Kapitel 20

22 6 2
                                    

Die Mische, die mir Chris gemacht hatte, ist für meinen Geschmack beinahe ein wenig zu stark. Der Alkohol darin schmeckt etwas zu bitter und zu präsent, aber schlussendlich treiben mich die Gespräche doch dazu, dass ich das Glas nach und nach austrinken werde.

Zu Martyn und Matze hatte ich immer schon einen guten Draht, aber die beiden waren immer mehr für sich geblieben. Ob da mal was lief, keine Ahnung, auch nicht mein Thema, auf jeden Fall zwei korrekte Typen. Und Kyra ist eben...typisch Kyra. Mittlerweile ist sie etwas aufgetaut, aber es liegt eben in ihrem Wesen, dass sie ansonsten eher zurückhaltender unterwegs ist. Grundlegend herrscht zwischen uns eine entspannte Stimmung und ich versuche alles, was das Thema »Chris« betreffen könnte, aus dem Weg zu gehen. Ja, ich habe nichts davon erwähnt, aber jemand hatte andere Bedürfnisse, jedes Mal, wenn es möglich war, es anzusprechen.
Martyn: Steht bei euch noch was an, bevor die Proben richtig losgehen?"
Alle antworten irgendwas, haben immer noch etwas vor, bevor die Arbeit hier wieder in Bünde ruft und zuletzt, da ich leise geblieben bin, schaut Martyn zu mir hin.
Juliette: Ein paar Tage in den Niederlanden sind demnächst geplant."
Levi: Vermutlich als kitschiger Pärchenurlaub. Zusammen in einem Ferienhaus kann ich mir vorstellen, was ihr den lieben langen Tag treiben werdet."
Alle gucken sie ein wenig angewidert an, während ich mein unwohles Gefühl wieder in einem Schluck Alkohol ertränken will. Die ganze Zeit, in der ich bereits hier bin, kommt von der Seite immer wieder genau solche Kommentare. Die sind nicht wie diese, die sie in dem halben Jahr vorher abgegeben hatte. Diese hier sind aber deutlich von oben herab, abwertend und gar nicht mehr lustig gemeint.

Alle schauen sich irgendwie im Raum um, weil jedem gerade alles unangenehm ist, der Alkohol brennt in meiner Kehle, das Glas ist halb leer und ich will einfach nur, dass das hier ein normaler Abend wäre. In die Stille herein lacht Martyn, versucht das vorherige Gespräch wieder anzufangen und alle scheinen nichts dagegen zu haben. Abgesehen von Levi, die lieber in ihren Wein starrt, zu mir aufblickt und, ich denke zumindest, dass sie es macht, an mir vorbei zu Chris schaut.
Levi: Und? Ist er heute Abend wieder bei dir?"
Juliette: Ja. Immerhin trinkt er ja auch etwas, muss sich dann kein Taxi rufen und außerdem würde er nicht wollen, dass ich nachts allein gehen muss."
Kyra: Das ist sehr süß von Chris."
Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass Kyra auch immer besser mit ihren Chef auskommt. Zumindest meidet sie ihn nicht immer wieder, trinkt auch mal in der Küche einen Kaffee mit ihm zusammen und hat sich für ein paar Designs in der Show auch schon mal mit ihm zusammengesetzt.
Levi: Könntest dich ja auch anständiger kleiden, dann müsste er sich keine Sorgen machen. Wen willst du überhaupt noch beeindrucken? Du hast dir doch schon den Chef geangelt."
Alle: Levi!"
Genervt hebt sie ihren Blick, ich trinke mein Glas aus, schaue das erste Mal am Abend zu Chris zurück, der jetzt auch zu uns rüberschaut und die Situation verfolgt.
Matze: Sowas kannst du nicht sagen, das geht zu weit."

Ihr Glas fällt um, als sie mit den Händen auf den Tisch schlägt und im nächsten Augenblick von ihrem Platz aufsteht. Einen letzten Blick wirft sie mir zu, schaut einmal wieder an mir vorbei zu Chris' Tisch, bevor sie schlussendlich doch geht. Alle an meinem Tisch starren mich an, in mir spüre ich neben der Wut auf Levi nur das Brennen des Alkohols – und Alkohol und Juliette ist keine zu gute Kombi – und trotzdem entscheide ich mich dazu, dass ich ebenfalls aufstehe und ihr nachlaufe.

Levi ist ein wenig schneller als ich, ist bereits aus dem Tor gelaufen, wodurch die Halle durchgelüftet werden soll, und ich renne ihr so gut es geht nach. Als ich draußen ankomme, werde ich ein wenig langsamer, schaue ihr nach, wobei sie keine Anstalt macht und nicht mal daran denken würde.
Juliette: Was ist dein Problem?"
An Ort und Stelle bleibt Levi plötzlich stehen, braucht aber einen Moment, bis sie sich dazu entscheidet, sich wieder umzudrehen. Näher zu mir kommt sie aber nicht.
Juliette: Ich merke, dass du uns nicht leiden kannst und ich dachte, dass es einfach daran liegt, dass ich so viel Zeit mit Chris verbringe. Aber jetzt versuche ich schon weniger über ihn zu reden, Zeit mit Freunden und mit dir zu verbringen, aber es reicht dir nicht."
Ihr genervter Blick weicht langsam, beschämt schaut sie auf den Boden, tritt von einem auf den anderen Fuß und ich verschränke meine Arme vor mir.
Juliette: Du bist meine beste Freundin Levi und ich will dich nicht verlieren...was mache ich falsch...was soll ich noch tun..."
Geistesgegenwärtig schüttelt sie mit den Kopf, schaut in die Dunkelheit der Nacht und scheint mich nicht mehr betrachten zu wollen.
Levi: Es tut mir leid, Juliette...das würdest du nicht verstehen..."
Und mit dem Punkt lässt sie mich dort auf dem Hof vor der Halle stehen und während sie geht, schaue ich ihr nach, bis auch ihr Schatten verschwunden ist.

Aus dieser Trance werde ich erst dann gerissen, als ich die Hände von Chris an meinen Armen spüre. Kurz zucke ich in mir zusammen, brauche auch, bis ich zu ihm schauen kann.
Chris: Hey...komm wieder mit rein."
Er muss es gesehen haben, er muss es gehört haben. Mein Blick ist zu lange noch auf die Straße gerichtet, wo rein gar nicht passiert, bis Chris mich einfach dazu bringt, dass ich wieder mit reinlaufe. Dort gehe ich schnell zu der Theke, wo die Getränke gemischt werden und greife als erstes auch nach der Flasche Gin. Ich weiß gar nicht, was ich will. Ich weiß einfach nur, dass ich mich betäuben muss.
Chris: Juliette."
Bevor ich auch nur einen Tropfen in mein Gals gießen könnte, greift Chris nach der Flasche und hält sie so von mir weg, sodass ich da gar nicht mehr rankommen könnte.
Juliette: Enculé, donne-moi ça!"
Bevor ich die Flasche erreichen würde, greift er nach eben diesem Arm, hält es fest und bringt mich dazu, dass ich zu ihm rauf schaue und seinen ernsten Blick sehe.
Chris: Du bist bereits angetrunken, hör bitte auf."
Ich habe ihn noch nie so besorgt mir gegenüber gesehen. Und wenn ich ihn so sehe, geraten meine eigenen Bedürfnisse auch immer weiter in den Hintergrund.
Chris: Du hast mir gesagt, dass du mit 15 quasi abhängig warst und du ertränkst alles nur im Alkohol. Bitte...tu es mir zuliebe...trink nichts mehr..."

Es schmerzt, dass ich dich so sehen muss...bei lustigen oder entspannten Momenten scheint es nicht so, als würde er mich davon abhalten wollen. Allerdings bin ich dort auch Herr von allem, was in mir los ist. Und ja, gerade würde ich einfach nur gerne alles loswerden und mir denken, dass es ein Problem von der Zukunfts-Juliette sein soll.
Chris: July..."
Die Flasche muss er wieder weggestellt haben, da er seine Hände kurz darauf um meinen Kopf schließt, meinen Blick die gesamte Zeit bei sich hält. Es schmerzt, dass ich dich so sehen muss...
Chris: Sie ist es nicht wert, July..."
In mir fällt alles zusammen und das ist der Moment, wo Chris mich in seine Arme zieht und umarmt. Ja, sie ist der Schmerz gerade nicht wert, aber Levi ist meine beste Freundin...

Never Less Than a LoverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt