Sichtwechsel: Paul
Am nächsten Morgen liefen wir vier recht früh los. Die Sonne schien bereits und für diese Jahreszeit war es unglaublich heiß draußen. Dies lag aber wohl daran, dass wir uns im Gebiet der Drachen befanden. Die Drachen, die uns mit einem Niesanfall direkt umbringen konnten.
Rose und ich liefen etwas weiter vorne als Layla und Jake, die eher trödelten und wenig Motivation hatten.
„Ich bin noch gar nicht wirklich dazu gekommen, dir danke zu sagen", erklärte Rose nach einer Weile.
„Wofür?", wollte ich wissen. Sie sah kurz in mein Gesicht.
„Weißt du doch." Sie sprach von ihrer Gefangennahme im Menschendorf. Nur ungern erinnerte ich mich daran zurück. Ich hätte dieses Schwein umbringen sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte... Allein der Gedanke, was ihr angetan worden wäre, wenn sie für Menschen als Geist nicht unberührbar wäre...
„Du musstest befreit werden", sagte ich bloß und sah nach vorne. Bis zum Horizont war nichts außer Erde. Keine Pflanze, kein Baum, kein Wasser. Nur vertrockneter Boden und Sonne.
„Ihr hättet auch ohne mich weitergehen können. Das hättet ihr am Anfang gemacht, als ich nach Screenwich gekommen bin."
„Es hätte nicht viel Sinn gemacht, dich da sterben zu lassen", meinte ich abwertend wie möglich. Besser, sie hörte auf zu reden. Dass sie mir den Unterschied zu unserer ersten Begegnung zwischen uns allen deutlich machte, war wenig hilfreich. Damals war alles nur politischer Absicht und ich hatte alles getan, was Großvater wollte. Jetzt war ich auf einer Reise, die vielleicht sogar seinen Untergang bedeutete, oder den unseren.
„Warum nicht?", fuhr Rose fort. „Sag bloß, ich bin euch wichtig."
„Nein", erklärte ich prompt, aber etwas zu hart. Verletzen wollte ich sie nicht. „Also schon", verbesserte ich mich, „aber es wäre dumm gewesen, dich in dem Menschendorf in Gefangenschaft zu bringen, weil Großvater dann gewusst hätte, wo du bist und zur Schlussfolgerung gekommen wäre, wo wir anderen sind. Ich kann nicht mehr zurück und die anderen auch nicht. Wir werden vom Untergrund umgebracht, falls wir zurückkommen." Kurz war es still. Niemand wollte zuerst etwas sagen. Irgendwann räusperte ich mich: „Außerdem waren es Schweine, die dich da festgehalten haben. Ich hätte sie umbringen sollen."
„Ich bin froh, dass du es nicht getan hast." Überrascht sah ich zu Rose rüber. Sie starrte zum Horizont hinüber. Das, was Rose im Menschendorf passiert war, erinnerte mich an meine Kindheit und mein ganzes bisheriges Leben in der Hölle. Es warf Erinnerungen auf, die ich lieber für immer verdrängen wollte. Aber das konnte ich nicht. Die Narben auf meinem Rücken und Oberkörper würden mich immer daran erinnern.
„Du hast ein viel zu großes Herz", rief ich ernst. „Irgendwann ist das dein Untergang. Liebe macht dich verletzlich."
„In einer Welt, wo Liebe Verletzlichkeit bedeutet, will ich nicht leben. Ich wurde so großgezogen und kenne das nicht anders."
„Warum willst du, dass die Männer weiterleben?" Kurz zögerte Rose.
„Ich will nicht, dass irgendjemand etwas wegen mir tut, was er irgendwann bereuen könnte, vor allem kein Mord. Es würde mir vorkommen, als hätte ich diese Männer mit meinen bloßen Händen ermordet. Sie sind geistig krank, haben Wahnvorstellungen und tun das, was sie nicht anders kennen. Sie handeln im Glauben an deinen Großvater. Das muss die Hölle auf Erden sein. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie dein Leben war bei ihm." Stimmt, sie konnte es sich nicht vorstellen und sie durfte es auch nicht. Sie durfte nicht wegen mir ihre fröhliche Art verlieren oder ihr liebes Wesen. Sie musste sich von der Dunkelheit, meine Großvater und mir fernhalten.
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Fate And The Present- Die Auserwählte
FantasyGut ist nicht gleich gut und böse ist nicht gleich böse. Aber wer bist du wirklich, wenn die Grenzen verschwimmen? Was soll Rose nur tun? Es ist nicht nur so, dass die 16-jährige Adelige aus dem beginnenden 17. Jahrhundert gestorben ist...Nein, jetz...