Kapitel 44

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„Ich... bin wieder... da!" erkläre ich Frederik lallend, als ich in den Hausflur stolpere und er wenig später zu mir kommt. „Ja, das sehe ich. Wie war's?" er beobachtet mit hochgezogenen Augenbrauen, wie ich versuche, die Knöpfe meiner Jacke aufzubekommen. „Oh.. es war... absolut... großartig!" hickse ich und kichere. „Großartige Getränke meinst du?" er hilft mir die Jacke aufzumachen. „Oh ja!" ich schließe meine Augen und lasse mich ohne Vorwarnung nach vorne zu ihm fallen. „HEY! Das kannst du doch nicht machen!" schimpft er, nachdem er es gerade noch so geschafft hat, mich aufzufangen. Ich lache nur. „Na ob du den Schultag morgen auch noch so lustig findest...?" murmelt er und versucht mich wieder hinzustellen. Wackelig klammere ich mich am Geländer fest. „Und jetzt?" frage ich neugierig und starre ihn an. „Wie und jetzt? Ich glaube, das Bett wäre jetzt am besten. Oder was meinst du?" er verschränkt die Arme vor der Brust. „Vielleicht" seufzte ich und setze mich auf die unterste Stufe. Dann warte ich, was passiert. „Okay. Das wird so nichts. Bitte festhalten" mischt Frederik sich kurzerhand ein und hebt mich hoch. Ich schreie erschrocken auf und Klammere mich panisch an ihn. „Wow! Du hast aber viel kraft!" hauche ich beeindruckt, als hätte ich zuvor noch nie gesehen, wie ein Mensch einen anderen trägt. Frederik muss sich ein Grinsen verkneifen. „Du denkst bestimmt ich sei betrunken! Aber... das ist so gar nicht... ich... ich... war nämlich noch nie... so richtig... betrunken!" erkläre ich Frederik lehrend, als er mich auf dem Bett absetzt. „Nein. Natürlich bist du das nicht!" er nickt ernst und ich bin beruhigt. Ich lasse mich auf den Rücken fallen und schließe meine Augen. „Stop! Noch nicht schlafen! Erst Klamotten ausziehen und Schlafsachen an!" protestiert Frederik und zieht mich wieder nach oben. „Aber ich kann doch nicht in deinem Bett schlafen!" ich schaue ihn vorwurfsvoll an. „Sondern?" jetzt sieht er verwirrt aus. „Ich habe noch nie bei jemand fremden im Bett geschlafen! So etwas würde ich nie tun! Das gehört sich nämlich nicht!" „ach. Und was war die letzten Nächte?" Frederik lächelt verschmitzt und hilft mir, mein Shirt über den Kopf zu ziehen. „Was meinst du?" Ich versuche hochkonzentriert den Knopf meiner Jeans zu öffnen. „Ach nichts. Alles gut. Komm, ich helfe dir" er kniet sich vor mich und öffnet mir den Knopf. Ich stehe vom Bett auf, Taumel kurz und schaffe es dann meine Jeans anzuziehen. „So. Wo hast du deine Schlafsachen? Drüben?" Frederik macht eine Handbewegung raus in den Flur. „Schlafsachen?! So etwas habe ich nie an!" „Ja wenn du alleine schläfst vielleicht nicht... aber ich meine das, was du die letzten Nächte schon hier anhattest" Frederik klingt mittlerweile doch etwas verzweifelt. „Ich weiß nicht, wovon du redest" nuschel ich und Krabbel nach oben zum Kissen und dort unter die Decke. Frederik atmet tief durch. „Okay. So willst du schlafen?" fragt er und ich nicke müde. „Okay... ich komme gleich" erklärt er und verschwindet ins Bad. Jedoch bekomme ich schon gar nicht mehr mit, wie er ‚gleich' zurück kommt, da ich nach wenigen Sekunden tief und fest eingeschlafen bin. Zum Glück kommt dieser Abend aber auch in den folgenden Tagen nicht mehr zur Sprache - denn dunkel erinnere ich mich an alle Peinlichkeiten.

Etwas mehr als zwei Monate später ist Weihnachten. Elisabeth lädt Paul, Anna und mich zu sich nach Hause ein - das letzte gemeinsame Abendessen in dem alten Haus, da der Umzug in ihre neue Wohnung für zwei Wochen später geplant ist - auch wenn bisher leider weder Jakobs Verhandlung, noch die Scheidung stattgefunden hat. Der Gedanke daran, in das Haus zurück zu kehren, gefällt mir trotzdem nicht. Und deshalb rede ich auch sehr ausführlich mit meinem Psychologen darüber, der mich jedoch nur darauf vorbereitet, dass es durchaus gut sein kann, dass ich vor Ort Flashbacks haben könnte. Das beruhigt mich nicht, aber Frederik lobt mich trotzdem für meinen Mut, es überhaupt bei ihm anzusprechen. Er selber verbringt das Fest der Liebe bei seinen Eltern, die nicht weit entfernt von ihm leben.

„Hey! Komm rein, du bist tatsächlich die letzte!" begrüßt Elisabeth mich fröhlich, als sie mir die Tür öffnet und umarmt mich fest. Seit ich wieder mehrfach die Woche mit ihr ins Yoga gehe und am Wochenende manchmal Ausflüge mit ihr mache, ist unser Verhältnis wieder deutlich besser geworden. Wir beide scheinen den Schock über Jakobs Taten langsam verarbeitet zu haben. Ich gehe ihr hinterher ins Wohnzimmer, wo tatsächlich schon Anna und Paul sitzen. „Hey! Ich freue mich so dich zu sehen!" strahlt Paul, als er mich sieht, steht auf und kommt auf mich zu. „Ich mich auch! Dabei ist unser letztes Mal sehen doch gar nicht so lange her..." lächle ich glücklich und lasse mich von ihm umarmen. „Macht doch nichts - ich freue mich immer dich zu sehen" er knufft mich sanft in die Seite und lässt mich wieder los. „Hey!" begrüße ich auch Anna erfreut und umarme sie mitsamt kleinem Babybauch. „Wie geht es dir?" frage ich, bevor sie mir zuvor kommt. „Oh, bisher ganz gut. Ab und zu etwas Übelkeit morgens, aber insgesamt kann ich mich glaube ich nicht beschweren!" antwortet sie und fährt sich kurz über den Bauch. Ich lächle und schaue mich unsicher um. „Essen ist gleich fertig" ruft Elisabeth aus der Küche. „Und danach ist Bescherung!" zwinkert Paul, was dafür sorgt, dass ich ihn entsetzt anstarre. „Was?! Aber ich habe doch gar nichts für euch... ich..." „alles gut. Das ist uns durchaus bewusst. Und es macht nichts. Aber du wirst dich trotzdem über dein Geschenk freuen! Verstanden?" er stellt sich hinter mich und massiert mir sanft die Schultern. „Okay" seufze ich und muss ab und zu die Augen zukneifen, wenn er eine verspannte Stelle trifft. „Kommt ihr?" Elisabeth steckt ihren Kopf ins Wohnzimmer. Wir nicken und folgen ihr. „Wow! Vielen Dank fürs kochen!" staune ich, als wir an einen voll gedeckten Tisch mit lauter Köstlichkeiten kommen. „Keine Ursache! Du weißt doch, ich mache das gerne" sie grinst und fängt an, das Essen auf unsere Teller zu verteilen. Wir unterhalten uns an dem Abend so gut wie schon lange nicht mehr - was auch deshalb gut ist, weil es mich davon abhält, mir zu viele Gedanken über die Räumlichkeiten und das, was darin geschehen ist, zu machen. Trotz allem stehe ich nach dem Essen auf, mit der Entschuldigung kurz aufs Klo zu gehen und laufe wie ferngesteuert ganz leise und mit klopfendem Herz die Treppe nach oben in mein altes Zimmer.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt