Kapitel 96

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Wie in Zeitlupe sinke ich ebenfalls auf meinen Knien in den Schnee und starre angestrengt auf Frederiks Hand. Meine Ohren sind wie mit Watte gefüllt und mir ist heiss und kalt zugleich. Es ist, als hätte jemand die Welt einfach angehalten. Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, aber es kommt nichts heraus. Zeitgleich schüttelt Frederik den Kopf. „Ich bin dran! Schlimm genug, dass wir jetzt beide hier knien" grinst er und öffnet das kleine Döschen. Zum Vorschein kommt ein wunderschöner, zierlicher silberner Ring. „Ich weiß... wir sind noch nicht so lange zusammen, aber ich zweifle keine Sekunde an uns und unserer Zukunft. Ich möchte niemanden außer dir in meinem Leben haben und weil ich dich jetzt schon seit so vielen Jahren liebe, ohne dass du es weißt und ich keine Sekunde mehr ohne dich sein kann und will, möchte ich dich heiraten. Deshalb frage ich dich jetzt und hier, ob du meine Frau werden willst?" setzt er hinterher und lächelt etwas verlegen, aber selbstsicher mit erröteten Wangen. Ich starre fassungslos zwischen ihm und dem Ring hin und her. Er will mich heiraten? Und macht mir gerade hier mitten auf einem Berg im Sonnenuntergang an Silvester einen Heiratsantrag?! Ich spüre, wie mein Herz immer lauter schlägt. Zudem habe ich das Gefühl, schon seit Stunden zu schweigen. „Ja... natürlich will ich!" stammel ich überfordert, aber wahrheitsgemäß. Er strahlt über beide Ohren, krabbelt den letzten halben Meter zu mir rüber, zieht mir meinen Handschuh aus und dafür den Ring an. Dann legt er seine Hände um meine Wangen und küsst mich sanft. Ich lege meine Arme fest um ihn und versuche zu realisieren, was hier gerade passiert. Als er sich wieder von mir löst, schaue ich noch einmal nach unten auf meine Finger - und innerliche ertappe ich mich dabei, wie ich darauf warte, einfach aus diesem Traum aufzuwachen. „Ich liebe dich so sehr!" sagt Frederik sanft und küsst mich noch ein Mal, dieses Mal auf die Stirn. „Ich liebe dich auch!" hauche ich gerührt zurück und merke jetzt, wie langsam alle Glücksgefühle in mir hoch kommen. Er zieht mich in seine Arme und ich lehne mich mit Tränen in den Augen an ihn. „Wissen die anderen davon?" frage ich irgendwann und schaue neugierig zu Frederik auf. Er lacht etwas unsicher. „Klar... sie haben uns nicht umsonst zwei Tage alleine gelassen... ich musste gestern unauffällig nach dem richtigen Ort suchen und heute wollte ich keine Zuschauer haben - auch wenn es deine Freunde sind" antwortet er. „Danke! Es hätte nicht perfekter sein können!" Ich küsse ihn noch mal kurz, dann stehe ich auf und ziehe mir meinen Handschuh wieder an. „Komm, es wird gleich dunkel und ich habe Hunger..." lächle ich und strecke Frederik meine Hand entgegen. Er ergreift sie, steht auf, wir ziehen unsere Skier wieder an und machen uns langsam zurück auf den Weg ins Tal. Und während wir durch den Schnee gleiten, überschlagen sich die Gefühle, Gedanken und Emotionen in meinem Kopf. Aber ich versuche mir nichts anmerken zu lassen, abgesehen von meinem breiten Grinsen im Gesicht. Etwa eine Dreiviertelstunde später kommen wir in der Hütte an. Und die anderen scheinen schon da sein, denn drinnen brennen hell die Lichter. Ziemlich aufgeregt bringe ich meine skisachen in den Keller und gehe dann langsam nach oben in den Flur. Obwohl die Wohnzimmertür geschlossen ist, kann ich die lauten Stimmen der anderen bis nach draußen hören. Und sie scheinen schon total in Feierlaune zu sein - zumindest lachen sie ausgiebig. Mit einem leichten Lächeln im Gesicht drücke ich die Türklinke auf und öffne die Tür ganz langsam, während Frederik hinter mir die Treppe hoch gestapft kommt. Sofort fangen Jana und Laura hysterisch an zu schreien. „UND? UND? UND?" sie springen auf und um mich herum und ich hebe kichernd meine Hand mit dem Ring am Finger. „AAAAAAHHHH! OH MEIN GOTT, DAS IST DER WAHNSINN! HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH!" schreien sie in einer Lautstärke und Tonhöhe, dass ich etwas den Kopf einziehe und die Jungs nur die Augen verdrehen, trotzdem muss ich etwas kichern. „HEUTE ABEND WIRD SO FETT GEFEIERT!" schreien sie in die Umarmung hinein und erdrücken mich beinahe, während Frederik die Tür hinter sich schließt. Irgendwann schaffe ich es, die beiden wieder von mir los zu bekommen und sofort umarmen sie auch Frederik, während ich mich von Yannick und Laurenz beglückwünschen lasse. Erst dann fällt mir auf, dass der Raum total verändert ist: überall hängen Girlanden und Luftballons, auf dem bereits fürs Raclette fertig gedeckten Tisch steht eine gekühlte Flasche Sekt und entsprechen viele Gläser, Luftschlangen und Glitzerkonfetti ist gefühlt überall verteilt. „Ihr seid ja verrückt! Vielen Dank fürs vorbeireiten!" grinse ich erfreut und schaue mich glücklich um. „Na hallo? So eine Verlobung feiert man ja schließlich nur ein Mal! Und mit so einem tollen Traumpaar sowieso!" Jana fängt an, den Sekt in die Gläser zu schenken, während Laura sich ausgiebig den Ring anschaut. „Wow, sieht der krass aus! So edel, teuer und schlicht zugleich!" flüstert sie, dass keiner der anderen hören kann. Ich merke, wie ich etwas rot werde. „Irgendwann wird Yannick dich auch fragen" entgegne ich aufmunternd und ziehe sie mit zum Tisch. Wir schnappen uns alle ein Glas und stoßen gemeinsam auf das neue Jahr, sowieso die Verlobung an. Anschließend gehen Frederik und ich doch noch schnell duschen und ziehen uns um, bevor wir anfangen, das Raclette zu machen. Und nach dem sechsten Pfännchen merke ich langsam, wie sich die Anstrengung des Tages in mir bemerkbar macht. Die Wärme zusammen mit dem vielen Essen und dem Sport tagsüber, sowieso die Aufregung über die Verlobung überfahren mich mit einem Mal. „Puh... ich brauche kurz frische Luft..." Murmel ich irgendwann, stehe vom Tisch auf und verschwinde in den halbwegs kühlen Flur. Ich atme tief durch, hole mein Handy aus meiner Hosentasche raus und wähle die Nummer von Paul. Ich muss ihm sofort die Neuigkeiten erzählen, bevor er es von jemand anderem mitbekommt - das würde er mir NIEMALS verziehen! Und auch Elisabeth sollte ich möglichst schnell davon erzählen. Aber vor Pauls Reaktion habe ich deutlich mehr Angst, als vor der von Elisabeth. Und somit halte ich mir glücklich, aber dennoch mit klopfendem Herz und zittrigen Händen das Handy ans Ohr, während es bei Paul klingelt.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt