In Bünde hat Chris sein Auto gleich schon auf meinem Hof stehengelassen, sodass wir zusammen zur Arbeit gehen konnten. Er hatte ein wenig was mit seinem Bruder zu klären, damit die Aufzeichnung von Diamonds ohne Probleme verlaufen würde und ich wollte mich nochmal mit Kyra zusammensetzen, weil sie bald ihre Konzepte in der Berufsschule abgeben müsste und noch ein paar Fragen an mich hatte. Daher ließ sich das beides gut miteinander verknüpfen und als wir bei der Halle ankommen, geht Chris seinen Weg zu den Büros und ich den Vorraum davon, weil unten ja mein eigenes ist.
In meinen kleinen vier Wänden sortiere ich einmal ein paar Sachen zurecht, räume einige weg und schmeiße den Müll weg, den ich hier angesammelt habe. Immer wieder schaue ich dabei auf die Uhr und auch auf mein Handy, ob mir Kyra geschrieben hatte. Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr Sorgen mache ich mir auch, weil sie nie unpünktlich ist und wenn sie mal zu spät ist, dann schreibt sie eigentlich auch. Aber heute kommt nichts davon. Stattdessen warte ich seit bald einer Stunde auf sie, drehe mich auf meinem Stuhl im Kreis und wähle zum dritten Mal ihre Nummer über mein Handy, aber ich werde gleich wieder auf die Mailbox verwiesen. Vielleicht hatte sie es falsch verstanden oder sich in der Zeit vertan und wartet bei der Probebühne, wobei ich ihr sehr klar geschrieben hatte, dass wir uns bei meinem Büro treffen werden. Anstatt aber weiter die Decke zu betrachten, meinen Tisch zu verstellen oder mich im Stuhl zu drehen, verlasse ich mein Büro, ziehe die Tür hinter mir zu und gehe durch die schwere Tür in die Halle. Weniger aus der Crew sind gerade hier, stattdessen werden sie die paar freien Tage, die sie gerade haben, nutzen und ich bin hier und suche verzweifelt meine Azubine. Okay, hier ist absolut niemand und die einzige, die ich schlussendlich bei der Probebühne und am Mischpult antreffe, ist Levi und die brauche ich gerade gar nicht und will daher auf der Stelle umdrehen. Wenn sie weiß, wo Kyra ist? Ich beiße mir auf die Lippen und drehe mich widerwillig um. Einen Moment stehe ich auf einen Fleck und zwinge mich dann dazu, dass ich auf sie zugehen muss, um eine Antwort auf meine Frage bekommen zu können.
Entweder hat sie mich nicht bemerkt oder sie beachtet mich sehr aktiv nicht. Je näher ich ihr komme, desto konzentrierter wirkt sie. Als hätte sie die Hoffnung, dass ich sie dann schon nicht ansprechen werde, aber leider funktioniert das so nicht. Mit genügend Abstand bleibe ich neben ihr stehen, schaue sie schweigend an und denke zuerst noch, dass sie bald mal aufschauen muss, aber merke noch schneller, dass sie das nicht vorhat.
Juliette: Hast du Kyra gesehen?"
Levi: Seit der Tour nicht mehr."
Kurz und knackig die Information, die ich haben wollte. Stumm nicke ich nur, stecke meine Hände in die Hosentasche und schaue vor zur Bühne, wo Levi gerade wieder einiges umgestellt hat, um offenbar die Pläne von Chris schnellstmöglich umsetzen zu können.
Juliette: Was machst du da?"
Levi: Arbeiten."
Ich sollte mich nicht provozieren lassen, aber leider habe ich ja auch noch Infos von meinem Chef-Freund bekommen, die ich vermutlich nicht haben sollte, die die ganze Sache aber nicht besser dastehen lassen.
Juliette: Warum wolltest du, dass der Plan geändert wird?"Das Scrollen auf dem Bildschirm hat ein Ende, das Tippen wird leiser, bis es komplett aufhört und auch wenn Levi ihren Blick noch nach vorne auf eben all ihre Unterlagen und Einstellungen gerichtet hat, ich merke gleich, dass sie das Arbeiten für den Moment vergessen hat und einzig bei dem festhängt, was ich angerissen habe. Warum ich es nicht lassen kann, weil ich innerlich vielleicht noch die Hoffnung habe, dass ich meine beste Freundin wiederbekommen kann. Irgendwo in dieser kalten und verletzten Fassade steckt noch immer die Levi, die ich immer wieder noch zu sehr vermisse.
Levi: Woher weißt du das bitte?"
Juliette: Chris hat es mir erzählt."
Levi: Natürlich hat er das..."
Herablassend muss sie etwas lachen, formt ihre Hände zu Fäusten und legt diese neben sich auf den Tisch ab, hebt ihren Kopf, sodass sich unsere Blicke sieht langer Zeit mal wieder treffen, wobei ich größte Mühe habe, ihrem standzuhalten.
Levi: Es hatte seine Gründe."
Juliette: Und mit dieser kindischen Entscheidung zerstörst du das ganze Team."
Das war der Schritt zu weit, den ich gegangen bin, sodass Levi ihren Stuhl zurückrollen lässt, als sie von eben jenen aufsteht und mir mit ihrer Haltung Angst macht.
Levi: Jetzt bin ich wieder schuld!? Es hatte eben seine Gründe, Juliette!"
Juliette: Dann sag sie mir doch, wenn sie sooo dringend gewesen sind!"
Ihre Faust öffnet sie und zeigt mit einen Finger auf mich, während ich etwas zurückweiche.
Levi: Weil ich mit dir nicht mehr arbeiten will! Ich will weder deine Kollegin noch deine Freundin sein! Ich will dich nicht mehr sehen!"Wusste ich, dass es an mir liegt? Sie hatte es mir im Club bereits gestanden, daher war das jetzt nicht die größte Überraschung. Und trotzdem schmerzt es, weil es mich wieder in die Situation versetzt, als meine Eltern erstmals gelogen haben und meinten, ich wäre nicht deren Tochter, weil sie nicht mit mir in Verbindung gebracht werden wollten. Damals habe ich keine Reaktion darauf gegeben, als sie mir im Streit gegen den Kopf geworfen haben, dass sie mich niemals sehen und haben wollten, dass ich einfach nach Hamburg abhauen sollte, aber gegenüber eines Menschen, der mich beinahe vier Jahre begleitet und mir eine beste Freundin war, bleibe ich nicht so eiskalt, wie ich es gerne wäre.
Levi nimmt ihre Hand gleich runter, als sie merkt, dass ich zumal keine weitere Antwort darauf gebe und ebenso, dass vereinzelte Tränen mein Gesicht runterlaufen. Sie hatte mich in den ganzen Jahren noch nie weinen gesehen und das wird auch der Grund dafür sein, dass sie plötzlich in ihrer starren und wütenden Haltung zusammenfällt und mich das erste Mal betroffen ansieht. Als würde sie wissen und merken, dass sie zu weit gegangen ist, aber mir ist das in den Moment egal und zu viel. Levi möchte nämlich einen Schritt auf mich zugehen, aber ich weiche gleich aus, werfe ihr noch einen letzten Blick zu, bevor ich mich umdrehe und wieder zu den Büros laufe. In der Zeit wische ich mir meine Tränen weg, sodass das auch erstmal nicht wieder auffallen würde und lasse mein Büro auch hinter mir, gehe zur Treppe und greife nach dem Geländer dessen, bleibe aber stehen. Ich kann doch nicht zum Chef laufen. Allerdings laufe ich nicht zum Chef, sondern zu meinem Freund, der als einziges wirklich weiß, was gerade ansatzweise in mir los ist und ihn brauche ich daher jetzt an meiner Seite. Also auch wenn in mir einiges dagegen schreit in die Büros der Chefs zu laufen, weil ich eine Auseinandersetzung mit Levi hatte, das kleine Mädchen in mir will einfach bei ihrem Freund sein und leider gewinnt sie. Andreas ist wieder nicht im Raum, aber Chris steht vor den Tischen, lehnt dagegen, hat seine Arme vor sich verschränkt und schaut mich misstrauisch an, als ich in seinen Raum komme.
Chris: Ist alles gut bei dir, July?"
Wortlos lasse ich mich aufs Sofa fallen, schaue einen Augenblick an die Decke, bevor ich strickt zu ihm sehe und leicht den Kopf schüttle.
Juliette: Nein, aber ich brauche gerade einfach meinen Freund und nicht den Chef."Leicht schmunzelt er, lockert sogleich seine Haltung und lässt danach auch seinen Tisch hinter sich, um sich neben mich zu setzen. Dabei schaut er mich zuerst nur leise an, wartet wohl darauf, dass ich einfach so mit der Sprache rausrücke, aber als Chris merkt, dass da nichts kommt, rückt er noch etwas näher an mich heran, legt einen Arm über meine Schulter, sodass ich danach auch meinen Kopf auf seiner Schulter ablege.
Juliette: Sie hat mich an meine Eltern erinnert..."
Ich hätte es anders ausdrücken müssen! Ich hätte es anders formulieren müssen! Ich hätte es nicht so sagen sollen! Sobald dieser Satz nämlich über meine Lippen gekommen ist, spannt Chris sich an, sein Blick verfinstert sich wieder und am liebsten würde er gleich aufspringen und zu ihr runterlaufen. Allerdings komme ich dem ganzen zuvor, setze mich auf und lege eine Hand gegen seine Brust, um ihn zu halten.
Juliette: Ungewollt! Ich hatte sie einzig gefragt, warum sie die Arbeitspläne hat ändern lassen wollen und sie...hat mir dann gesagt, dass sie mit mir nicht mehr arbeiten will. Dass sie nicht mal mehr meine Freundin sein will..."
Als ich mir wieder sicher bin, dass er ruhig und bei mir bleiben wird, lasse ich mich wieder zurückfallen und von Chris mich zu sich ziehen. Zu gut weiß er, dass in solchen Momenten keine schlauen Worte helfen, dass ich einzig verletzt bin und die Gedanken wieder hinter mir lassen will, bevor sie mich wieder vollkommen einnehmen.
Juliette: Die haben damals auch immer wieder gesagt, dass sie mich nicht wollen, haben mich geleugnet und waren nie für mich da...das als Kind zu hören..."Schweigend drückt er mich gegen sich, legt seine Hände auf meinen Rücken und lässt meine Worte und meine Gedanken für einen Augenblick verstummen. Das, was Levi gesagt und meine Eltern mir damals eingeredet haben, verblasst immer weiter, wenn er an meiner Seite ist. Vielleicht kann ich langsam innerlich heilen, weil ich hier eine richtige Familie gefunden habe, ohne, dass meine Eltern mit dazugehören müssen. Auch wenn das noch ein langer Weg sein wird.
Ich werde in den Moment von meinem Freund wieder freigegeben, als sein Bruder mit ins Zimmer kommt. Ich zwinge mir ein Lächeln auf, aber niemand würde mir das in diesen Moment abkaufen. Warum die Frage, was bitte mit mir los ist, nicht kommt, kann ich mir sogleich erklären, als ich einmal zu Seite schaue. Mit einzelnen Blicken verklickert Chris seinem Bruder, dass es die falsche Zeit für Fragen ist und dass sich das alles schon klären wird, aber nicht jetzt und heute.
Andreas: Hast du ihm die Kette geschenkt?"
Lachend schiebe ich den abrupten Themenwechsel zur Seite, schaue Chris nochmal wieder an, der ein leichtes Schmunzeln auf den Lippen hat und sehe mir den Anhänger davon auch nochmal genauer an, bevor ich nicke und Andreas ansehe.
Andreas: Immerhin mal etwas ordentliches."
Natürlich gibt Chris einen Kommentar dazu ab, während ich mich lachend ins Sofa fallen lasse und die Situation zwischen den Brüdern von außen beobachte...
DU LIEST GERADE
Never Less Than a Lover
Fanfiction10: Du gibst mir wieder Mut 09: Du zeigst mir das Gefühl von Geborgenheit 08: Du bist der erste, der mich richtig verstehen kann... Alles, was Juliette und Christian miteinander verband, war ein endloser Deal und ein Geheimnis, was niemals ans Licht...