Nach fast drei Stunden Show falle ich in meinen Stuhl, gehe mit meinen Händen durch mein Haar und löse auch das Haarband, weil es mich langsam nur noch nervt. Das Publikum ist bereits gegangen, die Technik wird für die Nacht fertig gemacht und ich bin sowas von fertig für den Feierabend. Müde zwar noch nicht, aber ich kann nicht mehr sitzen und brauche wieder frische Luft...und etwas Ablenkung von einer Levi, die den ganzen Abend über verhalten gewirkt hatte.
Unter dem Tisch und neben meinen Füßen liegt die Abdeckung fürs Mischpult, die ich aufhebe und damit aufstehe, damit ich das ordentlich abdecken kann. Martyn hat sich bereit erklärt, dass er hinter der Bühne alles abschaltet und sich von dort aus auf den Weg in den Feierabend macht. Daher stehe ich hier für mich allein, lege jede schnalle um die Ecken des Gerätes, lasse meinen Mac runterfahren und kontrolliere nochmal alles, wobei ich mir schnell sicher bin, dass ich hier auch fertig bin. Mein Handy nehme ich und stecke es in eine der Seitentasche meiner Hose, sodass ich danach meinen Stuhl ran stelle und überlege, ob ich den Pullover jetzt mitnehmen oder einfach hierlassen sollte. Diese Überlegung wird mir aber auch gleich wieder abgenommen, da, bevor ich danach greifen könnte, nach meinem Arm gegriffen wird, sodass ich ein paar Schritte zurückgezogen werde und ich mich gerade so noch auf den Beinen halten kann.
Juliette: Chris!"
Ich bekomme mich gelöst, schaue mit einem schwachen und verwirrten Lachen zu ihm hin, weil er nicht so aussieht, als wäre er fertig fürs Gehen. Seinen Schmuck hat er zwar abgelegt, trägt nur noch ein weißes Shirt und irgendeine dunkle Jeans, aber seine Haare sind noch immer gemacht, also ist er auch noch leicht geschminkt.
Chris: Komm bitte einfach mit, July."
Misstrauisch sehe ich ihn an, wir beide stehen mit etwas Abstand zueinander und er reicht mir eine Hand, die ich nur annehmen müsste. Für einen Augenblick zögere ich, aber als ich in seine dunklen Augen sehe, die mich wieder mit diesem lieblichen und verträumten Blicken löchern, sodass ich gar nicht anders kann, als seine Hand zu nehmen.Nachdem ich mich einmal auf ihn eingelassen habe, werde ich von Chris aus dem Innenraum mitgenommen und durch die Flure geführt. Ich habe wirklich mühe, bei ihm zu bleiben und Schritt zu halten und je weiter wir vorrankommen, desto schneller wird er, bis wir schlussendlich etwas laufen. Immer wieder schaue ich zu ihm nach vorne, wie er meine Hand festhält, sich gar nicht vom Plan ablenken lässt und mir ein Lächeln zuwirft, wenn er dazu kommt. Ich verstehe, was sein Vater gemeint haben muss.
Die letzte Tür, die uns nach draußen führt, stößt Chris mit beiden Händen auf, sodass er mich einen Augenblick loslassen muss und ich bleibe knapp dahinter stehen, als ich mitbekomme, dass es draußen stark angefangen hatte zu regnen. In der Annahme, dass er es mir gleichmachen würde, bleibe ich unter dem Dach stehen, schaue einmal in den Himmel, bevor ich Chris wieder erblicke, der sich nichts daraus macht, im Regen zu stehen und mich anzusehen. Seine Frisur fällt nach und nach in sich zusammen, seine Unreinheiten auf der Haut werden wieder sichtbar und sein Shirt beginnt damit an seinem Körper zu kleben, genauso wie seine Hose auch. Sprachlos schaue ich ihn mir an, als wäre es ihm komplett egal, was gerade passiert, außer der Fakt, dass ich nicht bei ihm bin. Denn wieder reicht er mir eine Hand entgegen, lächelt leicht und will mir damit sagen, dass ich ihm bitte einfach vertrauen sollte. Als ich einen Schritt nach vorne gehe, trete ich auch gleich in eine kleine Pfütze, ich spüre die ersten Tropfen auf meiner Haut und sehe wieder auf und zu meinem Freund hin. Der Regen tut sein übriges, er legt seinen Kopf leicht seitlich hin, grinst wieder etwas. Und vielleicht würde die Vernunft sagen, dass ich das nicht machen sollte, aber dieser kleine Funken in mir, der Freiheit und ein Leben wiederhaben wollte, nimmt am Ende die Hand von Chris an und bringt mich dazu, dass ich in den Regen gezogen werde. Mein Haar klebt an meiner Haut, mein Shirt und meine Hose saugen sich mit Wasser voll, mit jeden weiteren Schritt trete ich immer wieder in eine andere Pfütze, aber je weiter wir laufen, desto egaler wird mir das. Ich schaue nach vorne und sehe meinen Freund, dessen Shirt nichts mehr verheimlicht, seine Haare tropfen, liegen fast in seinem Gesicht und wir beide lachen einzig.
Chris führt mich genau zu dem Ort, wo wir heute morgen vorbeigelaufen sind. Die kleine Bühne am Rande des Sees, wo gerade eine junge Coverband steht, dem Regen standhält und das Keyboard ins trockene bringen muss. Unvorbereitet wird Chris langsamer, dreht sich um und legt seine Arme um mich, damit er mich an seinen nassen Körper drücken kann. Unverständlich schaue ich zu ihm rauf, um uns rum sind nur ein paar andere junge Erwachsene, die irgendwie in ihren 20ern sind und denen das Wetter nicht egaler sein könnte. Dazwischen sind wir beide, während die Band den nächsten Song Belong Together ansagt und Chris greift nach meinen beiden Händen, um mich ein Stück von sich wegzubekommen, mich wieder genauer betrachten zu können.
Chris: Gibst du mir den Tanz?"
Juliette: Ich kann das nicht."
Aber nichts im Leben könnte ihm in den Moment egaler sein. Weit entfernt von allem, was Standard oder irgendeine andere Tanzart wären, zeigt mir Chris einfach, was ich machen sollte, wobei es einfach nur ein freies Bewegen zur Musik ist. Mal zieht er mich näher zu sich, dann drehen wir uns umeinander oder wir beide können den Text vom Refrain mitsingen, da das Lied letztes Jahr oft genug im Radio gelaufen ist. Bis vor fünf Minuten konnte ich es nicht mehr hören oder leiden, aber der Moment hier jetzt, dass Chris mich nach einem Arbeitstag aus der Arena gezogen hat, um im Regen vor der Bühne dieser kleinen Coverband zu stehen und im Regen zu tanzen, macht das Lied wieder unvergesslich und wann immer ich es wieder hören werde, wird mir dieser Moment in die Erinnerung gerufen werden.Um mich in seiner Nähe zu halten, hält Chris eine meiner Hände fest, lässt aber weiterhin auch zu, dass wir beide uns von der Musik, den Rhythmus und der Melodie leiten lassen, um die letzten Augenblicke des Songs noch zu genießen. Ich schaue ihn an, muss wieder lachen, als er mich unter seinen Arm drehen lässt, damit er eben diesen danach um meine Taille legen und mich an seinen kalten Körper ziehen kann. Meine Hände lege ich an seine Brust, schaue zu ihm rauf und in seine Augen. Das erste Mal, seit einer verdammt langen Zeit, ist dieses ätzende Gefühl der Rastlosigkeit in mir verschwunden, weil ich endlich den Ort gefunden habe, wo ich hingehöre und hinwill. Mein zu Hause ist mein Freund, der mein zerstückeltes Leben wieder zusammengepuzzelt hat und es jetzt mit seinem Leben beschützt. Solche Momente habe ich unwissentlich gesucht und trotzdem zaubern sie mir ein glückliches Lächeln auf die Lippen, welches Chris dann zu spüren bekommt, als ich meine Lippen auf seine Lege...
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Never Less Than a Lover
Fanfiction10: Du gibst mir wieder Mut 09: Du zeigst mir das Gefühl von Geborgenheit 08: Du bist der erste, der mich richtig verstehen kann... Alles, was Juliette und Christian miteinander verband, war ein endloser Deal und ein Geheimnis, was niemals ans Licht...