Sichtwechsel: Rose
Ich war furchtbar nervös auf morgen früh, wenn wir uns im Hauptquartier trafen, sodass mir schon viele Stunden vorher die Luft wegblieb. Alles in mir brannte darauf, meine Gedanken jemandem zu erzählen oder aufzuschreiben, aber beides war viel zu gefährlich und riskant. Wenn es jemand erfuhr, war alles vorbei. Selbst meine Gedanken aufzuschreiben konnte ich nicht verantworten. Ein verschlossenes Buch würde niemanden daran hintern, es zu lesen, wenn dieser jemand wirklich darauf brannte, den Inhalt meines Tagebuchs zu lesen. Natürlich war ich nicht dumm und erzählte es jemanden, wo es doch keiner wissen durfte.
Gerade als ich mich auf den Weg zur Bücherei machen wollte, klopfte es an meiner Zimmertür und kurz danach steckte meine Mutter den Kopf in mein Zimmer.
„Guten Tag, Roselia. Wie geht es dir, meine Liebe? Hast du jetzt etwas vor?"
„Ja, ich wollte in die Bibliothek", antwortete ich.
„Aber du hast dir doch erst gestern ein Buch ausgeliehen. Warum machen wir beide nicht einen Spaziergang zusammen? Wir können auch zusammen fliegen. Dein Vater hat jetzt auch Zeit."
Am liebsten hätte ich ja gesagt, aber ich konnte meine Freunde nicht hängen lassen. Also tat ich das einzig richtige und sagte: „Es tut mir wirklich leid, aber heute geht es wirklich nicht. Ich treffe mich gleich in der Bücherei mit Layla. Aber wir können es ja ein anderes Mal nachholen."
Kurz war es still. Sofort begann ich mich zu hassen, für das, was ich sagte. Warum tat ich so etwas, warum belog ich meine Eltern? Sie waren immer so lieb zu mir und ich...
Meine Mutter antwortete: „Aber das ist doch kein Problem. Wir können das ja morgen nachholen. Da hast du ja bestimmt Zeit, nicht wahr? Nun denn, ich will dich nicht aufhalten. Richte Layla schöne Grüße von uns aus." Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und verschwand aus der Tür. Zurück blieb nur ich mit einem schlechten Gewissen...
Es war eine Sache, wenn man seine Eltern belog, aber eine andere, wenn man plötzlich und ohne Vorwarnung für Monate verschwand, ohne auch nur einem ein Sterbenswörtchen zu erzählen. Und genau das hatte ich vor und ich fühlte mich so schlecht dabei. Aber ich konnte meine Freunde jetzt nicht im Stich lassen, ich hatte es versprochen und was versprochen war, dass wurde auch nicht gebrochen...
Nun machte ich mich auf den Weg zur Bibliothek. Sie lag am Rande von James Hill, aber die meisten Leute gingen durch Arthurs Hollow, von wo aus in dem Dorf Hedwick ein Pfad genau dorthin führte. Von unserem Anwesen aus war der schnellere Weg aber, wenn ich direkt nach James Hill lief und dann in die Fledermausgasse einbog. Dort musste ich zweimal links abbiegen und dann die letzte Gasse rechts. Dieser Weg hörte sich zwar kompliziert an, ich weiß, aber er war für mich wirklich um Längen kürzer.
Während ich immer weiter ging, dachte ich über morgen, übermorgen, überübermorgen und die Tage danach nach. Die Ungewissheit, was noch passieren würde und was nicht, ließ mich einfach nicht los. Wir könnten sterben oder überleben. Wir könnten ziemlich viel Pech auf der Reise haben oder dort unser größtes Glück finden. Wir könnten über die Geschehnisse fröhlich oder traurig sein. Vielleicht schlugen wir uns gut, vielleicht auch schlecht. Vielleicht fanden wir neue Freunde oder auch Feinde. Vielleicht war es richtig, was wir machten, vielleicht aber auch falsch. Alles könnte passieren. Und dieses könnte war das, was mir Angst bereitete, sodass ich ganz kribbelig wurde.
Als ich über all das nachdachte, erreichte ich auch schon die Bibliothek und trat ein.
„Guten Tag!", begrüßte ich die Bibliothekarin höflich, doch sie nahm keinen Funken Notiz von mir und feilte weiterhin ihre Nägel. Auf dem Tresen war bereits ein kleiner Berg ihrer Nagelreste. Ich beschloss sie einfach in Ruhe zu lassen und ging zu meiner Lieblings Abteilung ein paar dreckige, von Spinnennetzen verhangene Regale weiter hinten. Dort fand ich auch schon relativ schnell geeignete Bücher. „Wesen von Screenwich und wie sie zu überwältigen sind", „Gefahren in Screenwich", „Die gute Seite von Screenwich" und zu guter Letzt „Magische Wesen von A-Z". Warum ich all diese Hinweise nie bemerkt hatte in den zwei Jahren, erschien mir schleierhaft.
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Fate And The Present- Die Auserwählte
FantasíaGut ist nicht gleich gut und böse ist nicht gleich böse. Aber wer bist du wirklich, wenn die Grenzen verschwimmen? Was soll Rose nur tun? Es ist nicht nur so, dass die 16-jährige Adelige aus dem beginnenden 17. Jahrhundert gestorben ist...Nein, jetz...