Kapitel 10

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POV Chris

Chrissy...eine Verniedlichung meines Namens und als sie mich damals bei unserem Streit über Kyra und mein Verhalten das erste Mal so genannt hat, damit sie meine Aufmerksamkeit bekommt, wusste ich nicht so richtig, ob ich sie dafür hassen sollte oder ob ich darüber hätte frech grinsen müssen.

Auf der einen Seite war es mir unfassbar peinlich, dass sie das einfach getan hat. Von Kim oder einer meiner Ex-Freundinnen als Schatz betitelt zu werden, war nicht ansatzweise so schlimm. Weil das irgendwie ein so normaler Kosename ist. Aber nein, July ist anders. Und sie wusste, dass sie mich damit provozieren kann. Immerhin mache ich das mit ihren Kurznamen ebenfalls. Mit der Zeit und nachdem ich ein bisschen darüber nachdenken konnte, war ich mir gar nicht mehr sicher, ob ich es wirklich hasse. Immerhin habe ich auch sie niemals gehasst, obwohl Juliette das eine zu lange Zeit geglaubt hatte. Mittlerweile finde ich es nicht mehr so schlimm, wenn sie das macht, oder wenn sie irgendwas, was ich mache, als »niedlich« beschreibt.

Mit zwei Klicks speichere ich einmal all das ab, was ich den Tag über wieder in die Pläne und Skizzen eingetragen habe, klappe den Bildschirm zu, damit ich danach Juliette meine komplette Aufmerksamkeit schenken kann. Mit der Tasse in der Hand schaut sie still zu mir hin, lächelt einmal verlegen, bevor sie den ersten Schluck nimmt.
Chris: Habt ihr unten alles fertig?"
Einen Moment hält Juliette inne, hält ihren Blick im Kaffee gesenkt und bringt mich mit dieser Reaktion zum Stutzen. Gerade haben wir keine speziellen Deadlines, wir haben zwar Pläne und Proben angesetzt, aber eigentlich ist da gerade nichts, was sie stressen sollte oder was so gar nicht nach dem nicht vorhandenen Plan läuft.
Juliette: Alles super."
Kurze und knappe Antworten auf ihren Seite sprechen immer dafür, dass sie eigentlich genau das Gegenteil von dem meint, was sie sagt. Oder eben auch, dass sie sich aus irgendeiner Situation rausreden will. Da mein Blick weiterhin auf ihr liegt, weiß Juliette auch gleich, dass ich ihr das nicht abkaufe. Danach kaut sie auf ihrer Lippe rum, meidet mich und tippt an der Seite ihrer Tasse rum.
Chris: Ist etwas passiert? Willst du worüber reden, July?"
Nach meinem Satz seufzt sie, schließt kurz ihre Augen und als sie wieder zu mir aufschaut, wirkt ihr Blick ein wenig zu betrübt, als wenn nichts los sein würde.
Juliette: Können wir da irgendwann anders drüber reden? So...nur unter uns? Es hat nichts mit dir zu tun, aber...ich will da gerade nicht weiter drüber nachdenken."

In manchen Zügen ist Juliette mehr als direkt. Geradewegs sagt sie einem, was sie will, was sie nicht will, wie sie einen findet oder was man gerade moralisch und ethisch falsch gemacht hat. Aber in Thema zwischenmenschliche Beziehungen hat sie ein Defizit. Vielleicht durch Freunde und Familie, weil sie weniger vertraut oder sich selbst zu oft die Schuld gibt. Ich bin froh, dass sie mit mir überhaupt über derlei Themen redet. Zu Beginn hat sie sich dort verschlossen. Wir haben schon riesige Fortschritte gemacht. Wobei...wenn ich in ihrer Situation gewesen wäre, dann würde ich vermutlich auch nicht jeden X-Beliebigen die Geschichte meiner Familie erzählen wollen. Erst recht, wenn die meisten es nicht verstehen oder ansatzweise nachvollziehen wollen.

Unsicher senke ich meinen Blick nun ebenfalls in meinen Kaffee, bekomme noch mit, wie die letzten Milchreste sich mit dem Kaffee vermischen, bevor ich ebenfalls etwas daraus trinke. Als ich die Tasse kurz danach wieder senke, merke ich die Hand von Juliette auf meinen Bein. Zuerst geht mein Blick noch dahin, bevor ich den Kopf vorsichtig hebe und Juliette ansehe.
Juliette: Heute Nachmittag noch viele Termine?"
Chris: Hier und da ein bisschen was. Ich mache mich aber auch bald auf den Weg zurück nach Herford. Kurz einen Termin beim Arzt holen, danach zum Optiker und zuletzt wollte ich noch einkaufen."
Juliette: Hast du nächste Woche wieder mehr Zeit?"
Das ist doch die Vorlage, die du brauchen würdest, Christian. Mit offenem Mund schaue ich zu ihr hin und bekomme die Frage nicht gestellt, die ich seit einigen Tagen immer wieder auf der Zunge trage. Erst, als Juliette mir ihren verwirrten Blick zeigt, lache ich ein wenig in der mir peinlichen Stille und bringe sie ebenfalls dazu.
Juliette: Falls es dir nicht passen sollte, verstehe ich das auch."
Chris: Das ist es gar nicht..."
Jetzt tippe ich an der Seite meiner Tasse, halte den Blick noch darin gesenkt, bevor ich mich dazu zwinge, zu ihr aufzuschauen. Würden ihre Rehaugen mich nicht immer so in den Bann ziehen, wäre die ganze Sache viel einfacher!
Chris: Würdest du...willst du am Samstag mit mir essen gehen?"

Das Lächeln, was sie auf den Lippen hat, wirkt nach meiner Frage wieder ein wenig verlegener als zuvor. Dabei schafft es Juliette auch nicht mehr, mich die ganze Zeit anzusehen, sondern schüttelt leicht lachend den Kopf, bevor sie schräg zu mir sieht.
Juliette: So als...richtiges...Date?"
Chris: Ja. Würdet du einmal...richtig...mit mir ausgehen?"
Wieso sind wir beide manchmal noch so seltsam zueinander? Wir sind auf etliche Treffen gegangen und saßen schon zig Male zusammen in einem Restaurant, aber der Gedanken, dass es dieses Mal anders sein würde, macht mich derartig verlegen und nervös. Und dass sie auch noch einen Moment braucht, bevor Juliette versucht nicht weiter zu grinsen. Als ich aber eben diesen Blick zu Gesicht bekomme, fällt die Anspannung ein wenig ab.
Juliette: Sehr gerne, Chrissy."
Ich muss ein wenig darüber lachen, versuche die letzten Stücke der Unsicherheit so loszubekommen und sie ihr erst recht nicht zu zeigen. Obwohl...letzteres würde Juliette bei mir immer erkennen können.
Chris: Soll ich dich um 18 Uhr abholen?"
Für jede ihrer Reaktionen braucht sie länger als sonst üblich. Will sie nicht wahrhaben, dass das hier in echt passiert? Dabei hatte ich ihr gleich am Anfang gesagt, dass ich mit ihr auf echte Dates gehen will und werde. Ich halte mein Versprechen hiermit ein.
Juliette: Das klingt gut. Ich freue mich drauf."

Die letzten Minuten, in denen wir zusammen oben in meinem Büro saßen, waren wir uns gegenüber sehr verhalten. Nach und nach kommen wir erst wieder dazu normale Gespräche zu führen, bis Juliette sich entschuldigt, weil sie noch ein paar Dinge erledigen will und ich habe auch noch ein wenig Stress, bevor ich hier los muss. Aber für sie würde ich immer wieder meine Pause verschieben oder ausdehnen...

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