Kapitel 54: Schoßhündchen und Fledermaus Part 1

39 2 3
                                    

Sichtwechsel: Paul

Ich saß auf dem Sofa, wissend, dass Rose gerade mal zehn Meter von mir entfernt draußen vorm Zelt saß und vielleicht darauf wartete, dass ich aus dem Zelt kam, um ihr zu erzählen, was sie hören wollte. Aber was sollte ich ihr schon erzählen? Alles, was ich wusste, war gefährlich für sie. Ich wurde misshandelt, verletzt, geschlagen, bedroht und war mehrmals kurz vorm Tod durch die Hand Vaters oder Großvaters. Aber ich konnte Rose dies nicht sagen. Weder ihr, noch sonst irgendwem. Das Weltbild von ihr war perfekt wie sie selbst. Alles, was ich tun würde, wäre, sie zu zerstören. Das einzige, was ich tun konnte, war, mich mit meiner Dunkelheit, die immer in mir sein würde, fernzuhalten, damit ihr nicht das Gleiche passierte, wie mir. Ich musste sie beschützen, denn sie gehörte nicht in diese Welt. Rose musste sicher auf der anderen Seite ankommen und diese nie mehr verlassen sowie alles Schlechte vergessen, mich vergessen. Ich war schlecht für sie.

Plötzlich ertönte ein schriller Schrei. Augenblicklich ließ er all meine Adern gefrieren.

„Rose", flüsterte ich leise, kurz davor, sofort loszurennen. Ich bekam Angst. Im nächsten Moment wurden auch schon die Zimmertür der Mädchen und unsere Zimmertür aufgerissen. Jake und Layla blickten mir fassungslos ins Gesicht. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich bei dem Schrecken aufgestanden war.

„Rose", sagte ich bloß. Layla lief los. Schnell bremste Jake sie ab, nahm ihren Arm fest in den Griff, und hielt seine Hand vor ihren Mund. Diese fing wie verrückt an zu treten und versuchte, sich freizukämpfen- erfolglos. Natürlich wusste ich, dass der Schrei von Rose stammte. Und ich hätte am liebsten genauso reagiert wie Layla und wäre Rose zur Hilfe geeilt, aber ich wusste, dass Rose nicht in Gefahr war- sie war ja längst tot.

„Es ist ihr nichts passiert", redete ich mir dringlich ein, um nicht auch noch loszulaufen, was ich bei bestem Willen nicht ausschließen konnte. Bei dem Gedanken, dass sie in Lebensgefahr schwebte, wurde mir augenblicklich übel. Nein. Wir brauchten uns keine Sorgen zu machen. Vielmehr war die Ursache ihres Schreis wohl eher die Tatsache, dass sie uns warnen wollte- vor irgendwem oder irgendwas und diese Tatsache sollte uns mehr als nur beängstigen.

Schnell erklärte ich Layla die Lage und deutete ihr, möglichst leise zu sein.

„Das ist doch noch lange kein Grund, mich einfach so in die Mangel zu nehmen!", erwiderte sie schnippisch im Flüsterton.

„Rose wird sich bei ihrer Warnung wohl etwas gedacht haben, weswegen wir es nicht drauf ankommen lassen sollten, die Warnung zu ignorieren. Sie ist nicht in Gefahr, wir vielleicht schon. Am besten sollten wir uns wappnen", schlug ich vor. Ich musste sachlich bleiben und durfte nicht zu Rose laufen. Sonst brachte ich uns in Gefahr. Die anderen beiden nickten stumm. Jake verschwand in sein Zimmer und kam wenig später zurück, um uns unsere Waffen zu überreichen. Dann warteten wir, auch, wenn wir nicht so genau wussten, worauf wir denn nun genau warteten.

Nach zehn Minuten hatte Jake die Nase gestrichen voll, wobei ich mir ziemlich sicher war, dass es Layla ganz genauso ging. Die Zeit verstrich langsam, man wartete gequält auf das nächste Tacken des Sekundenzeigers.

„So, ich muss jetzt mal was rauskriegen", beschloss Layla auf einmal bestimmt und schlich leise vor zum Zelteingang.

Jake folgte ihr mit der Begründung: „Wenn, dann alle zusammen!" Völliger Quatsch. Ich war kurz davor, die beiden zu ohrfeigen, erhob meine Faust. Wie dumm konnte man sein, dem Feind direkt in die Arme zu laufen? Mit grimmiger Miene folgte ich den Beiden. So kam es, dass wir alle nacheinander das Zelt verließen.

Die Kapelle wirkte noch genau so düster, als ich sie verlassen hatte. Die zwei Kerzen erleuchteten die dunkle Kapelle und warfen große Schatten an die Wand. Obwohl es windstill war, flackerten die Kerzenlichter. Doch, als ich den Raum verlassen hatte, war Rose noch da. Nun wirkte der Raum nur noch einsam und verlassen. Die Wärme war verschwunden. Keiner war mehr hier. Dennoch beschlich mich das ungute Gefühl, dass wir nicht alleine waren.

Fate And The Present- Die AuserwählteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt