Kapitel 67

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Immer abwechselnd bekomme ich die nächsten Tage Besuch von Frederik, Paul (und manchmal Anna), Elisabeth und sogar Frederiks Eltern, der Physiotherapie, Ergotherapie, unzähligen Schwestern und Ärzten, Psychologen und der Polizei. Und zu meinem Bedauern muss ich feststellen, dass ich nichts, was ich erzähle oder neu diagnostiziert wird, für mich behalten kann. Alles was medizinisch festgestellt wird, bekommt Frederik mit und er erzählt es den anderen und alles was polizeilich raus kommt, erfährt Paul und gibt es weiter. Somit weiß auch plötzlich jeder, dass Jakob meine Eltern ungebraucht hat, nachdem ich es der Polizei erzähle habe - einschließlich Elisabeth, die daraufhin selber für einen Tag zur Patientin wird.

„Hey! Na, wie geht es dir eine Woche später?" Paul kommt zu mir rein und setzt sich auf den Stuhl neben mein Bett. „Ganz okay" lächle ich leicht und nehme ihm den Becher Kakao ab, den er mir hinhält. „Ich glaube gerade im Flur gehört zu haben, dass du auf eine normale Station verlegt werden sollst. Das ist doch super, oder?" fragt er und ich nicke. „Hast du Schmerzen?" fragt er vorsichtig, aber dieses Mal schüttle ich den Kopf. „Das mit deinen Eltern tut mir so leid! Jakob muss unheimlich krank gewesen sein... er muss das alles so genau durchdacht haben... ich meine... er hat es jahrelang geschafft, seinen besten Freund der bei der Polizei ist und seine Frau anzulügen... er muss ehrlich gestört gewesen sein. Und es tut mir leid, dass ich von all dem nichts mitbekommen habe!" erklärt Paul, während er traurig an seinem Kaffeebecher rum fummelt. „Alles gut... ich habe ja selber mitbekommen, wie kaputt er war..." entgegne ich nur. „Du sag mal.... Ich habe dich jetzt lange genug verschont und eigentlich geht es mich auch nichts an... aber... was war denn das eigentlich für eine Wette?!" er schaut mich ernst an und lehnt sich zu mir nach vorne. Ich merke, wie ich rot werde und muss unweigerlich an die Nacht mit Frederik denken. „Hat sich so ergeben" nuschel ich nur und vermeide es, ihn anzuschauen. „Hat sich so ergeben?!" fragt er ungläubig und ich nicke. „Lasse ihn bitte dafür in Ruhe... es war absolut perfekt und ich würde es jederzeit wieder tun! Er hat mich zu nichts überredet oder gezwungen... ich habe diese Wette selber erfunden, weil ich mir sicher war, sie zu gewinnen.... Es ist alles gut!" beteuere ich mit hochrotem Kopf und stelle meinen Becher zur Seite. „Das heißt ihr seid auch zusammen?" fragt er, aber ich schüttle den Kopf. Zumindest nicht, dass ich wüsste. „Sondern? Ab jetzt seit ihr wieder ‚nur' normal befreundet?" Paul zieht eine Augenbraue hoch. „Ich weiß es nicht" maule ich und muss gegen ein paar Tränen ankämpfen. Es wäre unser perfektes Geheimnis gewesen... zu perfekt, um wahr zu sein... und nur wegen so etwas blöden ist jetzt alles raus gekommen und wird von unserem
Umfeld kaputt gemacht. „Ich würde sagen, sie wird jetzt erst mal wieder gesund! Dann kannst du ihr weiter Vorwürfe machen und sie verhören, warum sie sich mit über 18 selber aussucht, wann sie mit wem schläft" kommt es plötzlich von der Tür und wir schauen beide erschrocken auf. Frederik muss da schon etwas länger gestanden haben, ohne dass wir es bemerkt haben. Paul schnaubt. „Du solltest auf sie aufpassen und nicht flachlegen!" flüstert er, als er direkt vor ihm steht, aber ich kann es trotzdem hören. „Ich habe alles versucht, um meiner Aufgabe zurecht zu werden. Mache mir das bloß nicht zum Vorwurf!" verteidigt er sich und ich kann sehen, wie verärgert er ist. „Hättet ihr in dieser Nacht nicht rumge.... wäre das wahrscheinlich auch nicht passiert. Denn dann wäre sie wohl nicht alleine runter gegangen und du nicht ins Badezimmer, um dich SCHICK zu machen. Ich habe dir schon damals auf der Hochzeit gesagt, du sollst die Finger von ihr lassen!" patzt Paul verbissen. Oh wow! Die Situation kann auf keinen Fall so weiter gehen! Niemand ist schuld an irgendwas! Ich öffne meinen Mund, um dazwischen zu gehen, aber Frederik ist schneller. „Ich will gar nicht wissen, was ihr jede Nacht treibt, wenn du nicht erreichbar bist, weil du deinen Flugmodus rein machst! Aber danke für den Hinweis - in Zukunft werde ich sogar mit ihr aufs Klo gehen, damit sie sich nicht aus Versehen runter spült. Ein Glas Wasser trinken scheint bei weitem noch nicht das gefährlichste gewesen zu sein" mittlerweile stehen die beiden sich mit einem kaum vorhandenen Abstand gegenüber und die Luft im Raum ist zum schneiden. Ich fange an zu schluchzen, da mir das alles zu viel wird und es wehtut zu sehen, wie die beiden sich gleich umbringen. Sie scheinen es aber gar nicht erst zu bemerken. „ICH passe in dieser Nacht immer auf mein Kind und meine Frau auf. So wie es sich gehört. Sie dir anzuvertrauen war ein riesiger Fehler! Fast wäre sie dabei umgekommen" flüstert Paul mit erstickter stimme und ich kann sehen, wie Frederik kurz vorm explodieren ist. „ICH HABE AUF SIE AUFGEPASST UND VERSUCHT IHR ALLES ZU ERMÖGLICHEN! ICH BIN NICHT DARAN SCHULD, DASS EIN GESTÖRTER STALKER HINTER IHR HER WAR UND ES IRGENDWIE GESCHAFFT HAT, AN EINE WAFFE ZU KOMMEN, WÄHREND DIE POLIZEI ZU LANGSAM MIT IHREN ERMITTLUNGEN WAR!" schreit Frederik jetzt und ballt seine Hände zu Fäusten. „Hört bitte auf! Hört BITTE auf!" rufe ich mit schmerzerfüllter Stimme und drücke meine Hand auf mein Herz. Beide drehen sich erschrocken zu mir um und während Paul nach einer Schwester ruft, weil ich verzweifelt um Luft ringe, überprüft Frederik meine Werte und die Kabel der Monitore. „Ganz ruhig atmen!" befiehlt er mir und tastet nach meinem Puls. Wenig später kommen ein Arzt und eine Schwester rein gelaufen und hören mein Herz ab, geben mir zwei Medikamente und kommandieren dann Paul und Frederik mit nach draußen in den Flur. Es scheinen Schmerz-und Beruhigungsmittel gewesen zu sein, denn so sehr ich mich auch anstrenge, den lauten Stimmen vor der Tür zu folgen, döse ich immer mehr weg.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt