Kapitel 3: Eine neue Welt

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„Wo sind Wir?", fragte ich, als wir an einem düsteren Ort ankamen. Die Straßen wurden nur schwach durch die Laternen beleuchtet, aber merkwürdigerweise brannten sie ohne Feuer. In dem wenigen Licht waren schemenhafte Umrisse riesiger Türme und Gebäude zu erkennen. Sie hatten etwas sehr Unheimliches an sich. Zwischen den gewaltigen Türmen und Häusern waren große und kleine Statuen. Wind zog auf. Es war schrecklich kalt und ich begann zu frösteln, zitterte vor der Dunkelheit und fühlte mich unsagbar unwohl.

Ich trat näher an die Statuen heran. Insgesamt gab es fünf. Das steinerne Gebilde der größten Statue zeigte einen mysteriösen, alten Mann mit ungewöhnlicher Kleidung und einem langen Stab in der Hand. „Mr. James Shepard", stand auf dem Stein geschrieben. Der Mann, der Vater mein Schicksal verkündet hatte. Seiner Haltung nach wirkte er überheblich und arrogant. Vorsichtig streckte ich meine Hand aus und berührte den Stab, in der Erwartung, einen kühlen Stein zu fühlen. Jedenfalls versuchte ich es, da ich einfach durch ihn hindurch fasste.

Oh mein Gott, dachte ich und ein eiskalter Schauer lief meinen Rücken hinunter. Ängstlich schaute ich zu meinen Eltern. „Was war das? Warum kann ich nichts mehr anfassen? Was ist das hier überhaupt alles? Können wir nicht wieder nach Hause?" Jetzt war ich den Tränen nahe und ich spürte einen dicken Kloß, der mich daran hinderte weiterzusprechen. Auch wenn ich wusste, dass ich nicht mehr zurückgehen könnte, wartete ich nur so auf eine Antwort, die meine Hoffnungen wahr werden lassen würde. Niemals könnte ich es so lange ohne meine gewohnte Umgebung, meine Großeltern und die Menschen, die ich liebte, aushalten.

Was war das hier bloß für ein finsterer und düsterer Ort? Was war los?

Die vielen Fragen und der Drang nach Antworten schnürten mir die Kehle zu und ich verurteilte mich selbst dafür, so schwach zu sein.

Meine Mutter sah mich liebevoll an. „Wir werden unser Zuhause nie wieder sehen können. Cerkwallmanor und unser Leben als Adelige sind nun Geschichte und es ist Zeit ein neues Kapitel unseres Lebens aufzuschlagen. Es tut mir leid, dass du keine Zeit hattest, dich genügend zu verabschieden."

„Verabschieden? Ich hatte überhaupt keine Zeit dazu, denn ich war vor einer halben Stunde noch nicht einmal tot. Und ich hatte keine Ahnung davon. Von nichts. Selbst Großmutter und Großvater wussten davon. Warum ich nicht? Glaubt ihr, ich hätte mich nicht auch verabschieden wollen?"

Meine Stimme war laut geworden. Verletzt sahen meine Eltern mich an. Schnell hielt ich mir die Hand vor den Mund. „Es tut mir leid", flüsterte ich betrübt.

„Nein, Roselia. Du hast vollkommen recht. Wir wollten dich schützen und hielten es deswegen für besser, deine letzten Tage nicht mit etwas zu betrüben, das deine letzten Tage wie eine Qual auf dich wirken gelassen hätte. Wir wollten, dass du die Weihnachtstage und die Vorfreude genießen kannst", erklärte Mutter und Vater fügte ernst hinzu: „Vollkommen richtig. Wir dachten, es sei nicht gut für dich. Im Nachhinein tut es uns leid, denn du hättest die Möglichkeit haben sollen, dich genügend zu verabschieden."

„Und das ist euch nicht eher in den Sinn gekommen? Ich weiß von nichts, kenne diesen Ort nicht und dachte gerade eben noch, ich müsse mein Leben mit Henry verbringen. Doch dann war ich plötzlich tot und jetzt....Jetzt bin ich weiß Gott was. Tot, ein Geist, nicht richtig da...Was bin ich jetzt und was ist das hier?"

Meine Gedanken sprudelten nur so aus mir heraus. Warum wollten sie mich vor der Wahrheit beschützen, aber nicht vor einem Mann wie Henry, den ich nie geliebt hatte?

Langsam fasste ich mir an den Kopf und harrte in dieser Position ohne meinen Eltern ins Gesicht zu sehen. Ich wusste nicht, ob ich wütend auf sie sein sollte, traurig, niedergeschlagen, positiv, zurückhaltend, reserviert und unnahbar oder ignorant sein sollte. Was ich fühlen sollte wusste ich auch nicht. Ich fühlte einfach alles, sodass irgendwie alles drohte, meine Brust und mein Herz zu zerquetschen. Das einzige, was mich an dieser Situation halbwegs erfreute war die Tatsache, dass ich Henry nie wieder sehen würde. Es bereitete mir so große Freude, dass ich fast lächeln musste. Doch meine Wut und diese Leere ließen kein Lächeln zu. Irgendwann beschloss ich einfach, ihnen den Rücken zuzuwenden und mir die Statuen näher anzusehen.

Fate And The Present- Die AuserwählteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt