• Kapitel 6 •

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Kapitel 6:
Nicht ich selbst
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Neugierig öffnete ich den Briefumschlag, und holte einen bereits völlig vergilbten Zettel aus ihm hervor. Als ich ihn in meinen Händen hielt, begann mein Herz schneller zu schlagen. Ich konnte eine geschwungene Handschrift ausmachen, und begann gierig damit, die Wörter zu verschlingen.

Hallo an die wundervollen Menschen, die unsere Tochter aufgenommen haben.

Wir danken euch von ganzen Herzen, und wünschen euch und ihr nur das beste. Wir hoffen dass sie bei euch in guten Händen ist, und vertrauen darauf, dass sie ein schönes und glückliches Leben haben wird. Fernab von all dem Bösen welches in den Menschen steckt.

Leider haben wir nicht das Glück, sie aufwachsen zu sehen. Es tut weh, doch manchmal muss man der Tatsache ins Auge sehen, dass man los lassen muss, um seine Lieben zu beschützten.

Völlig geschockt starrte ich auf das Blatt Papier in meinem Händen. Dieser Brief stammte von meinen Eltern.. von meinem leiblichen Eltern.

Verwirrt starrte ich zu Raven hoch, die mitgelesen hatte. „Dass man los lassen muss, um seine Lieben zu beschützten..? Was zum Teufel soll das bitte heißen?" murmelte ich. Raven nahm mir den Brief aus der Hand, und überflog ihn erneut.

„Vielleicht waren sie gezwungen dazu, dich aus zusetzten. Vielleicht wärst du sonst in Gefahr gewesen.." mutmaßte sie. Nachdenklich starrte ich sie an. „Kann sein.. aber wieso haben sie das dann nicht in den Brief geschrieben? Wieso haben sie sich nicht erklärt?" Raven sah mich mitleidig an, und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, Reyna." Tränen traten in meine Augen.

„Das macht doch alles keinen Sinn.. vielleicht waren sie auch einfach nur verantwortungslos, und hatten keine Lust auf ein Baby." sagte ich, und während ich das aussprach flammte Wut in mir auf. „Das könnte auch sein.." stimmte Raven mir zu, und drückte mir den Brief zurück in die Hand.

Und als meine Finger erneut das Pergament berührten, passierte etwas merkwürdiges..

Denn ich sah Bilder in meinem Kopf. Bilder, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Vor meinem inneren Auge, sah ich nach wie vor den Brief. Allerdings war ich gerade dabei, ihn zu schreiben. „Was zum-" entfuhr es mir geschockt. Ich schien an einem großen, alt aussehenden Holztisch zu sitzen, und als ich zu meiner Hand herunter schaute, blitzte mir dort ein schwarzer Kugelschreiber entgegen. 

Nur gab es da ein Problem..

Denn das war gar nicht meine Hand. Und auch nicht mein Kugelschreiber. Oder mein Tisch. Das war nicht ich. Ich sah dabei zu, wie eine fremde Person diesen Brief schrieb. Schließlich tropften Tränen auf das Papier, die die frisch geschriebenen Buchstaben zum verlaufen brachten. Ehe ich dazu kam, etwas zu tun oder zu sagen, spürte ich plötzlich eine Hand an meinem Arm, die mich zurück in die Realität riss. Es war Raven. Sie sah mich besorgt an.

„Reyna? Ist alles okay?" fragte sie ernst. Plötzlich waren die Bilder vor meinem inneren Auge verschwunden, und ich sah langsam und völlig perplex zu ihr herüber. „Du hast aufeinmal total verängstigt auf den Brief gestarrt.." fuhr sie fort.

Ich schluckte schwer, und atmete tief durch. Ich musste wirklich völlig durch drehen.

Hastig legte ich den verdammten Brief zur Seite, und erhob mich von meinem Bett. Mit meinen Fingern massierte ich meine Schläfen, und ging auf das Badezimmer zu. „Tut mir leid, ich bin nur völlig fertig. Ich geh mich duschen, und dann hau ich mich hin." sagte ich mehr zu mir selbst, als zu ihr.

Sie nickte verständnisvoll. „Mach das." Ich nickte. „Ja." Und danach würde ich hoffentlich dieses gruselige Erlebnis aus meinem Kopf bekommen.

•••

Als ich am nächsten Morgen völlig fertig beim Frühstück saß, beschäftigten mich diese merkwürdigen Bilder vor meinem inneren Auge noch immer. Vor mir saßen Noah, Stormy und Leo, die ich bereits in alles eingeweiht hatte. Naja, bis auf das mit dieser „Vision" wie ich es nannte.

Ich hatte ja selbst noch nicht einmal begriffen, was da eigentlich geschehen war.

„Das ist echt Crazy.." schoss es aus Stormy, nachdem ich ihnen von dem Brief erzählt hatte. Ich nickte. „Und wie." Leo lehnte sich neugierig zu mir vor. „Wie geht es Tracy?" fragte er. „Ihr geht's gut. Mach dir keine Sorgen um sie.. Achja, ich soll dich von ihr grüßen. Ich bin sicher, eurer Streit tut ihr leid."

Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht.

Noah hatte mich schon die ganze Zeit über erwartungsvoll gemustert, und er hörte nach wie vor nicht damit auf. Bis er sich schließlich laut räusperte. „Reyna.. da ist doch noch etwas.." setzte er plötzlich an. Überrascht zuckte ich zusammen, und lies mein Brötchen fallen. „Was?"

„Da ist noch etwas, was dich beschäftigt.." hing er an. Ich zog einen Mundwinkel nach oben. „Wie kommst du denn darauf?" Daraufhin begann er, breit zu grinsen. „Tja meine Lieben.. wie es aussieht, bin ich in der Lage dazu, Gefühle zu lesen."

Stormy fiel vor Schreck die Gabel aus der Hand. „Was?" Leo sah ihn begeistert an. „Abgefahren.." Noahs Grinsen wurde breiter. „Nicht wahr?" „Seit wann?" fragte Stormy aufgedreht. „Erst seit ein paar Tagen.. es ist alles noch durcheinander, und oft kann ich die verschiedenen Gefühle nicht auseinander halten, aber immerhin spüre ich sie.."

Plötzlich klatschte Stormy freudig in die Hände, und sprang auf. „Omgg!!! Wisst ihr, was das heißt?" rief sie aufgedreht. Leo sah sie planlos an. „Was denn?" „Das ich wahrscheinlich die gleiche Gabe habe! Sie hat sich nur noch nicht gezeigt!"

„Gleiche Gene, gleiche Fähigkeiten..?" murmelte Leo verwirrt. Noah nickte. „Ganz genau."

Doch ich hörte ihnen gar nicht mehr richtig zu, denn als ich ein gewisses Augenpaar auf mir spürte, drehte ich mich zur Seite, und entdeckte schließlich Corey, der mich irgendwie komisch anstarrte.

Was war denn jetzt bitte sein Problem?

Auffällig starrte ich zurück, und nach 2 Minuten intensiven Starrens, entschied er sich, endlich wegzuschauen. Plötzlich klingelte es lautstark, was das Ende der Pause signalisierte.

Oh verdammt. Gleich hatten wir Gemeinschaftstraining, und ich hatte absolut keine Lust darauf. Und als wir keine 5 Minuten später den Trainingsplatz betraten, wusste ich auch, wieso..

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