Kapitel 47: Der Abgrund

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Sichtwechsel: Rose

Seit drei Stunden saß ich über das dicke Buch gebeugt und betrachtete schon mit Kopfschmerzen das vergilbte Papier, das mir sämtliche Nerven raubte. An einer Stelle sah man nur einen rissigen Rand. Jemand hatte diese Seite entfernt.

Es machte einfach keinen Sinn. Warum fehlte gerade dieses Blatt Papier? Und was hatte das alles mit dem Untergrund und dieser Reise zu tun? Irgendwelche Zusammenhänge gab es. Das wusste ich. Aber mir wollte einfach nicht einfallen, was das für Zusammenhänge waren.

Nein. Es machte weder Sinn, noch keinen Sinn. Das Buch bewegte sich jenseits von allem. Ich verstand es einfach nicht.

Mühsam stemmte ich mich hoch und lief auf wackligen Beinen ins Wohnzimmer. Meine Beine waren eingeschlafen und kribbelten fürchterlich. Ich hasste dieses taube Gefühl.

Layla und Jake sahen mit hochgezogenen Augenbrauen vom Fernseher hoch. „Oh, ist da jemand von den Lebenden zurückgekehrt?"

„Ich war schon die ganze Zeit tot", murmelte ich wenig offen für Konversation oder sonst irgendetwas. Warum konnte ich nicht verstehen, was die Antwort war? Warum hat der Untergrund uns in die Menschenwelt geschickt und uns die Existenz der anderen Seite verschwiegen?

Langsam ließ ich mich aufs Sofa fallen und schloss die Augen. Layla rückte ein wenig zur Seite, was nicht einmal nötig gewesen wäre.

„Willst du Fernsehen?", fragte Jake. „Das lenkt ab."

„Ich will gar nichts", murmelte ich nur ohne aufzusehen. Dass ich nicht schlafen konnte wusste ich. Trotzdem tat es gut, einmal gar nichts zu machen.

„Ich sehe mir das mal an. Vielleicht finde ich ja was raus", sagte Paul und verschwand.

„Seite ist aufgeschlagen", rief ich noch, war mir aber sicher, dass er nichts raus fand. Es war, als wären alle Antworten in der Nähe und dann doch unerreichbar für uns. Dieses Gefühl hasste ich unbeschreiblich viel.

Nach einer Stunde, die ich einfach so da lag, Musik hörte und gegen die Decke starrte, beschloss ich, dass es genug ausruhen war für mich. Mehr konnte ich mir nicht leisten. Die Zeit drängte schließlich und der Lösung waren wir auch nicht näher gekommen. Ich raffte mich auf und verließ das Wohnzimmer. Paul saß am Schreibtisch über das Buch gebeugt wie ich zuvor.

„Hast du was herausbekommen?", fragte ich. Er sah keine Sekunde vom Buch auf.

„Nein, nicht wirklich."

Ich seufzte und kam dann näher.

„Es fehlen die richtigen Randnotizen von den richtigen Seiten."

„Und die richtigen Schlussfolgerungen davon", ergänzte ich und kam näher. „Bei welcher Stelle bist du?" Vorsichtig beugte ich mich ebenfalls über das große Buch, sodass Paul und ich uns gefährlich nahe kamen. Ich spürte seinen Atem durch mein Gesicht streifen. Er roch unfassbar gut. Mein Herz pochte so laut, dass ich Angst hatte, er könnte es hören. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er angestrengt auf das Buch starrte.

„Hier", zeigte er mit dem Finger auf einen Textabschnitt. Die Schrift war so klein und unleserlich verfasst, dass man kaum etwas entziffern konnte.

„Aber da steht ja, dass es mehrere Abkommen vom Untergrund gab, die alle von Shepard aus kamen."

„Und, dass er eigentlich das schwächste Glied war vom Untergrund. Alles, was Shepard tut, ist im Auftrag von Großvater. Du bist hier wegen Großvater und alles ist so, weil Großvater es so will. Er manipuliert alles und jeden zu seinem Vorteil. Die Menschenwelt war eine Ablenkung."

Fate And The Present- Die AuserwählteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt