Die ganze Wahrheit?

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Meine Mutter schien nur oberflächliche Verletztungen zu haben und meine Nase schien auch nur geprellt zu sein, also gaben wir uns mit dem Erste-Hilfe-Kasten aus dem Badezimmer zufrieden und gingen danach ins Bett. Auch wenn ich etwas zu alt dafür zu sein schien, schließ ich diese Nacht bei meiner Mutter. Es kam mir auch nicht so vor, dass nur ich dadurch besser einschlafen konnte.

"Chris!" Wieso konnte sie nicht normal mit mir reden? "Du hast verschlafen! Wach auf!" Beim Wort 'verschlafen, schlug ich blitzschnell meine Augen auf und suchte die Uhr, die gegenüber des Bettes an der Wand hing. Ich hatte noch genau zehn Minuten um mich fertig zu machen, den Bus zu bekommen, konnte ich mir getrost abschminken.

Das Badezimmer war der erster Halt meiner kleinen Tour. Aus Zeitmangel konnte ich mir leider keine Dusche mehr gönne und spühte mich deshalb mit Litern an Deo voll.

In der Küche angekommen reichte meine Mutter mir nur ein bisschen Kleingeld, da sie es nicht geschafft hatte, mir Frühstück zu machen. "Behalt das, ich komm schon klar." Schnell gab ich ihr das Geld wieder und setzte an, loszulaufen. Ich hatte sowieso nicht lange unterricht, also würde ich schon nicht verhungern.

Mit meinem Rucksack auf dem Rücken, rannte ich die rutschige Treppe zum Keller hinunter. Die Tür war komplett verostet, weshalb ich mich einige Male gegen diese werfen musste, um sie auf zu bekommen. Am Ende raddelte ich in einem irren Tempo, das schon Tour de France würdig war, um es noch rechtzeitig zu schaffen. Verschwitzt und mich Rostflecken an meiner Uniformjacke rannte ich danach, nachdem ich mein Fahrrad angeschlossen hatte, die einzelnen Treppenstufen hoch und rannte durchs halbe Gebäude. So idiotisch wie ich auch war, lief ich auch noch gegen eine sich gerade öffnende Tür, was mir nur einen mitleidigen Blick, von der Person die sie geöffnet hatte, einhandelte und eine wieder schmerzhaft pochende Nase.

Natürlich wurde ich von allen angestarrt, sobald ich die Tür öffnete.

Erst dachte ich, sie täten das weil ich beim reinkommen fast gegen einen Tisch gelaufen wäre, ja ich bin wirklich tollpatschig, aber dann fiel mir der eigentliche Grund ein.

Meine Nase.

Ich hatte im Badezimmerspiegel gesehen wie angschwollen und rot sie geworden ist. Wahrscheinlich sah ich aus wie ein Misshandlungsopfer. Naja, sowas in der Art war ich ja auch. Und durch meine tolle Aktion mit der Tür war es jetzt wahrscheinlich noch schlimmer.

"Was zum Teufel ist passiert?" John starrte mich mit aufgerissenen Augen an, sobald ich meinen Platz neben ihm eingenommen hatte. "Äh..."Ich fragte mich, ob es eine so gute Idee wäre, ihm davon zu erzählen. "Dein Vater?" Er flüsterte so leise, dass nur ich ihn hören konnte. Ich antwortete ihm nicht.   Ich drehte mich demonstativ von ihm weg, um ihn daran zu hindern weiter nachzufragen. Er war schließlich der, der mich im Regen stehen gelassen hatte.

Von da an sprach er kein Wort mehr mit mir, bis Schulschluss.


"Komm mit." John schnappte sich meine Hand und zog mich hinter die alte Turnhalle, bevor ich weglaufen konnte. "Und jetzt erzähl mir die gesamte Wahrheit." Ich schwieg. Eigentlich rechnete ich damit, dass er mich anbrüllen würde, oder mir Vorwürfe machen würde. Aber das tat er nicht. Er küsste mich nur.

Und ich wünschte er würde nie aufhören.


Chris und John.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt