN! WARUM HAST DU NIE ETWAS GESAGT?! WARUM?" schreit Paul wütend, kommt auf mich zu und schüttelt mich unsanft an den Schultern. Ich öffne meinen Mund um etwas zu sagen, aber es kommt nicht mehr als ein schluchzen raus. Er lässt mich wieder los und zieht mich in seine Arme. „Warum hast du nichts gesagt?" flüstert er mit Tränen in den Augen, während ich mich an ihm festhalte. Nach einer gefühlten Ewigkeit lässt er mich wieder los. „Wir fahren da jetzt sofort hin!" schnaubt Paul nach wie vor wutentbrannt und stapft in den Flur. „Nein! Paul, das wäre nicht gut und das weißt du auch!" ermahnt Frederik ihn und läuft ihm hinterher. „NICHT GUT?! UND WAS IST DAS, WAS ER GEMACHT HAT?! ER IST MEIN BESTER FREUND! Nein... MEIN BESTER FREUND IST EIN MONSTER!" schreit Paul ihn an und sorgt damit dafür, dass Anna aus dem Büro zwei Türen weiter kommt. Auch ich komme raus in den Flur. „Was ist denn hier los?" fragt sie entsetzt, aber Paul winkt sie mit einer kurzen Handbewegung ab. „Wir fahren da jetzt sofort hin!" zischt er und verlässt damit das Haus. Ich lasse mich von Frederik an der Hand schnappen und schluchzend zum Auto ziehen. „Wir fahren auf jeden Fall hinterher. Eigentlich wollte ich genau diese Situation vermeiden, aber das hat nicht so ganz geklappt..." stellt er fest. „Ich will da nicht hin!" heule ich und raufe mir die Haare. „Tut mir leid" entgegnet Frederik nur und fährt Paul hinterher, der wie ein gestörter durch die Straßen fährt. „Wenn das die Polizei sieht..." murmelt Frederik und wäre die ganze Situation nicht so heikel, würde ich über diesen unwahrscheinlich schlechten Witz sogar lachen. Trotzdem schafft er es ihm auf den Fersen zu bleiben und sagenhafte zehn Minuten später kommen wir vor dem Haus von Jakob und Elisabeth an. Anstatt sich durch die Klingel aufhalten zu lassen, poltert Paul durch den Garten. Gefolgt von Frederik und mir.

„WAS IST KAPUTT IN DEINEM HIRN?! DU BIST DAS WIDERLICHSTE ARSCHLOCH, DAS ICH JE GESEHEN HABE!" schreit Paul und geht auf Jakob zu. „Was?!" fragt dieser nur verwirrt, wird aber blass, als er auch Frederik und mich sieht. „WIE KANNST DU SO ETWAS WIDERLICHES TUN?! DU WARST MEIN BESTER FREUND! ICH HABE DIR VERTRAUT! MIT DIR GEHÖRT GENAU DAS SELBE GEMACHT! DAS IST DEINE TOCHTER! DU..." weiter kommt er nicht, weil er Jakob wie mich eben schon an den Schulter nimmt und ihn mit aller kraft gegen die Wand schubst. „Ich weiß gar nicht, wovon ihr redet!" flüstert er ängstlich und schaut zu Elisabeth, die kreidebleich in der Tür steht. „Was ist hier los?" haucht sie, während Paul Jakob weiterhin fixiert. „WAS HIER LOS IST?! DEIN MANN IST EIN VERGEWALTIGER! EIN RIESIGES ARSCHLOCH UND EIN SCHWEIN NOCH MIT DAZU! FRAGE LIEBER MAL DEINE TOCHTER, WAS ER GETAN HAT!" als Paul seinen Satz beendet hat, boxt er Jakob mit aller kraft in den Bauch. „Nicht!" rufe ich entsetzt und haste zu den beiden. Jakob krümmt sich stöhnend zusammen. „Das hat er verdient! Nein... DAS hat er verdient!" verbessert Paul sich und verpasst ihm zusätzlich noch einen Schlag ins Gesicht. „Paul, das reicht!" schaltet sich jetzt auf Frederik ein und hilft mir, ihn von Jakob weg zu ziehen, während Elisabeth sich zitternd an den Esstisch setzt. „Jakob, ist das wahr?" flüstert sie weinerlich, aber er schüttelt den Kopf. „Sag die Wahrheit!" bitte ich ihn schniefend, aber wieder schüttelt er den Kopf. „Dein Arztbrief! Hole ihn" fordert Frederik mich auf und ich nicke. Ich stolpere zittrig und taumelnd die Treppe nach oben in mein Zimmer, während Paul weiter Schimpfwörter durch das Haus schreit und komme wenig später mit dem Brief zurück. Frederik nimmt ihn mir ab und reicht ihn Elisabeth. Als sie fertig mit lesen ist, bricht sie weinend zusammen. Ich gehe zu Paul, da ich sehe, wie sehr er mit sich kämpft, Jakob nicht direkt umzubringen. „SIEHST DU, WAS DU ALLES ANGERICHTET HAST? DU ZERSTÖRST LEBEN! UND ZWAR BEWUSST! UND DU SCHÄMST DICH NICHT EINMAL DAFÜR!" Paul geht auf Jakob zu, der mittlerweile wieder - wenn auch äußerst unsicher - auf den Beinen steht und sich die Hände auf die blutende Nase drückt. Da ich sehe, dass Paul kurz davor ist, ihn umzubringen, gehe auch ich auf die beiden zu. „Wenn du wüsstest, was ich gerade gerne alles mit dir machen würde... wir haben es da drüben schwarz auf weiß. Also beantworte die Frage jetzt richtig: stimmt das, was Emilia uns erzählt hat?" faucht er leise in Jakobs Richtung. Dieser nickt benommen und lehnt sich gegen die Wand. „Ja... ja es stimmt" flüstert er. Plötzlich geht alles ganz schnell: Elisabeth kippt bewusstlos um, Frederik versucht sie aufzufangen und Paul holt aus, um Jakob ein weiteres Mal zu schlagen, aber ich gehe blitzschnell dazwischen und fange den Schlag ab. Mit einem Mal ist alles schwarz.

Als ich meine Augen wieder öffne, höre ich nichts außer einem leisen piepsen. Es können nur wenige Sekunden vergangen sein, denn im selben Moment tauchen sowohl Pauls, als auch Frederiks Gesichter über mir auf. „Die beiden reden miteinander, aber ich höre ihre Stimmen nicht. Ich blinzle immer wieder und versuche mich zu bewegen, aber mein Körper fühlt sich wie gelähmt an. Der Schlag hat auf jeden Fall gesessen - Paul scheint gut in seinem Beruf zu sein. Ich schließe meine Augen wieder und atme ruhig ein und aus. „Emilia? Polizei und Rettungsdienst sind auf dem Weg!" ich höre Frederiks Stimme wie durch Watte und öffne meine Augen wieder. „Hast du mich verstanden?" fragt er und ich nicke. „Entschuldigung! Das wollte ich nicht! Es tut mir leid!" schluchzt Paul aus der Ferne auf meiner anderen Seite und greift nach meiner Hand. Ich lächle schwach. Natürlich wollte er das nicht. Aber ich wollte das alles auch nicht. Die ganze Situation wie sie gekommen ist, habe ich nicht gewollt. Um genau das hier zu vermeiden, habe ich niemandem davon erzählt. Alles ist kaputt.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt