Kapitel 32

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Mit einem Lächeln bedanke ich mich bei meinem Bruder, nehme den Schlüssel aus den Schloss und während er bereits in meinem Haus verschwindet, laufe ich wieder über den Hof und anschließend die Straße rauf. Die Laternen am Straßenrand gehen bereits an, die Sonne ist bald verschwunden und dadurch wird es auch nochmal wieder etwas kälter. Aber wie gesagt, der Weg ist nicht lang und daher komme ich auch ziemlich schnell bei der Halle an und kann gleich durch die Seitentür zu den Büros gehen.

Innerhalb der Pause ist es hier immer unheimlich leer. Die meisten aus der Crew kommen zu normalen Zeiten her, sind jetzt bereits lange weg. Alle Türen sind geschlossen, es ist hier ziemlich dunkel, aber von oben kommt noch etwas Licht. Die paar Stufen laufe ich rauf, gehe den Flur etwas weiter runter und komme dann auch bei seinem Büro an. Vorsichtig gehe ich rein, aber heute scheint Chris keine Kopfhörer aufzuhaben und bemerkt sehr schnell, dass er nicht mehr allein hier ist.
Chris: July...was machst du hier? Warum bist du nicht zu Hause?"
Juliette: Ich habe mir Sorgen gemacht."
Darüber kann er nur milde lachen, aber weil ich recht habe. Weil er mittlerweile gemerkt hat, dass er sich nicht vor mir verstecken kann und auch nicht braucht. Mit einer kurzen und minimalen Kopfbewegung zeigt er, dass ich zu ihm kommen soll, was ich dann auch mache. Zuerst bin ich etwas misstrauisch, als ich vor ihm stehe und er sich weiter an den Rand seines Stuhles setzt, aber als er sich danach zu mir dreht, seine Arme um mich legt, damit er sich an mich drücken kann, atme ich wieder entspannt aus und gehe mit den Händen durch sein Haar.
Juliette: Was machst du hier?"
Chris: Alles und zu viel."
Ich lache, weil ich mir das schon denken konnte und er lacht, weil er weiß, dass das keine gute Aussage gewesen ist. Chris weiß, dass das sein Grundproblem sein wird.

Einen Blick lasse ich auf seinen Bildschirm wandern, allerdings sind mehrere Tabs offen. Auf der einen Seite ein Schreibprogramm, dann einige Skizzen, wieder unser Lagerbestand und zuletzt eine Mail von irgendeinen Meister. Da würde ich auch den Kopf verlieren.
Chris: Keine Ahnung...ich wollte das Lichtkonzept fertig haben, dann war was mit der Illusion und Phil hatte noch Fragen. Dann war die Prüfung von Kyra, die angemeldet werden muss und für Berlin gab es noch eine Änderung und dann-"
Eine Hand lege ich unter seinen Kopf und bringe ihn jetzt dazu, dass er zu mir rauf schauen muss. In seinem Satz hält Chris inne, hält kurz die Luft an.
Chris: Zu viel..."
Ich nicke und er lacht. Keine Ahnung, wie oft ich ihm das schon gesagt habe und einiges der Dinge, die er unbedingt jetzt sofort erledigen muss, kann er auch noch in Wochen erledigen. Er selbst stresst sich so sehr und dass sieht man ihm an. An seinen dunklen Augenringen, seinen zerzausten Haaren und seinem leichten Bart.
Juliette: Bleib bei mir heute Nacht..."
Chris: Aber dein Bruder..."
Juliette: Der ist mir scheißegal, Chrissy. Außerdem weiß der genug über uns, das wir lange nur was lockeres hatten. Komm wieder mit zu mir, lass die Arbeit hinter dir, lass die Gedanken zurück, komm nach Hause."
Chris: Nach Hause...das klingt ganz gut..."

Langsam löst er seine Arme von mir, schaut einmal wieder auf seinen Mac, schließt alle Tabs, fährt den runter und lässt anschließend alles stehen und liegen, bevor er von seinen Platz aufsteht, damit er sich seine Jacke überziehen kann.
Juliette: Baptiste kocht gerade das Abendessen und vielleicht können wir später zu dritt auch einmal richtig Skat spielen."
Das Lächeln, was er mir dann zeigt, macht mich glücklich. Dass er sich mit dem, was wir zu dritt machen können, anfreundet und einen Moment nicht an meinen Bruder denkt. Ein paar wenige Unterlagen legt er nochmal auf den Platz seines Bruders, schaut nochmal darüber, bis ich zu ihm gehe und nach seinen Arm greife.
Juliette: Komm, es ist schon spät geworden, Chrissy."
Chris muss sich wirklich dazu zwingen, den Tisch von Andreas hinter sich zu lassen und die Arbeit für den Tag zu beenden. Kurz schließt er dafür die Augen, nuschelt irgendwas zu sich selbst, bevor er auf mich zukommt, meine Hand nimmt und mit mir gemeinsam dann das Büro von ihm und Andreas verlässt.
Juliette: Wie waren die letzten Nächte?"
Chris: Scheiße."
Ich würde darüber keinen Muchs verlieren, einzig Chris muss unsicher lachen und schaut zu mir zurück, während wir beide die Treppe runterlaufen.
Chris: Ich bin einfach unruhig, weil mir immer wieder noch etwas in den Kopf kommt, was noch erledigt werden muss. Wird schon wieder..."
Juliette: Heute bist du ja bei mir."

Chris nickt einzig, da wir dann unten ankommen. Alle anderen Arbeiter sind bereits weg, er war der letzte, der noch hier geblieben ist und daher muss er die Alarmanlage wieder scharfstellen, was nicht sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Das letzte Mal checkt er das, die Lampe leuchtet aber rot auf und dann kommt er zu mir. Nebeneinander gehen wir die Straße rauf, schweigen ein wenig, aber ich habe das Gefühl, dass Chris einmal wieder frei durchatmet und ein wenig zu sich selbst findet.

Bei mir zu Hause schließe ich die Haustür wieder auf und lasse Chris mit rein, wonach ich aber auch gleich wieder abschließe.
Baptiste: Du bist wieder da, ich..."
Er kommt gerade um die Ecke und sieht dann auch gleich Chris, der sich zuerst entschuldigen will, dass er als spontaner Gast noch wieder hier ist, aber mein Bruder lenkt das gleich mit seinem Lächeln ab.
Baptiste: Sehr gut, ich habe viel zu viel gemacht."
Chris lacht. Chris lacht richtig, wie ich es gewohnt bin, auch wenn er das noch etwas versucht zurückzuhalten. Mit einem Grinsen auf den Lippen schaue ich zu Chris hin.
Juliette: Das macht er immer."
Baptiste: Ich koche seit Jahren für drei Personen, was soll ich machen?"
Bevor auch nur irgendwer etwas sagen könnte, geht mein Bruder wieder zurück in die Küche und Chris und ich wollen erstmal die Sachen wieder ausziehen, Jacken aufhänge, Schuhe zu Seite stellen. Erst im Anschluss daran gehen wir zu meinem Bruder mit in die Küche, wobei ich zu ihm gehe und Chris sich gegen den Tisch lehnt.

Baptiste stellt wieder eine Schale in die Spüle und sucht in einen meiner Schränke nach dem richtigen Gewürz. Ich schaue mir das, was er bisher geschafft hat, einmal richtig an und merke wieder, wie sehr ich das Essen meines Bruders vermisst habe.
Baptiste: Ich bin bald fertig, wir könnten ja im Wohnzimmer essen."
Juliette: Klingt gut. Chris und ich können gleich den Tisch schnell decken."
Mein Bruder bestätigt das nur schnell, weil er endlich das gefunden hat, was er zu lange in den falschen Schränken gesucht hat. Aus den Schubladen suche ich bereits das Besteck zusammen, als sich Baptiste wieder zu uns dreht.
Baptiste: Was haben wir heute Abend vor?"
Juliette: Ich dachte, dass wir einfach ein paar Runden Skat spielen könnten."
Baptiste: Du kannst Skat?"
Chris: Nein, kann sie nicht."
Beleidigt schaue ich zu Chris rüber, der sein freches Grinsen auf den Lippen hat und im Hintergrund höre ich meinen Bruder lachen.
Chris: Sie versteht nicht mal die Regeln von Bauernskat."
Baptiste: Sie ist da einfach zu ungeduldig für."
Und plötzlich fühle ich mich wie das fünfte Rad am Wagen, als mein Bruder und Chris anfangen sich das erste Mal richtig zu unterhalten. Ehrlich, das bin ich gerade aber auch gerne...

Never Less Than a LoverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt