Kapitel 86

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Sechs Jahre später.

„Ich wünsche dir alles Gute! Und genieße deinen Urlaub! Wir müssen uns danach bald wieder sehen! Und Laura, Yannick und Laurenz müssen wir auch einladen! Bei dir in Köln wäre der beste Ort zum feiern - besser als unsere kleinen Orte in Bayer, Rheinland Pfalz oder Badem-Württemberg" kichert Jana und umarmt mich fest. Ich muss alles an Kraft zusammennehmen, um nicht zu weinen. Dieser Abschied ist so schwer wie kaum ein anderer - aber wer kann es uns nach fünf gemeinsamen Jahren zusammenleben und studieren auch verübeln? Laura ist vor einem halben Jahr ausgezogen, nachdem sie alle Prüfungen bestanden hat und jetzt im Saarland an einer Uni, wo sie ihre Facharztausbildung zur Anästhesistin macht. Jana und ich haben uns beide für die Neurochirurgie entschieden (sprich erst einmal die Chirurgie), während Laurenz, der ebenfalls mit uns studiert, Orthopädie in Angriff genommen hat. Lauras Freund Yannick ist auf dem Weg Internist zu werden, lebt jedoch getrennt von ihr in Hamburg. „Das machen wir! Pass auf dich auf!" ich drücke sie feste an mich. „Das mache ich! Du auch! Schreibe mir, wenn du gut zuhause angekommen bist!" sie lässt mich wieder los. Ich lächle schwach und schaue ihr hinterher, wie sie in ihre Auto steigt. Sie hupt noch mal kurz, dann fährt sie lachend vom Hof. Auch ich habe bereits alle meine Sachen im Auto, wobei ich meine Möbel an den nachfolgenden Studenten verkauft habe, der in mein Zimmer einziehen wird. In etwa drei Stunden werde ich Elisabeth endlich wieder sehen, wenn ich mich beeile. Das letze Mal war vor drei Monaten. Nachdem sie erfahren hat, wann ich nach Hause komme, hat sie erst mal zwei Wochen Urlaub für uns geplant und hat mir auch erst danach davon erzählt, damit ich sie nicht davon abhalten kann. Und in zwei Monaten beginnt meine Ausbildung zur Fachärztin an der Uni in Köln. Und das alles nachdem ich vor kurzem erst 25 geworden bin. Ich verdränge die ganzen Gedanke aus meinem Kopf und packe meine letzten Sachen zusammen. Dann fahre ich ebenfalls los in Richtung Heimat. Tschüss Heidelberg! Wehmütig schaue ich ein letztes Mal zurück, bevor ich auf die Autobahn fahre. Die Straßen sind zum Glück so leer, dass ich sogar eine neue Rekordzeit von 2 Stunden und 15 Minuten aufstelle - ohne dabei geblitzt zu werden. Überglücklich fahre ich auf den Hof und steige mit einem breiten Grinsen im Gesicht aus. Noch bevor ich die Haustüre überhaupt erreiche, öffnet Elisabeth sie und auch ihr Freund Stefan, mit dem sie jetzt seit zwei Jahren zusammen ist, begrüßet mich freudig. „Du bist der Wahnsinn! Ich bin so stolz auf dich!" schluchzt Elisabeth mir ins Ohr. Ich grinse nur weiter schweigend und als sie mich schweren Herzens irgendwann wieder los lässt, Umarme ich auch ihre bessere Hälfte. „Wie erwachsen bist du nur geworden, seit du weg bist?!" Elisabeth knufft mir sanft in die Wange, bevor wir rein gehen. „Führerschein, eigenständiges wohnen und studieren, beendetes Medizinstudium, Doktorarbeit... und jetzt?" schnieft sie, während sie uns mit selbst-gemachten Cocktails auf die Terrasse lotst. „Und jetzt machen wir erst mal Urlaub. Und dann werde ich Chirurgin. Neurochirurgin um genau zu sein" bisher habe ich ihr nie eine klare Antwort auf die Frage was ich werden will gegebenen, weil ich mir selber lange nicht sicher war. „Wow! Bist du dir sicher? Das ist höchst anspruchsvoll!" „traust du mir das etwa nicht zu?!" Ich klinge etwas enttäuscht. „Doch doch! Aber es ist ein langer Weg..." „fünfeinhalb Jahre" lächle ich und halte mein Glas in die Luft zum anstoßen. Die beiden machen es mir nach und den Rest des Abends verbringen wir mit stundenlangem reden draußen in der angenehmen Luft. Stefan hilft mir gegen ein Uhr in der Nacht noch schnell die wichtigsten Sachen aus dem Auto zu holen, dann machen wir uns auf den Weg ins Bett. Ich werde nicht wieder bei Elisabeth einziehen, aber die Wohnung, die ich mir hier in Köln ausgesucht habe, ist erst in drei Wochen frei für mich - was aber super mit unserem Urlaub zusammenpasst. Zwei Tage haben wir noch hier in Köln, bevor wir zusammen mit Stefan für 15 Tage nach Griechenland fliegen. Ich hole mein Handy aus meinem Rucksack raus und sehe unzählig viele Nachrichten aus unserer Med-WhatsApp-Gruppe, in der wir alle drinnen sind: Jana, Laura, Yannick, Laurenz und ich. Ich vermisse alle vier jetzt schon schrecklich! Es gibt wohl kaum eine Freundesgruppe, die sich so gut kennt und sich so wichtig ist, wie wir es sind. Und Jana hat recht: wir müssen uns auf jeden Fall dieses Jahr noch mal sehen! Ich denke an all die Party-Nächte, die wir gemeinsam erlebt haben, sämtliche Kochabende bei einem von uns, tausende Lernstunden in der Bibliothek, Wochenendausflüge nach Karlsruhe und Mannheim, und noch vieles weitere.
Vielleicht können wir ja sogar alle zusammen Silvester bei mir verbringen. Die Wohnung wäre sogar groß genug dafür, wenn ich mir Mühe gebe. Ich beantworte ein paar der Nachrichten, dann lege ich mein Handy zur Seite und ziehe mir die Decke über den Kopf. Da mit einem Mal alles an Erschöpfung und Anspannung von mir abfällt, schlafe ich extrem schnell in dieser Nacht ein.

Am nächsten Tag ist packen angesagt. Und nachdem ich alles für einen Strand-Sommerurlaub rausgesucht habe und fertig bin, schnappe ich mir mein Fahrrad und fahre zu Paul und Anna, mit denen ich mich zum grillen verabredet habe. „Hallo!" schreit Jonas fröhlich aus dem Garten und kommt auf mich zugerannt, als er mich sieht. Ich öffne das Gartentor lachend und hebe ihn hoch. „Boa bist du groß und schwer geworden seit dem letzten Mal! Wahnsinn!" keuche ich etwas, schaffe es aber, ihn zur Terrasse zu tragen. Er lacht vergnügt und spielt an meinen Haaren herum. „Emilia!" ruft Paul erfreut, aber auch etwas überrascht als er mich mit Jonas sieht und springt von seinem Stuhl auf. „Hi!" Ich lasse Jonas wieder runter, der laut schreiend rein zu Anna rennt und umarme Paul fest. „Ich habe schon die ganze Zeit auf dich gewartet! Bist du gut zurück gekommen?" er küsst mich unzählige Male auf die Wange. Ich nicke lachend und drücke ihn dann sanft von mir weg. „Bei euch auch alles gut?" frage ich und er nickt. „Anna schimpf über ihre geschwollenen Beine, ausruhen und Pause machen will sie aber trotzdem nicht" er verdreht genervt die Augen. „Komm, ich hole uns was zu trinken! Auf deine Approbation müssen wir schließlich anstoßen! Und auf deine Doktorarbeit" setzt er hinterher und geht rein. Jonas kommt kurz später mit einem selbstgemalten Bild wieder zu mir raus. „Für dich!" erklärt er und drückt mir das Bild in die Hände. „Oh, vielen Dank!" ich komme gar nicht dazu, es mir richtig anzuschauen, da Jonas auf meinen Schoß Klettert und mir davon erzählt, auf was er sich schon alles in der Schule freut, die er nach den Sommerferien besuchen wird. Paul und auch Anna kommen kurz später dazu. „Hey!" Anna begrüßt mich, indem sie mir kurz über den Rücken streichelt. Sie sieht tatsächlich ziemlich kaputt aus, was jedoch im siebten Schwangerschaftsmonat nicht verwunderlich ist. „Hey! Na, wie geht's dir?" „siehst du doch... die kleine hält mich ganz schön auf Trab!" sie stöhnt und setzt sich auf einen der Stühle. „Freust du dich schon auf deine Schwester?" flüstere ich Jonas ins Ohr und er nickt begeistert. „Aber nur wenn sie nicht blöd ist!" erklärt er mir. Paul, Anna und ich lachen. „Das wird sie bestimmt nicht!" ich wuschel ihm durch die Haare und stoße dann mit den anderen beiden an. Eine Stunde später macht Paul den Grill fertig und während die Sonne langsam untergeht, genießen wir die Restwärme des Tages, um mit ein paar Mücken und Bienen zu essen. Jonas verspreche ich, dass ich ihm zum schlafen gehen etwas vorlese und danach sitze ich noch ewig lange mit Paul draußen, währen auch Anna relativ früh ins Bett verschwindet. Erst gegen zwei Uhr in der Nacht fahre ich zurück nach Hause.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt