Kapitel 4

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Irgendwann lässt Chris seine Knie wieder los, geht sich mit den Händen einmal durchs Haar, legt es sich zurück, aber als er dieses wieder loslässt, fällt es sowieso wieder in alle Richtungen. Irgendwie scheint es so, als würde er mit der Hand nach mir greifen wollen, aber das traut er sich gerade nicht. Noch nicht.
Chris: Ich bin ein grauenhafter Feigling und habe so jemanden wie dich in keinster Weise verdient."

Ich muss ein wenig schmunzeln, was Chris gerade aber gar nicht mitbekommt, da sein Blick auf allerhand Dingen liegt, außer auf mir.
Chris: Ich konnte es dir vor drei Jahren nicht sagen und irgendwann war es zu spät. Ich konnte dich am Morgen nicht wecken und irgendwann war es zu spät. Ich konnte dir nicht antworten und irgendwann war es mal wieder zu spät."
Als würde er noch etwas sagen wollen, stoppt Chris auf einmal, hebt seinen Blick und fokussiert mich mit diesem. Ab den Moment schaffe ich es gar nicht mehr, mich von ihm abzuwenden, an etwas anderes zu denken oder vom Thema abzukommen. Und zugleich weiß ich nicht, was jetzt folgen soll und wird.
Chris: Ich will, dass das mit uns nicht zu spät ist..."
Irgendwas, was zwischen uns läuft, als »uns« zu bezeichnen, wirkt noch so fremd. Es gab uns als Deal, als Fake-Paar, als Lügner. Und das hört man auch in seiner unsicheren Aussagen. Unsicher, was ich darauf antworten könnte oder was allgemein das Ende sein wird.
Juliette: Wovor hast du jetzt Angst?"
Chris: Reicht es? Sind wir genug? Ist es noch nicht zu spät?"
Juliette: Wofür zu spät?"
Chris: Für ein »uns«. Für ein »wir«."

Meine Worte verblassen in meinem Kopf und kommen auch nicht wieder. Irgendwie schafft es dieser Mann immer wieder, mich mit genau solchen Worten aus den Konzept zu bringen. Vorsichtig löst er sich aus seiner Haltung und greift langsam nach meiner Hand. Bedacht darüber zu sehen, wie ich reagiere. Seine Hand jetzt wieder in meiner zu spüren, nimmt mir ein wenig die Nervosität, gibt mir Sicherheit und den Halt, den ich gerade brauche.

Typisch für ihn schafft Chris es nach seinem letzten Satz nicht mehr, mich anzusehen. Stattdessen liegt sein Blick auf unseren Händen und währenddessen geht er nervös mit dem Daumen über meinen Handrücken und legt sich innerlich vermutlich die Worte zurecht, die mir gerade mal wieder fehlen. Als müsste er sich dazu überreden, stoppt er einen Moment in dieser Bewegung, atmet ein und hebt anschließend wieder seinen Kopf, sodass sich unsere Blicke wieder treffen. In seinem liegt ein Hauch von Sicherheit und zugleich Nervosität, während in mir gerade trausende Leitungen laufen und sich das zusammenreimen, was er mich fragen will.
Chris: Kann es ein »wir« zwischen uns beiden geben, Juliette?"
Juliette: Sei kein Feigling mehr, Chris."
Kurz stockt er nach meinem Satz, bevor er es nachvollziehen kann und sich erneut gut zureden muss, damit er eben das über die Lippen bringen kann, was ich genau von ihm hören will. Damit das ganze hier nichts Halbes und nichts Ganzes zu sein scheint, sondern endlich das wird, was es sein soll. Was wir beide voneinander wollen.
Chris: Kann das offiziell mit uns werden? Willst du richtig und echt Freundin sein, Juliette?"

Zuerst schaue ich ihm noch ohne Regung an, aber zu gut weiß er, dass ich meine Emotionen und Reaktionen vor ihm gar nicht verheimlichen kann. Stattdessen muss ich langsam anfangen freudig zu grinsen und bemerke, dass bei ihm gerade tausende Laster abfallen müssen, als er das mitbekommt. Dazu bekomme ich vorerst kein Wort hervor und bringe mich zuerst zu einem nicken, was Chris bereits zum Lächeln bringt.
Juliette: Ich glaube, wie wären Vollidioten und nicht mehr ganz bei Sinnen, wenn wir es nicht miteinander versuchen würden".
Chris: Waren wir jemals in irgendeiner Beziehung sinnvoll?"
Zurückhaltend lachen wir beide und mein Blick fällt in den Moment auch runter auf unsere Hände, die er noch immer zusammenhält. Schräg schaue ich wieder zu ihm auf und lächle sanft.
Juliette: Dann können wir damit jetzt ja anfangen."
Ein »wir« gab es im Privaten. Ein »wir« gab es in unserer Lüge. Ein »wir« gab es zwischen uns beiden, wenn keiner dabei gewesen ist. Und ab jetzt gibt es uns offiziell und richtig als »wir« und ich glaube, dass wir uns beide daran erstmal gewöhnen müssen.

Als Chris mich mit seinen Blicken festhält, legt er zudem auch noch eine Hand wieder an meinen Kopf. Seine Bewegung erscheint noch so vorsichtig und zurückhaltend, als würde er gerade nichts falsch machen wollen. Aber als wir uns einen Moment verträumt anschauen – immerhin ist die erste Hürde geschafft – lächelt er noch einen Moment, bevor er den Abstand zwischen uns beiden wieder verringert. Dinge einfach nur so machen zu können, daran müssen wir uns wohl noch gewöhnen. Aber eine Sache gibt es, an die ich mich niemals gewöhnen möchte und das sind diese Momente, die ich mit Chris, mit meinem Freund, ab jetzt teilen kann und werde. Beinahe berühren sich unsere Lippen wieder, gerade will ich eine Hand an seinen Arm packen, damit dieser Moment etwas andauern könnte, aber mein Handy mit dem Signal, dass die halbe Stunde vorbei ist, macht uns einen Strich durch die Rechnung. Aber Chris und ich können beide darüber lachen und schauen auf eben dieses Gerät, was ich auf dem Tisch liegen habe.
Chris: Irgendwie...zu erwarten gewesen."
Juliette: Irgendwie hast du recht."

Mit einem Tippen auf den Bildschirm stoppt der penetrante Ton und ich stehe anschließend vom Sofa auf, um wieder in die Küche zu gehen, damit ich den Ofen ausstellen kann.
Chris: Benötigst du Hilfe?"
Juliette: Alles gut, das schaffe ich schon. Aber danke."
Die Lasagne wird aus dem Ofen geholt, parallel krame ich zwei Teller und Besteck aus den Schubladen und Schränken und bringe das als erstes ins Wohnzimmer. Erst danach hole ich die Auflaufform mit dazu und geselle mich wieder zu Chris. Und ab da scheint alles ein bisschen leichter zu sein...

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