Vaters Pläne.

3.1K 206 20
                                    

Wir brauchten mindestens eine Stunde um das kleine Haus am Standrand zu erreichen in das ich mehr oder weniger gerade 'verschleppt' wurde. Mein Vater hatte die gesamte Fahrt seinen Blick stur auf die Straße gerichtet und hätte, wäre dies möglich gewesen, wahrscheinlich auch eine Trennwand hochgefahren, um meinen Anblick nicht mehr sehen zu müssen. In der Vorstadt war kaum etwas los, hier und da gingen alte Ehepaare mit ihren Hunden spazieren, aber von lebhafter Jugend war hier weit und breit nichts zu sehen. Das Auto verlangsamte sich, als wir in eine Straße einbogen, welche eine Schule und zwei Kindergärter beherbergte, aus denen in Massen kleine Kinder herrausgelaufen kamen. Zwei der Kinder liefen zum Fahrerfenster des Autos und ich musste geschockt zusehen wie mein Vater die beiden kleinen Mädchen mit einem Lächeln, das eigentlich seinem eigenen Sohn gelte sollte, begrüßte. Er wird hier in der Gegend wahrscheinlich seinen kirchlichen Pflichten nachgehen, und hatte sich dementsprechend wohl schon eine kleine Fangemeinde angelacht.

Sobald er das Fenster wieder hochgkurbelte fuhr er weiter und hielt kein einziges mal mehr an, bis er vor einem kleinen dunkelblauen Häuschen anhielt. Es sah von außen so aus, als würde es einer junge Familie gehören, aber der vertrocknete Rasen und die verwelkten Blumen verrieten es.

„Aussteigen." In seiner Stimme konnte ich nichts hören. Keine Wut. Keine Enttäuschung. Es war nur ein Monotones Gewirr, das sich aus seinem Sprechorgan hinaus verirrte.

Stumm und immer noch nicht wissend wie ich mich verhalten sollte, stieg ich aus. Der erste Anschein ließ einen denken, dass er sich beruhigt hatte. Die kleine Sorgenfalte und die zuckenden Augenbrauen hatten sich entspannt. Aber leider kannte ich ihn besser und wusste was mich erwartete.

Wir betraten den Flur des Hauses, in welchen sich zum ersten mal erahnen ließ, wie irre er war. Überall lagen Dinge auf dem Boden, die dort nicht hin gehörten. Schuhe waren einzelnd verteilt und daran, sich eine Garderobe zu besorgen hatte er gar nicht erst gedacht. Wenn man mal bedachte, dass er und meine Mutter noch nicht allzu lange getrennt waren, sah es hier schon ziemlich zugemüllt aus.

Ich ging ihm nach in ein, ebenfalls total verdrecktes Wohnzimmer.

Der Boden war seit einer Ewigkeit nicht mehr gewischt worden und die Fenster waren selbst für einen schmudeligen Teenager wie mich zu gelblich.

Eine winzige Couch verzierte die Wand mir gegenüber, welche aber nicht ganz zu sehen war, da eine komplett nackte Frau darauf lag. Der Anruf vom Rektor schien ihn ziemlich überrascht getroffen zu haben.

Mir einem brutalen Hieb auf den Hintern weckte er die schlafende Gestalt auf und forderte sie dazu auf, dass Haus zu verlassen. Etwas verärgert weigerte sie sich zuerst, stand aber, sobald sie mich sah, auf und ging an mir vorbei in den Flur. Nur Sekunden später konnte man die Eingangstür zuknallen hören.

„Setz dich, Chris." Wenn man seine Stimme gerade versuchen würde, mit einem Sprichwort zu beschreiben würde, die Ruhe vor dem Sturm wohl am besten passen.

Schweigend setzte ich mich auf den Rand der Couch, auf der bis ebend gerade noch jemand lag und versuchte seinem Blick standzuhalten. „Bist du eigentlich dumm? Hast du kein bisschen meiner Vernunft geerbt?" Er redet immer noch ruhig und sanft, ein wütender Unterton machte sich aber so langsam bemerkbar.

„Ich habe getan, was ich in dem Moment für richtig hielt." Das war nichts als die Wahrheit. Ich wollte diesem Jungen klar machen, dass er so etwas nich tun konnte, ohne Gegenwehr zu erwarten.

„Dieser Junge hat nichts schlimmes getan. Er hat seine Meinung vielleicht etwas brutal zur Schau gestellt, aber er nichts getan, als das offensichtliche klarzustellen." Das mein Vater so einen Jungen in Schutz nahm, war nicht sehr überraschend. „Was erwartest du denn, Chris?! Du knutscht mit diesem Kerl in der Öffentlichkeit rum und willst von jedem, dass sie sowas akzieptieren?!" Mit jedem Wort, dass er aussprach weiteten sich seine Augen und seine Stimme wurde lauter. Das Zucken an der linken Augenbraue hatte wieder begonnen. „Du bist ein Junge, Chris. Und Jungs sollten mit Mächen zusammen sein, nicht mit Jungs. So war es schon immer und so wird es auch bleiben!"

„Und wieso können sich solche Ansichten nicht ändern? Wieso kannst du, als mein Vater, nicht akzeptieren das ich mit John glücklicher bin, als mit irgendeinem Mädchen?" Ich versuchte meine Stimme so sanft wie möglich zu halten, um nicht noch Öl ins Feuer zu kippen.

Aber das brachte leider nicht.

In einer unglaublichen Geschwindigkeit führte er seine Hand an meine Wange, welche ich sofort mit einer Hand umfasste, um den Schmerz zu lindern. Nun war er beim Schreien angelangt.

„Hier gibt es nichts zu ändern. Gewissen Dingen sind von Gott so vorherbestimmt. Somit auch wie Liebe sein sollte und wer wen lieben sollte."

Noch immer meine glühende Wange haltend griff er mit seiner Hand um meine Hals und hob mein Gesicht an, bis ich ihm ins Gesicht schauen musste.

„Ich schwöre dir, Chris. Ich werde nicht dabei zusehen, wie du dich selbst, mich und deine Mutter in den Dreck ziehst. Was mit dem anderen Kerl ist, ist er relativ egal, aber du bist immer noch mein Sohn und solange ich auch nur einen winzigen Teil des Sorgerechts habe, wird das hier nach mir laufen." Mir weit, vor Schock, aufgerissenen Augen, sah ich ihn an. „Wie kann es sein das du noch ein Teil meines Sorgerecht hast?!" Das war unmöglich.

„Das geht dich nichts an. Wichtig ist, ich hab einen Teil und damit auch eine gewisse Entscheidungsgewalt über dich." Er kniff seine Augen zusammen, bis sie nur noch zwei winzige Schlitze waren, aus denen er mich anfunkelte. „Du wirst mit Sicherheit wegen dieser Aktion von der Schule fliegen und weil ich ja so ein fürsorglicher Vater bin, habe ich bereits eine Anmeldung an eine weitere Schule verschickt."

Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Alles wurde mir in diesem Moment zu viel. Er hatte mich an einer anderen Schule angemeldet? Und wenn ich für sowas rausgeworfen wurde, würden das dann nicht auch John und er andere Kerl?

Mit einer plötzlichen Wucht drückte er mich von sich. „Warte hier, ich werd' deine Mutter bitten, herzukommen."

Damit verschwand er und ließ mich auf der dreckigen Couch zurück.


Chris und John.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt