{3. Kapitel}

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Seine Akte war überfüllt von bedruckten Zetteln. Allerlei Hintergrundinformationen, Gutachten von unterschiedlichen Psychologen und Ärzten, ja sogar persönliche Vorlieben waren darin enthalten. Ich las die Akte von vorne nach hinten und wieder von hinten nach vorne. Und dennoch fühlte ich mich so unvorbereitet wie noch nie.

Ich wurde von einem eigenen Fahrer zu der Luminal Haftanstalt gebracht. Während der viel zu kurzen Fahrt, überflog ich nochmals die Polizeiakte des aktuellen Mordfalls. Diese Unterlagen waren im Gegensatz zu der des Häftlings, mit nur 3 lächerlichen Blättern bestückt.

Wir hielten an einem unscheinbar wirkenden Gebäude. Lediglich der Stacheldraht, der es umgab, gab Aufschluss darüber, um welches Gebäude es sich hier handeln musste.

Meine Handflächen waren schweißnass und mein Blutdruck stieg, als ich das Innere des Gebäudes betrat.

Ich hatte einen Termin, weshalb ich am Empfang angab, dass ich mich bereits in den Räumlichkeiten befand. Der Mann hinter dem Schalter verwies mich auf einen angrenzenden Raum, in dem ich zu warten hatte, bis ein für mich zuständiger Wärter mich holen kommen würde.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich hier nun schon seit 22 Minuten ausharrte. Ich drehte die Akte umher, klopfte mit meinen Knöcheln dagegen oder malte mit meinen Fingern kleine Kreise darauf.

Endlich tat sich etwas und ein uniformierter Mann trat auf mich zu. Vor seiner Brust hielt er eine Waffe.

„Sergeant, wir können" forderte er mich auf. Ich erhob mich und ging hinter ihm her. Wir betraten einen Aufzug. Der Wärter drückte den Knopf E -17. Lediglich das brummen des Fahrstuhls erfüllte die Atmosphäre. Sonst war es still.

„Ist das wirklich nötig?" fragte ich schlussendlich, die Stille nicht mehr aushaltend und deutete auf die Waffe des Wärters.

„Glauben Sie mir, 10 Minuten da drin und Sie wünschten sich, diese Waffe wäre nicht nur mit Gummigeschossen bestückt." Ich hob die Augenbrauen an. Na da fühlt man sich gleich wohl und heimelig.

Mit einem lauten Rums hielten wir. Geschmeidig, wie man es bei solch einem massiven Fahrstuhl eigentlich nicht erwartete, glitten die Türen auseinander. Und wir traten in den Gang hinaus. Er schien endlos lang. Das Licht war schummrig und die Luft abgestanden. Auf unserem Weg passierten wir mehrere bewachte Sicherheitstüren und änderten oft die Richtung. Sodass ich mir nicht mehr im Klaren war, ob wir nach Norden oder doch schon wieder nach Süden gingen. Unser kleiner Ausflug endete an einer schweren Eisentür, die mit mehreren Warnschildern zu plakatiert war.

„Sind Sie das erste Mal zu einer Befragung hier?" fragte der Wärter an mich gewandt.

Ich nickte, aber ich war gedanklich nicht bei ihm. Die Eisentür hatte ein schmales Fenster. Ich kniff meine Augen zusammen und versuchte etwas zu erkennen. Aber dieser Versuch blieb vergebens. Nichts war auch nur zu erahnen. 

„Dann erlauben Sie mir, Ihnen kurze Sicherheitsanweisungen zu erläutern." Mein Blick huschte zu dem Wärter. Ich musterte ihn, während er zu sprechen begann. „Hinter dieser Tür befindet sich nochmals ein Gang, dieser bringt uns in einen speziellen Befragungsraum. In diesem Raum wird nicht nur Ihre zu befragende Person sein, sondern auch andere Häftlinge, die auf ihre Befragung warten. Aber seinen Sie unbesorgt. Jeder Häftling sitzt in einer eigenen speziellen Befragungszelle, welche aus einem Sicherheitsglas gefertigt ist. Vor jeder Zelle ist ein Wärter positioniert. Sie selbst dürfen diesen Raum nur unbewaffnet betreten. Sollte Ihnen der Häftling zu nahe kommen, werfen Sie sich umgehend zu Boden. Nehmen Sie auf keinen Fall etwas an, dass der Häftling Ihnen zu geben versucht. Haben Sie alle Anweisungen verstanden oder noch irgendwelche Fragen?"

„Ich habe alle Anweisungen verstanden und habe keine Fragen mehr" gab ich monoton zurück. Mir wurde etwas mulmig. Ich hatte nicht erwartet, mit dem Häftling in einem Raum zu sein. Ich dachte, eine Glaswand würde uns trennen, aber dies schien nicht der Fall zu sein.

Der Wärter drehte mir den Rücken zu. Ein Alarm ertönte, als die Tür geöffnet wurde. Der Wärter schrittvoraus, langsam folgte ich ihm. Wir gingen den Gang hinunter, dessen Ende wieder mit einer schweren Sicherheitstüre verriegelt war. Wieder ertönte der Alarm. Meine Finger schlossen sich fester um die Akte, die ich in Händen hielt.

Das Licht wurde etwas besser. Sofort scannte ich den Befragungsraum ab. Nur auf der linken Seite befanden sich Zellen. Insgesamt 5 an der Zahl. Auf der Rechten standen die Wärter aufgereiht. Trotz des Geräusches, welches durch mein Eintreten entstand, drehte keiner von ihnen den Kopf in meine Richtung. Sie starrten eisern geradeaus.

Am gegenüberliegenden Ende des Raumes befand sich wieder eine schwere Eisentür. Sie war rot gekennzeichnet.  Auch diese war mehrfach beschildert. Ich konnte nur eines der vielen Schilder erkennen, da drei bewaffnete Wachmänner davor standen. Das Schild zeigte an, dass jeder Besucher zu dieser Tür mindestens 3 Meter Sicherheitsabstand halten musste. Hinter dieser Tür befand sich vermutlich der Gang, der zu den Zellen der Häftlinge führte. Ich wand meinen Blick ab und richtete ihn stattdessen nach links. Alle Wände der Zellen waren aus dem Sicherheitsglas, das der Wärter zuvor erwähnt hatte. Die Wände, die die einzelnen Räume voneinander trennten, waren milchig, sodass man nicht hindurchsehen konnte.

Im ersten Raum führte bereits eine Person ein Gespräch mit dem Häftling. Er trug eine blaue Hose und ein T-Shirt derselben Farben. Seine Hände und Füße waren mit schweren Ketten gesichert, die man selbst durch die Scheibe klirren hören konnte, wenn er sich bewegte. Wir gingen weiter.

In der zweiten Zelle spielte sich dasselbe Szenario ab. In der dritten wartet die Befragungsperson auf den Insassen und die vierte war leer. Der Wärter schob mich vor die fünfte Zelle.

In ihr saß bereits jemand. Die Person hielt den Kopf gesenkt. Es konnte nicht der Häftling sein. Er trug nicht dieselbe Kleidung, wie die anderen zwei. Er war mit einer schwarzen Hose und einem schwarzen T-Shirt bekleidet. Seine Füße steckten in gelben Vans ohne Schuhbänder. Als ich ihn so betrachtete, fiel mir auf, dass weder seine Füße, noch seine Hände gefesselt waren.

Er hatte seine tätowierten Oberarme auf der Tischplatte abgelegt. Sein Kopf war nach unten geneigt, wodurch seine braunen Locken wie ein Schleier fungierten, der meinen Blick von seinem Gesicht abschirmte. Der Wärter trat an die Zelle und hantierte an den Verriegelungen herum. Plötzlich hob der Braunhaarige den Kopf an. Seine Locken rutschten zur Seite und er sah mich aus strahlend grünen Augen an. Ein herzliches Lächeln umspielte seine dunkelroten Lippen.

Die mickrige Beschreibung in der Akte wurde ihm definitiv nicht gerecht, aber er musste es sein. Die wenigen Angaben die notiert wurden, stimmten überein. Also war das der Mann, mit dem ich meine nächsten Wochen verbringen würde.

Ein Alarm ertönte. Ein neuer Alarm.

Der Wärter hatte die Tür zur Zelle geöffnet. Ich wollte den Aufseher fragen warum er nicht gefesselt war, doch meine Beine trugen mich wie von selbst in das Innere der Zelle.

Schachmatt || LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt