Kapitel 81

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„Ich bin absolut schockiert!" gesteht Paul entsetzt, als ich fertig mit erzählen bin. Zu meiner Erleichterung hat er mich nicht ein Mal unterbrochen, dafür weiß ich, was mir jetzt bevor steht: Eines seiner gekonnten Polizei-Verhöre. Ich schluchze nur und antworte ihm nicht darauf. „WARUM REDEST DU IMMER ERST, WENN ES SCHON ZU SPÄT IST?!" ruft er jetzt laut und schüttelt mich leicht an den Schultern. Ich schluchze als Antwort nur noch mehr und lasse den Kopf hängen. „Man... du bekommst doch so viel Hilfe von uns... was hast du geglaubt, was passieren würde? Dass wir dir alle den Kopf abreißen und dich zwingen, das Kind zu behalten?! Ich habe doch extra noch gefragt, ob sich deine Befürchtungen bestätigt haben! Warum lügst du mich an? Das macht man doch nicht in einer Freundschaft!" protestiert er und ich merke, wie ich mich immer schlechter fühle. Er steht auf und läuft aufgebracht durch den Raum. „Dass Frederiks Reaktion berechtigt ist, hat dir wahrscheinlich schon jemand gesagt, oder?" er bleibt stehen und starrt zu mir rüber. Ich nicke nuschelnd und wische mir die Tränen weg. Oder zumindest versuche ich es. Paul stößt hörbar laut die Luft aus und starrt aus dem Fenster. „Es tut mir leid!" schniefe ich leise und ziehe mir im Sekundentakt die Nase hoch. „Und jetzt lebst du wieder bei Elisabeth?" fragt er abwesend und ich nicke. „Ich habe mir echt Sorgen gemacht die letzten Wochen! Aber ich hätte niemals damit gerechnet, dass es SO schlimm ist!" erklärt er mir. Ich zucke wieder nur leicht mit den Schultern und spiele nervös an meinen Fingern herum. „Und jetzt? Wie geht es weiter?" Paul dreht sich zu mir um und beobachtet mich. „Keine Ahnung... so wie das Leben halt weiter geht... ich bleibe bei Elisabeth, werde anfangen zu studieren und dann arbeiten..." Murmel ich. „Warum kannst du dich nicht mal für ein paar Monate unauffällig verhalten? Und uns allen Luft zum Atmen geben?" er kniet sich vor mich und legt seine Hände auf meine Beine. „Ich weiß nicht" flüstere ich mit erstickter Stimme. Vieles in der Vergangenheit war ja wohl nicht meine Schuld! Er zieht mich ein Stück runter in seine Arme. „Ich weiß nicht, ob Frederik dir das jemals verzeihen wird... und wenn, dann musst du dir ganz schön viel Mühe geben!" erklärt er mir traurig in die Umarmung hinein, was mich nur wieder zum weinen bringt. „Ich kann versuchen mit ihm zu reden..." schlägt er vor, aber ich schüttle schnell den Kopf. Wenn, dann will ich das alles alleine wieder geregelt bekommen! „Na gut, dann eben nicht. Solltest du es dir doch anders überlegen, lass es mich wissen. Willst du eine Umarmung?" fragt er und ich nicke mit schmerzendem Herz. Eine Umarmung ist das mindeste, was ich gerade will. Am liebsten würde ich gerne meine Arme um ihn legen und ihn für die nächsten Stunden nicht mehr los lassen. Und das scheint er auch zu merken: als er sich wieder von mir lösen will, hindere ich ihn daran, indem ich meine Arme nur noch fester um ihn lege. „Sei bitte nicht sauer!" schluchze ich aus ganzer Seele und er schüttelt den Kopf. „Nein. Sauer bin ich nicht... dass wir alle etwas enttäuscht sind, dass du nach wie vor nicht mit uns redest, wenn es ernst wird, kannst du aber verstehen, oder?" fragt er gegen meine Haare und ich nicke. Er schafft es meinen Griff zu lösen und steht wieder auf. „Du musst ganz dringend lernen, dir Hilfe zu holen!" er schaut auf mich runter. Ich antworte ihm nicht und schaue auch nicht zu ihm auf, sondern schaue nur runter auf meinen Schoß. „Sollen wir runter oder willst du noch irgendetwas los werden?" fragt er, aber ich antworte wieder nicht. Zu sehr muss ich mich darauf konzentrieren, nicht wieder loszuheulen. „Du willst nicht runter" stellt er seufzend fest und setzt sich wieder neben mich. „Ich hasse mich so sehr für das alles!" flüstere ich mit erstickter stimme und ernte dafür einen mehr als nur bösen Blick von Paul. „Sag das nicht! Es ist blöd gelaufen, ja. Aber Fehler passieren uns allen. Du musst mit den Konsequenzen leben und schauen was noch alles kommt, aber so ist das immer im Leben! Ich habe es dir damals schon mal gesagt: halte nicht an der Vergangenheit fest, sondern konzentriere dich auf die Zukunft" bittet er mich. „Ich wollte das aber alles gar nicht so!" rufe ich verzweifelt und starre ihn an. „Ich weiß. Aber das ändert leider nichts von dem, was du jetzt gerne rückgängig machen würdest". Für einen Moment herrscht eine bedrückende Stille zwischen uns. „Ich habe mit Elisabeth vorhin meine Studiumsunterlagen fertig gemacht" Murmel ich irgendwann erschöpft und reibe mir die Augen. „Das ist doch mal eine gute Nachricht!" lächelt Paul leicht. Ich nicke und spiele an meinem Fingernagel herum. „Und für die Fahrschule haben wir mich abgemeldet" fahre ich irgendwann fort. Jetzt grinst Paul sogar. „Wenn wir zwei jetzt noch etwas machen, das sich lohnt, dann kann ich fast schon nicht mehr enttäuscht sein" er knufft mich sanft in die Seite. Ich lasse mich gegen ihn fallen und lege meine Arme erneut stumm weinend um ihn. „Das wird alles wieder!" sagt er sanft und streichelt mir über den Rücken. „Ich will wieder zu Frederik!" schluchze ich. „Das wissen wir. Aber keiner kann etwas dazu beisteuern. Das müsst ihr selber klären. Und das wird - das verspreche ich dir - ein anstrengender Weg. Wenn du dir aber sicher bist, dass es sich lohnt, dann gib nicht auf!" er streichelt mir weiter über den Rücken und ich merke, wie mich der Schlafmangel der letzten Tage mit einem Mal einholt. Müde schließe ich meine Augen und atme tief Pauls angenehmen Geruch ein. Er scheint zu merken, wie sehr ich gegen eine Welle Schlaf ankämpfe, denn er macht weiter, bis mir plötzlich die Augen zufallen.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt