Kapitel 36: Nichts als Schmerz - Pov Estelle

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„Tut mir ja wirklich leid, dass du so verkorkst bist und deine Traumata an andere auslassen musst die dir nur helfen wollen. Aber die Freundschaft zwischen uns hat sich erledigt hörst du, du bist für mich gestorben Estelle Nott.“ Diese Sätze von Malia drangen immer wieder tief in meinen Kopf ein und hinterließen unsichtbare Schnitte auf meinem ganzen Körper. Ich war jedoch so tief in meiner inneren Leere, dass ich es nicht auf mir sitzen ließ und noch etwas hinterherschoss, als Tom zu uns kam. Als er Malia dann aus der Großen Halle gezogen hat, verstand ich die Situation allmählich und spürte, dass ich gerade den einzigen Menschen verloren hatte, der mir neben meinem Bruder und den anderen etwas bedeutet hatte. Ich hatte soeben meine beste Freundin gekränkt und verletzt, doch auch ihre Worte waren verletzend und brachten mich wieder zurück in meine schmerzvolle Realität. Sie hatte Recht. Ich war verkorkst und ich habe bis zum heutigen Tag kein Trauma bewältigt, sondern es einfach hingenommen und heruntergeschluckt, denn das war immer mein Weg des geringen Widerstands. Natürlich blieb die Auseinandersetzung mit Malia nicht unbemerkt. Direkt hatte ich all die Blicke der Schüler auf mir und besonders ein Blick stach besonders hervor. Die kleine Weasley schaute mich mit ihren Augen an, als würde sie mir sagen. Siehst du, ich habe es doch gewusst. Du bist nicht gut für Malia. Du wirst ihr weh tun. Und ja verdammt, sie hatte Recht. „Was glotzt ihr denn alle so blöd? Habt ihr kein eigenes Leben, auf das ihr euch konzentrieren könnt?“ mit diesen Worten stand ich auf und stürmte ebenfalls aus der Großen Halle. Ich wollte einfach meine Ruhe und daher war mein Zimmer der einzige Ort, an dem ich jetzt sein wollte. Eilig rannte ich an den Schülern vorbei, nur um die Tür meines Zimmers aufzureißen und gleich wieder zuschließen. Meine Atmung wurde schneller und ich führte meine Hand zu meiner Brust, da diese zu schmerzen begann. Ich verlor das Gefühl in meinen Beinen, weswegen ich auf die Knie ging und mit schneller Atmung den Boden ansah. Was war ich nur für eine miese Freundin, Schwester und vor allem Tochter. Wie hatte ich es geschafft, all den Menschen nur so viel Leid zuzufügen, obwohl dies nicht mal meine Intention gewesen ist. Mit meiner verbleibenden Kraft, zog ich den kleinen Karton unter meinem Bett hervor. Schnell öffnete ich den Deckel und all die Briefe, die mein Vater im Laufe der Jahre geschrieben hatte, kamen zum Vorschein. Ich nahm die Kiste in meine Hand und schüttete sie aus, sodass alle Briefe verteilt auf dem Boden lagen. Stichprobenartig nahm ich mir immer einen Brief und las die Zeilen, die mir die Bestätigung gaben, dass ich in allem versagt habe. Durch meine erhöhte Atmung, traten auch plötzlich Tränen in meinen Augen und mit jedem weiteren Atemzug, liefen sie meine Wangen entlang und tropften auf die Briefe. Ich gab einen Schlurchzer von mir und hoffte einfach, dass niemand mitbekommen würde, wie ich hier in meinem Zimmer zusammenbreche. Als ich dann das Klicken der Tür dumpf an meinem Ohr vernahm, verlor ich jegliche Beherrschung. „Estelle, was ist los…?“ gab die Person von sich, die soeben mein Zimmer betreten hatte. „Verschwinde Tom. Ich will dich nicht hier haben. Geh einfach zu Malia und lasst mich alle einfach in Frieden“ brachte ich unter Tränen hervor und versuchte stark zu klingen. Tom blickte jedoch hinter meine Fassade, so wie er es schon immer tat. Er schloss die Tür hinter sich und kam einige Schritte auf mich. Er stand jetzt genau hinter mir, doch ich hielt meinen Blick immer weiter auf die Briefe meines Vaters gerichtet. „Malia hat Recht. Ich bin verkorkst und ich verdiene das ihr alles nicht. Nicht umsonst hat mein Vater diesen Zorn auf mich gehabt, denn er war berechtigt. Ich habe als Tochter, als Schwester und vor allem als Malias Freundin versagt…“ diese Worte sprach ich mehr zu mir selbst, als dass ich sie an Tom richtete. Dieser schien die Situation nur all zu gut einschätzen zu können, denn er hockte sich neben mich. Als ich dann im Augenwinkel erkannte, dass sein Blick auf die Briefe gerichtet war, konnte ich nun nicht mehr ein Geheimnis daraus machen. „Estelle sind das…“ ich nickte. „Briefe von meinem alten Herrn? Ja Tom, das sind sie. Er hat mir immer ein geschrieben, wenn ihm etwas erzürnt hat oder ich mal wieder den Stolz der Familie Nott nicht auf meinen Schultern tragen konnte. Jedes Mal… das geht schon seit dem Tod unserer Mutter so, aber mit seinem letzten Brief hat er noch einmal alles bisherige übertroffen…“ ich nahm den Brief in die Hand und hielt ihn in die Richtung von Tom. Er nahm ihn und begann zu lesen. „Weiß Theodore davon?“ ich lachte auf. „Weiß Mattheo, dass du ein Todesser bist? Nein? Dann weiß Theodore von den Briefen ebenfalls nichts. Wir haben beide unsere Geheimnisse vor unseren Brüdern“ Tom setzte sich zu mir auf den Boden, sah aber in die entgegengesetzte Richtung. „Wieso hast du Theodore nie etwas von diesen Briefen erzählt?“ ich atmetet tief ein und wieder aus. „Es hätte ihn gebrochen Tom. Du weißt doch genau, wie sehr er Vater liebt und bewundert. Zu ihm war Vater ja auch immer sehr zuvorkommend und fürsorglich. Ich wollte einfach, dass Theodore dieses Bild weiterbehält… es würde mir in der Seele weh tun, wenn er das positive Bild von unserem Vater verlieren würde…“ auch Tom atmete angestrengt aus. „Glaubst du, dass Theodore glücklich wäre, wenn er erfahren würde, was euer Vater all die Jahre mit dir angerichtet hat? Glaubst du, Theodore würde euren Vater dann immer noch so sehen? Nein Estelle. Du bist ihm wichtiger, als euer Vater und das weiß ich, weil er es immer zu gesagt hat und auch nach außen gezeigt hat. Du bist sein ganzer Stolz Estelle…“ wieder kamen mir Tränen in die Augen, doch ich versuchte sie wegzuwischen. Tom legte seine Hand auf meine Schulter. „Lass sie raus Estelle. Es bringt nichts, wenn du diese Tränen zurückhältst. Das hast du all die Jahre getan. Du solltest endlich damit aufhören, denn das tut dir nicht gut und das weißt du“ ich wusste, dass er damit Recht hatte, denn bisher brachte mich diese Art von mir nicht weiter. Ich konnte zwar für einen längeren Zeitraum meine Schmerzen und Gefühle unterdrücken, doch dann gab es wieder so Tage wie heute, wo alles zusammenbricht. Meine Mauer um mich herum… mein Kartenhaus… einfach alles. „Weißt du Tom, ich habe meiner Mutter vor ihrem Tod etwas versprochen… Kannst du dich noch daran erinnern? Mattheo und du ihr wart auch da. Sie wollte mit mir alleine reden und hat euch rausgeschickt?“ Tom nickte. „Ich sollte mich auf die Bettkante setzen. Sie streckte mir ihre Hand hin und ich legte meine hinein. Sie drückte meine Hand fest und sah mir in die Augen. Ich kämpfte damals gegen meine Tränen an, doch ich war ihnen hoffnungslos ergeben. Sie legte ihre andere Hand an meine Wange und streichelte sie… ihr genauer Wortlaut war dieser: Mein kleines, wunderschönes Mädchen. Du hast in all den Jahren sehr viel ertragen müssen…und ich habe dich nicht vor der Gewalt deines Vaters beschützt und das bricht mir mein Herz, denn diese Behandlung hattest du nicht verdient. Die meisten Sachen habe ich auch jetzt erst im Nachhinein erfahren, aber ich hätte schon vorher schalten müssen, als ich dich verängstigt vorgefunden habe und du kein Wort mit mir gesprochen hast. Schon da hätte ich erkennen müssen, was dein Vater dir antut… Bitte verzeih mir mein kleiner Stern, dass ich als deine Mutter versagt habe und nicht auf dich aufgepasst habe. Ich schmiss mich an ihren Hals und weinte bitterlich. Ich sagte ihr immer wieder, dass sie nichts dafürkann und eine fantastische Mutter gewesen ist, doch sie verneinte dies immer und immer wieder. Sie legte ihre Hand auf meinen Kopf und fuhr mir durchs Haar. Ihre letzten Worte, welche sie an mich richteten war: Pass auf deinen Bruder auf, er wird dich immer brauchen. Achte auf Mattheo und Tom und sei ihnen stets eine gute Weggefährtin. Hör niemals auf mit Draco im Raumschiff zu spielen hörst du? Und noch eine Sache… such dir bald eine Freundin… auf ewig kannst du das mit diesen sturen Eseln nicht aushalten. Ich nickte ihr bei jeder Forderung zu. Sie nahm mich in den Arm und ich spürte zum letzten Mal die Wärme meine Mutter. Ich lag in ihren Armen, als sie von uns ging und ich versprach ihr, all die Dinge einzuhalten. Sie hatte Recht. Ich brauchte eine Freundin an meiner Seite, welche ich auch in Malia gefunden hatte, doch auch diese Sache habe ich kaputt gemacht. Genauso wie die Freundschaft zu Draco. Ich habe langsam das Gefühl, dass mir zwischenmenschliche Beziehungen einfach nicht liegen…“ ein kurzer Schmunzler glitt über meine Lippen und auch Tom musste lächeln. „Tja, da haben wir wohl beide erhöhten Nachholbedarf Nott“ zustimmend nickte ich und begann, die Briefe wieder zurück in die Kiste zu räumen. Tom stand ebenfalls auf und wollte gerade das Zimmer verlassen, als ich ihn aufhielt. „Danke, dass du nach mir gesehen hast. Es hat wirklich gutgetan, mit dir zu sprechen. Auch wenn ich dich immer noch am wenigsten von all meinen Freunden leiden kann, bist du dennoch ein guter Freund. Ich danke dir“ Tom drehte sich zu mir um und auf seinen Lippen erschien ein Lächeln. „Nicht dafür Estelle. Versuch jetzt ein wenig zu schlafen. Morgen ist wieder Unterricht“ Tom umfasste gerade die Türklinke, als ich ihn abermals aufhielt. „Kannst du mir etwas versprechen? Ich weiß, dass ich nicht das Recht habe, dich um etwas zu bitten, aber pass mir bitte auf Malia auf. Sei bitte einfach für sie da… Sobald ich wieder klarkomme, werde ich mich bei Malia entschuldigen, aber das kann ich jetzt einfach nicht“ er nickte mir zu und verließ dann auch mein Zimmer. Ich stand auch vom Boden auf und schmiss mich direkt in mein Bett. Das Weinen hatte mich einfach müde gemacht, sodass ich in einen traumlosen Schlaf verfiel.

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