Kapitel 8

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Die ersten zwei Wochen zogen somit auch an uns vorbei. Irgendwann hatte ich kaum mehr ein richtiges Zeitgefühl für irgendwas, hätte beinahe etliche Termine vergessen – Chris ebenso – hinzu kam, dass die Tour ja auch nicht ist, dass also eine Grundstruktur auch erst wieder eintreten muss, bevor man sich vollkommen wieder verliert. Eines habe ich die letzten Tage aber gekonnt vergessen oder ignoriert: Mein Bruder.

Baptiste hatte mich vor zwei Wochen angerufen, zwischendurch hatten wir auch geschrieben, aber mit der Sprache konnte ich bisher nicht rausrücken. Ich wollte es ihm nicht in einer WhatsApp sagen und wann immer er Zeit zum Telefonieren hatte, war Chris auch gerade da. Es lief nicht optimal, aber das werde ich die Tage über schon ändern. Heute ist Freitag, der letzte Arbeitstag in der Halle steht an. Eigentlich wollte ich heute Morgen wie so üblich eine Runde joggen gehen, aber bereits beim Aufstehen habe ich gemerkt, dass irgendwas anders ist, dass es mir nicht optimal geht und ich lieber im Bett bleiben wollte. Statt mich trotzdem fertig zu machen, dazu zu überreden, vor der Arbeit aktiv zu werden, musste ich schlichtweg nur verstehen, dass ich meine Tage habe. Statt Sport am Morgen doch lieber ein ruhiges Frühstück, einen beruhigenden Tee und das gute Zureden, dass immerhin Wochenende ist. Zur richtigen Zeit wieder die richtigen Klamotten anziehen und allerhand Kleinkram in den Taschen verstauen, um kurz vorm Gehen eine Nachricht auf dem Handy angezeigt zu bekommen.
Chris: Morgen July.
Chris: Willst du gegen Mittag auf ein Kaffee raufkommen?

Gerade sitzen Andreas und Chris noch viel in den Büros, besprechen und planen die letzten Einzelheiten und am meisten turnt Andreas bei uns unten rum, wohingegen Chris die Konzepte für Ton, Licht und Pyro immer wieder in einem Programm plant. Die letzten Tage sind wir uns selten über den Weg gelaufen, daher bietet sich sowas ja an.
Juliette: Morgen Chrissy. Werde ich so machen.
Juliette: Freue mich drauf. Bis später.
Mit einem Grinsen auf den Lippen stecke ich mein Handy noch wieder weg, bevor ich mit dem Schlüssel die Haustür aufschließe und mein Haus verlasse. Ein viel zu warmer Sommertag, in wenigen Tagen beginnt der August und die Sonne heizt meine dunklen Klamotten schnell auf. So zügig wie möglich versuche ich zur Halle zu kommen, werde wieder von den ersten Crewmitgliedern begrüßt und gehe fix rein, sodass ich bei der Probebühne auch auf Levi und Kyra treffe.

Mit auf dem Tisch hat Levi einen kleinen Ventilator stehen. Den hat sich manchmal auch bereits auf Tour mit und ehrlich, ziemlich oft beneide ich sie darum. Immer wieder meinte ich, dass ich mir auch einen besorgen würde, aber dann vergesse ich das wieder und ein Jahr geht vorbei.
Juliette: Morgen."
Kyra lächelt mich an und winkt einen Augenblick, bevor sie sich wieder um ihre Mappe kümmert. Das letzte Jahr, wo sie noch in der Ausbildung steckt und ich denke, dass sie diese mit Bravour beenden wird. Levi hingegen braucht etwas, bis sie von ihren Sachen rauf und zu mir hinschaut.
Levi: Morgen."
Sie beobachtet mich, während ich alle Sachen auf meine Tischseite lege, einmal im Plan durchgehe, was ich heute machen muss und erst danach zu ihr sehe.
Levi: Auch mal wieder pünktlich bei der Arbeit."
Verhalten lache ich darüber und möchte damit versuchen ihren starren Blick zu brechen. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich das bei ihr nicht schaffe.
Juliette: Chris war die letzten Tage ja nicht bei mir, daher bin ich zeitlich hier."

Auch wenn Levi lächelt, ich möchte ihr das nicht abkaufen. Sie war die erste, der ich sagen konnte, dass das mit Chris und mir jetzt offiziell und echt ist. Sie hatte sich gefreut. Sie hatte sich ehrlich für uns beide gefreut, aber ich werde dabei das Gefühl nicht los, dass da irgendwas im Hintergrund mitschwang.

Von derlei Seltsamkeiten – vielleicht liegt es einfach nur daran, dass sie weiß, wie Chris die Tage nach München drauf war und sie ist eben meine beste Freundin – lasse ich mich nicht beirren und lasse mich in meinem Stuhl nieder, um endlich anzufangen.
Levi: Sag mal..."
Zuerst werfe ich nur einen flüchtigen Blick zu ihr rüber, aber als ich sehe, dass sie die Arbeit unterbrochen hat, mache ich es ihr gleich und wende mich an Levi.
Levi: Wirst du dir jetzt immer das Zimmer mit dem Chef teilen, wenn wir nicht im Nightliner schlafen müssen?"
Juliette: Ich denke, ja?"
Wir haben darüber noch nicht gesprochen und da gerade ja sowieso Pause ist, macht sich keiner darüber gerade Gedanken. Scheinbar muss Levi aber sowas erwartet haben, da sie anschließend nur nickt und sich wieder von mir abwenden möchte.
Juliette: Levi."
Mit der Hand greife ich nach der Lehne ihres Stuhl und halte sie davon ab, sich von mir wegzudrehen. Dabei versuche ich mit ehrlicher Reue zu ihr zu sehen.
Juliette: Nervt es dich, dass ich gerade so viel mit ihm mache?"
Levi: Wie kommst du darauf?"
Juliette: Weil du sich so benimmst. Weil du so schlecht wieder darüber redest."
Levi: Du weißt, dass ich Chris seltsam finde."
Juliette: Das geht weit über ich finde ihn anstrengend und seltsam hinüber, Levi."

Genervt seufzt sie und wendet ihren Blick von mir ab. Genervt von sich selbst oder von mir? Unsicher nehme ich meine Hand wieder zurück, schaue weiterhin zu Levi, die mich mit ihrer kompletten Haltung abweist. Kyra zuckt im Hintergrund einzig mit den Schultern, beobachtet Levi auch wieder einen Augenblick, bevor ich mir einen Ruck gebe.

Dabei rolle ich mit dem Stuhl etwas näher an sie heran und sehe, dass sie mich zwar anschauen mag, es aus irgendwelchen Gründen aber dann nicht macht.
Juliette: Du weißt, dass du meine beste Freundin bist, richtig?"
Levi: Klar."
Endlich hebt sie ihren Blick wieder und schaut mir in die Augen. Ihren Blick kann ich gar nicht richtig deuten und ich versuche dem einfach standzuhalten. Levi hingegen wartet auf das, was ich von ihr will.
Juliette: Du bist mir unfassbar wichtig und ich will dir niemals das Gefühl geben, dass ich dich irgendwie hinten anstelle."
Levi: Das machst du doch auch gar nicht."
Dein Verhalten sagt aber was anderes. Ich kann mich noch zügeln und sage das nicht einfach geradeheraus. Bestärkt schaue ich zu ihr und rolle dabei langsam wieder zurück zu meinem Platz.
Juliette: Ich wollte es dir einfach nochmal sagen. Wir müssen nochmal mit Leonie und Hannah schreiben und nochmal einen Mädelsabend machen, okay?"

Endlich lächelt und lacht Levi wieder auf ihre typische Weise und schenkt mir danach das freche Grinsen, womit sie mich immer wieder provoziert.
Levi: Sehr gerne. Dann verschwindest du am Abend aber nicht wieder zu deinem Schatzi."
Ja, das ist die Levi, die ich normalerweise kenne...

Never Less Than a LoverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt