„Die Presse nennt ihn den Chess-Killer" begann ich zu erzählen. Doch ich kam nicht weit, denn der Häftling nutzte die Zeit, in der ich Luft holte, um mich direkt zu unterbrechen.
„Chess? - Schach? So wie das Spiel?", hörte ich ihn fragen.
Ich hob meine Hand hoch. „Dazu komme ich gleich noch." Er hob eine Augenbraue an, ließ mich aber ungehindert fortfahren. „Das Opfer war ein 35-jähriger Bodybuilder. Er starb in seinem eigenen Fitnessstudio, nach Ladenschluss, beim Bankdrücken. Die Stange, auf der die Gewichte befestigt waren, drückte ihm die Luftzufuhr ab. Er erstickte."
„Tut mir leid wenn ich schon wieder unterbreche, aber das klingt nicht nach Mord, sondern eher nach Dummheit." Styles hatte seine Arme wieder auf dem Tisch abgelegt. Flüchtig ließ ich meinen Blick über seine Tätowierungen geleiten. Als ich zu ihm aufsah, sah ich, dass seine grünen Augen, mich die ganze Zeit dabei musterten.
„Gefällt Ihnen was Sie sehen?" fragte er mich mit amüsiertem Gesichtsausdruck.
„Wir haben noch keinen Deal, Mr. Styles." Diesmal war ich derjenige, der den Namen des anderen unnatürlich in die Länge zog. „Also zurück zum Fall."
„Richtig, der Fall. Ich muss mich entschuldigen. Das Blau Ihrer Augen hat gerade eine fesselndere Wirkung auf mich, als der Fall." Er ließ mich seine Grübchen sehen.
Ich räusperte mich. „Ähm Danke."
Styles' Lachen hallte durch die Zelle. „Also?"
Ich riss meine Augen auf. „Was also?"
„Der Fall."
„Oh ja. Jetzt kommt erst der entscheidende Teil." Ich rief mir die Bilder des Tatorts zurück in den Kopf. „Der Abdomen des Opfers wurde post mortem geöffnet."
„Oh, jetzt wird es ja endlich interessant", sagte er.
Ich blendete ihn aus und sprach einfach weiter. „Die Gerichtsmedizinerin fand in der Bauchhöhle des Opfers eine Schachfigur, eingewickelt in einem Stück Papier. Auf diesem Stand geschrieben..." Ich schlug die Akte auf und las laut vor. „Die Hand voller Asse, doch das Leben spielt Schach".
Styles zog die Augenbrauen zusammen und runzelte seine Stirn. „Welche Figur war es?"
Ich schloss die Akte wieder und holte tief Luft. „Der Turm."
„Schwarz oder weiß?"
„Weiß."
Styles hob seinen Zeigefinger an seine Lippe und fuhr sich gedankenverloren darüber. „Wie ungewöhnlich."
„Was wäre denn schon gewöhnlich?" antwortete ich auf seine Gedanken, die er laut aussprach.
Doch er ließ meine Frage unbeantwortet verhallen. „Die nächste Figur die auftauchen wird ist das Pferd." Styles erhob sich und erst jetzt wurde mir bewusst wie groß er eigentlich war. Wenn er stand und ich saß, hatte ich quasi seine Kniescheiben auf Augenhöhe. Eigentlich sollte sich ein mulmiges Gefühl in mir breit machen. Immerhin war er Insasse eines eigenen Hochsicherheitstrakts für geistig abnorme Rechtsbrecher. Er war nicht gefesselt und konnte sich in der kleinen Zelle frei bewegen, wie auch immer ihm der Sinn stand. Aber stattdessen empfand ich etwas wie Bewunderung. Sein Gehirn schien diese Daten so schnell zu verarbeiten, dass so etwas wie eine Bedenkzeit als überflüssig erschien. Er verstand dieses Spiel nicht nur, er war Teil des Spiels.
„Wollen Sie gar nicht wissen wie wir drauf kommen, dass es sich dabei um einen Serienkiller handelt, obwohl wir erst ein Opfer haben?" fragte ich ihn.
Er legte seinen Kopf leicht schief und betrachtete mich von oben herab. „Mmmmh Nein." Styles gab dem Wärter ein Zeichen, dass dieser ihn aus der Zelle holen soll.
„Moment" sagte ich, als ich mich erhob. „Ich sage, wann die Befragung zu Ende ist."
Styles hob seinen Mundwinkel an, wodurch ein schiefes Lächeln auftauchte. „Wir haben noch keinen Deal", wiederholte er meine Worte von vorhin. „Wenn es nicht das Pferd ist, gehöre ich ganz Ihnen, Sergeant. Aber wenn es das Pferd ist..." Er trat ein Stück näher an mich heran, „...gehören Sie mir."
„Kommen Sie, Styles" unterbrach uns ein Wärter, der mittlerweile in der Zelle war. Der Lockenkopf drehte sich zu ihm um und strecke seine Handgelenke aus. „Hallo Ryan" begrüßte er diesen. Ich hörte das metallische Klicken von Handschellen die geschlossen wurden. Ich wurde angewiesen, weiter in der Zelle zu warten.
Styles zwinkerte mir zu und schenkte mir ein liebliches Lächeln. „Ich freue mich auf nächste Woche" sagte er, ehe er zusammen mit dem Wärter aus der Befragungszelle trat. Dabei schlurfte, aufgrund der fehlenden Schuhbänder bei jedem Schritt aus seinen Schuhen heraus. Ich sah ihnen hinter her. Die Lippen der beiden bewegten sich. Sie schienen sich zu unterhalten, was hin und wieder von einem Lachen unterbrochen wurde. Die menschliche Wand aus Wächtern teilte sich auf. Ein Drehlicht ging an, als die rot gekennzeichnete Eisentür geöffnet wurde, welches die Wände abwechselnd in einen Orangeton färbte. Zwei Wärter hielten den Lockenkopf jeweils an einem seiner Arme fest und traten mit ihm durch die Tür. Sie wurde wieder mit mehreren Sicherheitsschlüsseln und Sicherheitscodes verriegelt. Dann stoppte auch das Drehlicht.
Kaum waren sie verschwunden, tauchte auch schon der uniformierte Mann, der mich zuvor schon in die Zelle brachte, auf.
Wir verließen den Befragungsraum und gingen zurück zum Fahrstuhl. Ich verließ mich dabei vollkommen auf den Orientierungssinn des Wärters. Bevor ich durch die letzte Sicherheitstüre treten durfte, wurde ich ein letztes Mal durchsucht, für den Fall, das mir der Häftling unbemerkt etwas zugesteckt haben sollte.
Lächelnd verließ ich das Gebäude. Die Polizeiakte hatte ich unter meinen Arm geklemmt, damit ich den Reisverschluss meiner Jacke schließen konnte. Ich steuerte auf den Streifenwagen zu und stieg ein.
Zurück auf dem Revier, ließ ich mich in meinen Schreibtischstuhl fallen. Ich verschränkte meine Finger hinter meinem Hinterkopf und streckte mich ausgiebig, bis nahezu jedes Gelenk meines Körpers ein erlösendes Knacken hören ließ.
„Fuck, erschreck mich nicht so" stieß ich aus, als ich mich wieder halbwegs gerade hingesetzt hatte.
„Tut mir leid, ich dachte du hast mich kommen gehört" konterte mein Kollege, welcher es sich in dem Stuhl bei meinem Schreibtisch gemütlich gemacht hatte.
„Was willst du, Liam?" fragte ich ihn gähnend.
„Na was wohl. Wie war das Gespräch mit dem Häftling?" Mein Kollege sah mich aus seinen großen braunen Augen an.
„Anders als ich es mir vorgestellt hatte. Ich dachte er würde ohne Punkt und Komma reden, ohne dabei wirklich meine Fragen zu beantworten. Aber stattdessen ist er so... ich weiß nicht. Er spricht sehr langsam, macht viele Pausen. Allgemein wirkte er sehr nett und zuvorkommend. Er hat mir sogar Komplimente gemacht." Ich lächelte leicht in mich hinein, als die Erinnerungen wieder aufkamen. Doch das Gelächter, in das Liam ausbracht, störte mich dabei. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu.
„Oh er muss echt gut sein" erwiderte dieser.
„Worauf willst du hinaus?"
DU LIEST GERADE
Schachmatt || Larry
FanfictionWas passiert, wenn der gefährlichste Insasse eines Hochsicherheitstrakts, zu deinem größten Vertrauten wird? Du fühlst dich genau bei der Person am wohlsten, bei der du es am wenigsten tun solltest. Larry Stylinson Cover by SPACE_BLAKK