Kapitel 66: In der Höhle des Drachen

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Deragorn flog steil in die Lüfte und segelte mit seinen schweren Flügeln wie ein Vogel durch den Wind. Der Wind peitschte um meine Ohren und verwehte meine Haare. Wieder spürte ich das Gefühl von Freiheit. Mein Shirt flatterte mit dem Wind und gegen meinen Arm, aber es war mir egal. Wie durch einen Schleier sah ich die Welt von oben mit ganz neuen Augen. Schnell jagte die Erde unter unseren Augen vorbei. Einzelne Pflanzen waren nicht zu erkennen. Die einzelnen Wolken wirkten wie Zuckerwatte.

Doch der Flug dauerte nicht allzu lange. Nur ein bis zwei Minuten. Denn der Drache driftete plötzlich steil nach ganz weit oben ab, sodass wir alle senkrecht saßen. Hastig griff ich fester an seinen Schuppen.

Da flog er in eine gigantische, rotbraune Höhle hinein. Dunkelheit und beißender Geruch nach Rauch ersetzte die frische Luft und die Helligkeit.

„Nehmt es meinen Artgenossen nicht übel, was auch immer sie von euch halten mögen. Ihr seid die ersten Menschen, die jemals diese Höhle gesehen haben." Deragorn sprach mit einer rauen Stimme, die nun ganz zum Vorschein kam. Diese Höhle bot aber auch wirklich genug Platz für tausende von Drachen.

Nun endete der Eingang der Höhle. Es wurde warm, viel zu warm. Und jeder von uns ahnte, wem wir gleich gegenüber stehen würden. Nein, jeder wusste es. Der ganzen Drachenscharr. Dennoch war ich angespannt, wie schon lange nicht mehr und bemerkte meine Hände, die so zappelig wurden, dass ich sie fest umklammern musste. Ich wedelte mir mit der Hand Luft zu. Für einen Vampir war das hier ganz sicher das falsche Klima. Heiße Luft ließ die Gegend verschwimmen. Ich konnte kaum noch klar denken und verzog mein Gesicht.

Unser Freund flog uns auf einen riesigen in der Luft stehenden Felsen, der, wie man auf dem zweiten Blick erkennen konnte, auf einem langen Gesteinspfosten war. Wir blieben vorsichtshalber auf dem Drachen sitzen. Auf den anderen Felsen befanden sich ebenfalls Drachen. Es waren bestimmt über hundert von ihnen. Einige von ihnen schliefen, wiederum andere bemerkten uns gar nicht und spien nach Herzenslust und Laune Feuer aus ihren Mündern. Neidisch beobachtete ich die riesigen Kreaturen. Dunkelrot, dunkelgrün, gelb, grau, dunkelblau, schwarz. Dicke Schuppen auf der Haut der Drachen glänzten in allen möglichen Farben und in eben diesen Farben leuchteten sie einen aus geheimnisvollen Augen an. Ich wäre gerne ein Drache. Vielleicht war ich das ja sogar in einem anderen Leben.

Deragorn räusperte sich. Das Feuer erlosch. Jeder Drache war damit beschäftigt, die fremden Eindringlinge, uns, genau zu mustern. Ein schlafender Drache öffnete erst sein linkes und wenig später auch sein rechtes Auge, um uns besser sehen zu können. Er war mit Deragorn einer der stärksten Drachen hier.

„Du weißt, dass Fremden kein Zutritt vergönnt wird, Deragorn. Vor allem Menschen nicht", sprach der große Drache mit tiefer, kratziger Stimme. Er war für Niemanden gerade sonderlich sympathisch. Außer mir, aber mir war jeder, der böse war, sympathisch. Ich mochte ihn. Richtig schön fies und kalt.

„Sie stehen unter meinem Schutz. Das Geistermädchen hat ein wichtiges Anliegen und bittet uns um unsere Hilfe", erklärte Deragorn. Einige Drachen in den hinteren Reihen fingen an zu lachen. Das sah echt komisch aus. Aus ihren Nasenlöchern traten vereinzelte Funken.

„Wir helfen keinen Geistern. Wir Drachen haben Wichtigeres zu tun", schnaubte der große Drache verärgert. „Schaff sie weg. Sonst übernehmen wir das." Sein Grinsen war gefährlich. So ähnlich, wie das Gesicht von einem Mörder, der gerade dabei war, sein nächstes Opfer auszusuchen.

Oh, bitte. Seht mich ja nicht so an. Als Vampir gehörte man nun mal zu solch schlimmen Menschen. Das war halt so. Ihr würdet doch auch töten um zu überleben, oder? Ok, jetzt höre ich das auch. Wäre ich ein normaler Mensch, müsste ich wohl mal zum Psychodoktor.

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