Kapitel 36: Keine Reue, keine Furcht!

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Sichtwechsel: Rose

Draußen war es schon dunkel geworden. Einzig und allein die Straßenlaternen erhellten die schmalen Fußgängerwege der Innenstadt. Auch noch um diese Uhrzeit strömten Passanten durch die Innenstadt. Die Stadt schlief nie. Einzig und allein der Park lag ruhig dort. Das nächtliche Leben mancher Tiere erwachte. Andere schliefen gerade erst ein. Nur wir passten mit unseren Kostümen nicht wirklich dorthin.

Ich trug ein zerrissenes, weißes Kleid, welches bis vor wenigen Monaten noch bildhübsch gewesen war und nun dreckig und verseucht an meinem Körper hing. Meine Haare waren toupiert und hingen wirr in alle Richtungen. Aber abgesehen von meiner weißen Haut mit den vielen aufgemalten Schrammen und Flecken, sah mein Gesicht um einiges Schlimmer aus. Die Augen waren blutunterlaufen, milchig weiß, meine Lippen aufgeschlitzt und meine Nase krumm. Selbst meine Fingernägel waren unsymmetrisch, dreckig krumm.

Layla trug ein schwarzes, eng anliegendes Kleid mit Spagettiträgern. Ihre Haut war ebenso weiß wie meine mit Schrammen und Flecken. Ihre Haare waren spiegelglatt und rabenschwarz. Ihre spitzen Zähne stachen durch ihre knallroten Lippen besonders hervor. Sie hatte ihre Zähne vor dem Auftritt extra noch einmal spitz gefeilt. Auch ihre Augen waren blutunterlaufen und leuchtend rot. Blut klebte in ihrem Gesicht und um den Mund. Ihr gesamtes Auftreten war gruselig und jagte einem einen Schauer über den Rücken.

Jake war noch nicht in seiner Wolfsgestalt und trug noch normale Kleidung. Paul hatte auch noch seine normale Kleidung an. Allerdings waren auch bei ihnen Schrammen und blaue Flecken zu erkennen, die einen Kampf oder so etwas in der Art nachstellten.

Dann teilten wir uns auf. Jeder von uns nahm einen anderen Eingang in die Halle. Layla würde durch das Dach kommen und müsste dafür nur ein Fenster zerschlagen. Jake würde den Laden durch die große Eingangstür betreten und sich erst einmal durch die Leute mischen. Paul würde durch eine Seitentür kommen und das Gleiche tun.

Schließlich flog ich los. Über den Häuserdächern sah mich niemand, denn ich war nahezu unsichtbar. Eine Straße nach der anderen zog an mir vorbei und ich spürte, wie der Wind mir durch den Körper jagte. Doch ich spürte nicht die Kälte, die mir als Mensch immer in die Augen getrieben wurde, ich spürte nichts.

Es dauerte nicht lange, und ich erkannte das große, einladende Gebäude, das mit Lichterketten um die Fenster dekoriert war. Es war Weihnachtszeit in London und alles war festlich dekoriert.

Eilig raste ich nach unten und verschwand in dem Gebäude mitten durch die Wand. Denn ich befand mich im Ostflügel. Dort, wo eigentlich die Toiletten sein sollten. Ich hatte recht und erblickte das kleine Zeichen, welches auf die Toiletten am Ende des Ganges hinwies. Sofort lief ich in die entgegengesetzte Richtung, bog ein paar Mal nach links ab und lief eine Treppe runter.

Da sah ich auch schon den Eingang und wartete auf das Zerspringen der Fensterscheibe. Sekunden verstrichen, in denen ich alles noch einmal durchging. Im Grunde war es nur eine Choreographie, ein Theaterstück von Mr. Shepard geschrieben und wir waren die Marionetten, die Schauspieler. Fest in seinen Händen. Nervös faltete ich meine Hände und wartete.

Nach einer endloslangen Zeit, hörte ich es endlich. Scherben zersprangen und flogen zu Boden, wo sie ein merkwürdiges Klirren von sich gaben, dass durch die Wand nur dumpf zu hören war. Schreiende Mädchen. Das war mein Einsatz.

Flink raste ich durch die Wand in die Luft und begann, schrill zu schreien. Laut und kläglich, wie ich es geübt hatte. Viele entsetzte, überraschte Blicke richteten sich auf mich, und obwohl das so gewollt war, wurde mir bei diesem Anblick glatt übel. Jetzt konnte ich nur hoffen, dass mich niemand erkannte. Wie von alleine versuchte ich, alle Gedanken auszublenden, die mich hinterhältig beschlichen und drohten, meine Stimme vor lauter Zweifel ersticken zu lassen. Angst machte sich in mir breit, als ich daran dachte, was wohl danach passieren würde, aber ich schluckte den riesigen Kloß bitter hinunter.

Dann stoppte ich den Schrei und flog steil nach unten, wurde immer schneller- und bremste schließlich scharf vor dem Boden ab. Mit geweiteten Augen sahen alle in mein Gesicht. Ich weitete meine Augen ebenfalls, legte meinen Kopf kurz schief und nach vorne, sodass mir sämtliche Haare ins Gesicht fielen und es vor den Menschen verbarg, bis ich sie zur Seite schob und die anderen Menschen mit einem irren Lächeln anstarrte und durch die Leute hindurch flog, dabei eng am Fußboden blieb. Vor Schreck liefen die Leute weg, aber Layla trieb sie in die entgegengesetzte Richtung wie verängstigte Schafe in einer Herde.

Ein kalter Schauer lief mir bei ihrem Anblick den Rücken hinunter. Sie zeigte ihre scharfen Zähne, schnappte sich wahllos einen Jungen und flog mit ihm nach oben. Mit zwei Fingern schwenkte sie ihn hin und her und ließ ihn dann fallen.

Schnell kniff ich die Augen zu, hörte statt des Aufpralles aber nur, wie Layla ihn auffing, um ihn nochmals hoch und runter zu schmeißen. Schließlich ließ sie ihn ganz fallen. Der Junge landete direkt auf die Menge. Mehrere fielen um, was Layla nur veranlasste zu lachen. Bevor aber einer mit lachen konnte, fauchte sie wieder mit den Zähnen und kratzte ein paar Schüler, während sie vorbei flog. Alle sahen sie nur ängstlich, halb weinend an. Zumindest sie wusste, was die Leute brauchten um erschreckt zu werden...

„Das ist doch alles nur Verarsche", rief ein anderer Junge mutig aus dem Publikum.

„Ach, ist es das?", fragte Jake, täuschte schreckliche Schmerzen vor und verwandelte sich in einen Wolf, heulte laut auf, sodass mich eine Gänsehaut überkam.

Der Junge verstummte. Seine Augen weiteten sich.

Einige Schüler liefen verängstigt ein paar Schritte zurück, als der Wolf auch noch anfing zu knurren.

Paul stand immer noch mitten zwischen den Schülern und verwandelte sich in eine haarige Riesenspinne, die so groß, wie ein Auto war. Einige Mädchen begannen zu kreischen, wiederum andere fielen gar in Ohnmacht.

Wenn ich ehrlich war, war ich kurz davor, das Gleiche zutun, aber die Angst vor Mr. Shepard und den Folgen dieser Tat, trieb mir die Angst wieder aus. Nein. Es war nicht die Angst, die ich spürte, sondern vielmehr die Sorge um meine bisherigen Mitschüler, die wir nun schrecklich behandelten. Sie taten mir leid und ich hätte ihnen gerne geholfen. Feige benahm ich mich, weil ich die Schwachen noch Schwächer machte, als sie wirklich waren und die Starken stärker aussehen ließ. Das war doch nicht ich...

Ich hielt es kaum noch aus. Die Luft drückte und der Raum tat sich auf wie ein Gefängnis. Wie eine Plage. Die Umgebung drohte zu verschwimmen und mir wurde übel. Erneut. Würde das immer so weiter gehen? Diese Reue und das was folgte? Nein! Ich musste böse sein.

Aus dem Augenwinkel nahm ich zwei Leute war. Einen Jungen und ein Mädchen, die sich aufmachten, um unbemerkt aus dem Raum verschwinden zu können.

Als die Tür hinter ihnen zu schwang und sie schon nicht mehr zu sehen waren, schnellte Laylas Kopf herum. „Die beiden gehören mir. Das alles macht ja mehr Spaß, als ich am Anfang gedacht hätte!"

Fate And The Present- Die AuserwählteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt