Kapitel 82

265 22 4
                                    

Am selben Abend noch - nachdem ich wieder aufgewacht bin - beschließen Paul und ich zusammen etwas essen zu gehen. Schnell haben wir uns für einen Burgerladen entschieden und während wir unterwegs sind, bleibt Elisabeth bei Anna und Jonas. Paul schafft es in der Tat mich etwas abzulenken und nachdem wir vollgestopft wie sonst was sind, machen wir uns gegen 22.30 Uhr wieder auf den Weg zurück zu ihm nach Hause. Anna und Elisabeth schauen gerade einen Film, jedoch beschließen wir direkt nach Hause zu fahren, als wir zu den beiden ins Wohnzimmer kommen. „Danke, dass du immer zu mir stehst!" Murmel ich in Pauls Ohr, während er mich an der Tür umarmt. „Alles gut! Pass auf dich auf!" er lächelt und lässt mich wieder los. Auch Elisabeth verabschiedet er mit einer Umarmung und begleitet uns dann zum Auto. Nachdem wir vom Hof gefahren sind, geht auch er wieder rein. „Na, wie war's? Gehts dir langsam besser?" hakt Elisabeth nach, aber außer ein nicken bekommt sie nicht mehr aus mir heraus. Natürlich geht es mir insgesamt kein bisschen besser! Ablenkung hilft leider nur kurzzeitig. „Dann schlafe gut und sage Bescheid, wenn du was brauchst!" verabschiedet Elisabeth mich im Flur, als wir zehn Minuten später zuhause ankommen. „Danke, das mache ich!" ich lächle leicht und verschwinde in mein Zimmer. Dort angekommen ziehe ich mich um, mache mich im Badezimmer fertig und werfe mich dann aufs Bett. Ich starre ausdruckslos an die Zimmerdecke und versuche an nichts zu denken. Bevor ich die Decke über mich ziehen kann, fallen mir irgendwann einfach die Augen zu.

Nur wenige Wochen später feiere ich meinen 19. Geburtstag, wobei ich mich dazu entscheide, keine richtige Feier zu machen. Mit Elisabeth gehe ich morgens frühstücken, mit Paul bei bestem Sommerwetter mittags ein Eis essen und abends gehe ich wieder mit Elisabeth essen. Von Paul bekomme ich einen IKEA-Gutschein im Wert von 200€, da er fest davon ausgeht, dass ich schon bald meinen Studiumsplatz bekomme. Ich bin deutlich weniger zuversichtlich, dennoch freue ich mich riesig darüber. Von Elisabeth bekomme ich während dem Abendessen zwei paar neue, sehr teure aber schicke Ohrringe, ein neues Kleid, zwei Parfums und einen Bücher-Gutschein. Ziemlich überrannt von all den Gefühlen der letzten Tage und Wochen falle ich am selben Abend - ohne dass Elisabeth es weiß - schluchzend in mein Bett und konzentriere mich voll und ganz auf mein gebrochnes Herz. Frederik hat mich nach wie vor blockiert. Kein Anruf, keine WhatsApp, kein Besuch. Nichts. Und das an meinem Geburtstag und schon seit so langer Zeit. Ich heule und heule, bis nach zwei Stunden keine Tränen mehr kommen. Vielleicht wäre es ja gar nicht so schlecht, wenn ich wirklich einen Studiumsplatz bekommen würde - es würde mich auf jeden Fall ablenken und raus aus diesem Trott bringen. Nur in eine andere Stadt würde ich nicht wollen, jedoch ist das doch eher wahrscheinlich. Weg von Paul und Elisabeth, weg von Frederiks Haus, weg von dem Yoga Studio und all den bekannten Orten... das wäre so ziemlich das schlimmste, was passieren könnte! Auf der anderen Seite... Mehr Freunde als Paul und Elisabeth - wenn man sie dazu zählen kann - habe ich hier eh nicht. Also warum nicht? Und mit Frederik scheine ich es tatsächlich auf Lebenszeiten Verkackt zu haben. Schnell verdränge ich die Gedanken aus meinem Kopf und setze mich auf. Damit Elisabeth nichts von meinem nächtlichen Heulanfall mitbekommt, sollte ich dringend noch vor dem schlafen gehen etwas gegen mein geschwollenes Gesicht machen! Ich schnappe mir meinen Pyjama und schleiche auf Zehenspitzen ins Badezimmer, aber sie scheint schon zu schlafen. Zumindest höre ich aus ihrem Schlafzimmer keine Geräusche mehr. In Windeseile dusche ich, putze meine Zähne, Creme mein Gesicht dick ein und ordne meine Haare. Jetzt muss ich es nur noch schaffen, lange genug zu schlafen, dann dürfte sie keinen Verdacht schöpfen. Nicht wieder anzufangen zu weinen kostet mich aber so ziemlich alles an Kraft und dementsprechend gehe ich schnell wieder zurück in mein Zimmer und mache es mir unter der Decke bequem. Es dauert noch ganz schön lange, bis ich es irgendwann schaffe, einzuschlafen.

Das Warten die folgenden Wochen auf irgendwelche Neuigkeiten der Universitäten macht mich fast wahnsinnig. Zwar fange ich an, in einem Café jeden Vormittag zu arbeiten und erhoffe mir dadurch, ein bisschen was ansparen zu können und mich irgendwie abzulenken, sobald ich mich aber wieder auf den Weg nach Hause mache, kommt alles an Gedanken wieder zurück. Ich fange wieder an, vier mal die Woche mit Elisabeth ins Studio zu gehen, treffe mich jedes Wochenende ein Mal mit Paul und versuche in der restlichen Zeit den Sommer zu genießen.

Am 13.09 ist es dann endlich soweit:
Als ich gerade aus der Umkleidekabine laufe und auf mein Handy schaue, fällt mir dieses vor Schreck fast aus der Hand. Zusätzlich renne ich fast einen meiner Kollegen um, der gerade mit einem voll beladenen Tablett in Richtung Küche unterwegs ist. „Vorsicht!" ruft er panisch und schafft es gerade noch so, das Gleichgewicht zu halten. „Entschuldige!" Murmel ich zerknirscht, schaue aber weiterhin auf die Email in meinem Postfach. Was genau in der Mail drinnen steht, weiß ich noch nicht, aber irgendwie traue ich mich auch nicht, hineinzuschauen. „Alles okay?" fragt der Kollege von eben, als er nur wenig später wieder zurück kommt. Ich nicke stumm, lasse mein Handy in meiner Hosentasche verschwinden und verabschiede mich mit zittriger Stimme von ihm. Wie meine Chancen stehen, dass ich einen der begehrten Medizinstudiumsplätze bekommen habe, kann ich mittlerweile nicht mal mehr im Ansatz einschätzen. Der Weg nach Hause ist dieses Mal deutlich kürzer als sonst, da ich fast die gesamte Strecke renne. „Ich habe eine Email von einer der Unis!" rufe ich, als ich den Flur betrete und schmeiße meine Sachen in die Ecke. „Wie bitte?!" Elisabeth fällt vor Schreck ihr Handy aus der Hand, jedoch wird es von dem weichen Teppich unter dem Wohnzimmertisch sanft aufgefangen. „Ich habe noch nicht reingeschaut... aber... da ist eine Email" wiederhole ich völlig außer Atem und setze mich neben sie. „Ja dann mach sie auf! Worauf wartest du denn?!" sie klingt noch aufgeregter als ich. Mit zittrigen Händen tippe ich auf meinem Handy rum und fange dann an zu lesen, wobei ich mit jedem Satz blasser und blasser werde.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt