Kapitel 3

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Mit einer kurzen Kopfbewegung zeige ich, dass wir gehen sollten und Chris hat nichts mehr dagegen. Andreas ist noch da und würde sich später darum kümmern, dass die Halle abgesichert ist. Draußen auf dem Hof will ich in die Richtung meines Hauses gehen, bekomme aber mit, dass Chris kurz stehenbleibt und zwischen zwei Sachen hin und her schaut.

Zum einen zu mir, weil ich weitergehen will, damit wir schnell zu Hause ankommen würden und zum anderen zu seinem Auto, mit dem er hergekommen ist. »Du kannst heute bei mir bleiben, wenn du magst.« Ich würde das gerne hervorbringen, aber was ist, wenn er das nicht will? Wenn wir erstmal brauchen, bis wir alles zwischen uns aufgearbeitet haben? Aber er hatte dich vorhin geküsst, Juliette. Kurz verweilt sein Blick auf dem Boden, bevor er zu mir aufschließt und sanft lächelt. Ich wage mich ebenfalls an einem, aber mein Blick hängt die ganze Zeit auf seinen Lippen, die vorhin noch auf meinen eigenen lagen.
Chris: Ich...hole das einfach später. Steht hier ja sonst auch immer für Tage rum, die paar Stunden sind dann auch egal."
Ich nicke und zusammen brechen wir den Heimweg an. Still schweigend laufen wir nebeneinander her, bringen kein Wort hervor und wir trauen uns nicht mal, dass wir einander anschauen würde. Das scheint heute ein interessanter Abend zu werden...Chris steht hinter mir, als ich meine Haustür aufschließe und er kommt mir erst nach, als ich bereits drinnen bin. Mit seiner starren und verkrampften Art steht er auch weiterhin hinter mir, während ich die Tür wieder abschließe und den Schlüssel zur Seite auf die Ablage lege. Erst danach drehe ich mich um und schaue zu ihm hin. Wieder diese bedrückende Stille und es scheint auch nicht so, dass er diese dieses Mal mit seinem Lachen durchbrechen will.
Juliette: Wollen wir...ins Wohnzimmer?"

Hatte ich gehofft, dass gleich von Beginn an wieder alles normal ist, wie zuvor? Irgendwo ja, aber war es auch realistisch? Eigentlich nicht. In den letzten Monaten, und vor allem den letzten vier Wochen, ist so viel zwischen und vorgefallen, dass das hier jetzt irgendwie die logische Konsequenz davon zu sein scheint. Wenn wir ehrlich sind, dann waren wir in der Halle auch schon seltsam. Das einzige, was uns wohl zu der Aktion vorhin getrieben hat, wird die Euphorie gewesen sein, dass wir uns endlich wieder gegenüberstehen und die Wahrheit vom anderen erfahren. Jetzt müssen wir dieses seltsame Zwischenstadium überstehen, damit es besser werden kann.

Zwar hat Chris bisher noch keine richtige Reaktion auf das gegeben, was ich gefragt habe, aber ich entscheide mich jetzt dazu, dass ich ins Wohnzimmer vorgehe und weiß, dass er mir sowieso folgen wird. Eben das passiert und während ich noch die Rollos zur Hälfte runterlasse, nimmt er vorsichtig auf dem Sofa Platz. Relativ steif sitzt er dort, hat die Hände auf den Beinen liegen, lässt seinen Blick immer wieder zu mir wandern und schweift auch kurz darauf wieder zu irgendwas anderem ab.
Juliette: Also..."
Auch wenn ich sehr leise dieses kurze Wort hervorgebracht habe, in unserer Stille wirkt es verdammt laut und zieht gleich seine komplette Aufmerksamkeit auf mich.
Juliette: Wenn du magst, ich habe noch etwas Lasagne von gestern übrig. Dann könnten wir noch zu Abend essen."
Chris: Das klingt ganz gut."
Ich nicke und lächle, will gerade zur Küche gehen, wende mich vorher aber doch nochmal an Chris.
Juliette: Du weißt, dass die vegan ist?"
Er lacht, endlich, und steckt mich damit an. Endlich etwas anderes als Stille in diesem Haus.
Chris: Ich kenne dich lange genug, dass ich das weiß. Damit habe ich kein Problem, ich werde es bestimmt überleben."
Juliette: Ich wollte dich nur vorwarnen."

Unter seinem Lachen gehe ich in meine Küche, heize den Ofen vor und hole die Reste von gestern aus dem Kühlschrank, damit ich sie danach in den Ofen schieben kann. Den Timer in meinem Handy stelle ich auf 30 Minuten ein und gehe danach doch wieder zu Chris ins Wohnzimmer.

Es braucht ein bisschen Überwindung, dass ich mit zum Sofa komme und mich neben ihn setze. Mit etwas Abstand zwischen uns sitzen wir da, schaffen es nicht, uns anzusehen oder einen Satz anzufangen. Alles, was in den letzten Wochen in meinem Kopf kreiste, ist auf einmal so still geworden, obwohl es mich tagelang wachgehalten hatte. Und ihm scheint es ähnlich zu ergehen. Chris spielt nervös mit seinen Händen, kaut auf seiner Lippe herum und starrt auf meinen Boden. Manchmal habe ich die Angst, dass er in dieser Stille mein nervösen Herzschlag hören könnte, der mir so massiv in den Ohren dröhnt, dass ich meine Gedanken noch weniger ordnen kann. Mit den Händen greift er sich an seinen Knien fest, Atmet einmal tief durch und hebt seinen Blick anschließend in meine Richtung. Irgendwie wirkt dieser jetzt deutlich ernster und bedrückender, als es zuvor noch der Fall gewesen ist.
Chris: Ich weiß, dass ich an diesem Morgen in München echt Scheiße gebaut habe. Ich hätte nicht einfach abhauen sollen. Ich hätte diese Nachricht nicht schreiben sollen. Ich hätte dich nicht ignorieren sollen. Ich hätte so viel tun sollen und habe es nicht getan."
Juliette: Ich fand es echt scheiße, dass du einfach abgehauen bist."
Er nickt, weiß, dass ich recht habe und gesteht es sich auch selbst ein. Nach und nach kommen mir die Worte jetzt auch wieder und ich kann sortieren, was bitte passiert ist.

Bevor ich weiterrede, setze ich mich etwas weiter in seine Richtung, was er mir nachmacht, sodass wir einander besser anschauen können. Dabei lächelt er sanft und vorsichtig.
Juliette: Ich habe überhaupt nicht verstanden, warum du einfach gegangen bist. Ich habe mich immer wieder gefragt, warum du mich nicht geweckt hattest. Es war ein Schock, als du am Morgen einfach nicht mehr da gewesen bist. Und das einzige, was dagewesen ist, war diese kalte und emotionslose Nachricht."
Chris: Ich hatte Angst."
Ich unterbreche ihn nicht, ich seufze nicht, ich versuche keinerlei Geräusch von mir zu geben und Chris einfach still zu folgen.
Chris: Ich hätte nicht gewusst, was ich dir hätte sagen sollen, was wir hätten besprechen sollen. Auf einmal stand so viel im Raum. So viel Wahrheit und so viele ungeklärte Fragen, dass ich einfach überfordert gewesen bin. Ich musste weg und wollte nicht weg. Ich wollte Antworten und konnte sie dir nicht geben."
Juliette: Weglaufen scheint manchmal die einfachste Lösung zu sein."
Chris: Aber es war die Falsche und das weiß ich heute auch...

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