{74. Kapitel}

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Ohne weiteren Umweg kam der Captain auf uns zu. Er blieb direkt vor dem langgezogenen Schreibtisch stehen, hinter welchem Liam und ich saßen. Seine linke Hand umfasste eine Akte. "Es scheint, als wären Ihre Mühen umsonst gewesen", sagte er. Ich zog meine Augenbrauen zusammen und überlegte im Stillen, was er wohl damit meinen könnte. "Offenbar konnte Isabella Holloway aus dem Staatsgefängnis entkommen."

Ich zog die Luft scharf ein, wie als wäre ich auf der Suche nach dem letzten bisschen Sauerstoff, das der Raum noch zu bieten hatte. Ich sah zu Liam, nicht wissend, was ich sagen sollte. Doch zum Glück fand mein Kollege die passende Worte. „Oh ähm... H-hat man sie bereits zur Fahndung ausgeschrieben?"

Der Captain kratzte sich am Hinterkopf. „Nein. Das hat sich erübrigt." Er warf die Akte auf den Tisch. „Man fand vor drei Tagen in Belgien ihren Leichnam." Mit diesem Schock, ließ er Captain uns wieder alleine.

Ich konnte kaum reagieren, da hatte Liam die Akte nicht nur an sich genommen, sondern auch schon geöffnet. Schnell überflog er den Inhalt. "Das war definitiv Hunter. Auch wenn wir schusstechnisch Besseres von ihm gewohnt sind." Liams Augen huschen über den Bericht. "Es war nur ein einzelner Schuss, welcher sie nicht sofort tötete. Er verletzte jedoch ihre Lunge so schwer, dass sie mehrere Stunden ihr eigenes Blut einatmete. Sie erstickte. Laut Gerichtsmedizinerin befanden sich in jedem Lungenflügel beinahe zwei Liter Blut."

Ich brachte kein Wort heraus. Ich griff nach der Akte, ich wollte es mit eigenen Augen sehen. Ich ignorierte den Bericht und sah sofort auf die Bilder, welche der Polizeiakte beiwohnten.

Der Ort des Verbrechens war ein Wald. Isabella lag auf dem vermoosten Erdboden, mit dem Gesicht nach unten. Ihre Beine hatten sich bläulich verfärbt, das letzte in ihrem Körper befindliche Blut war dort zusammengelaufen. Ein Teil der Erde, welche sie umgab, war zur Seite geschoben. Sie konnte nicht mehr um Hilfe schreien, also schleppte sie ihren blutenden Körper über die Erde. Mit der letzten Kraft, die in ihrem Körper steckte, zogen ihre Finger sie Millimeter für Millimeter vorwärts. Isabella schaffte zwei Schrittlängen, bevor sie endgültig starb.

In einer Kurzschlussreaktion erhob ich mich aus dem Stuhl. "Ich muss nach Deutschland! Wenn Hunter Isabella erwischt hat, dann ist er jetzt auf der Suche nach Harry. I-ich ich muss ihm helfen."

Liam hielt mich zurück. "Willst du jetzt ganz Deutschland durchkämmen, bis du Harry gefunden hast? Das dauert Jahre, Louis. Das schaffst du unmöglich rechtzeitig."

"Er ist in Pfullingen. So groß kann das nicht sein! Ich finde ihn, bevor Hunter es tut!"

Aus weit aufgerissenen Augen sah mich mein Kollege an. "Woher willst du überhaupt wissen, dass Harry nicht bei Isabella in Belgien war?"

Ich trat näher an Liam heran, als ich immer mehr Blicke der anderen Kollegen auf mir spürte. "Wenn er in Belgien wäre, dann wäre das auf dem Bild Harry und nicht Isabella. Er hätte nie zugelassen, dass Hunter ihr etwas tut. Er hätte sie geschützt, auch wenn das bedeutet, er würde dabei selbst sterben!"

Liam wollte mir erneut ins Gewissen reden, doch ich ließ ihm nicht den Raum dazu. Ich schlug verbal um mich. "Ich werde Harry finden! Ich muss! Ich kann nicht nochmal versagen. Nicht so wie bei Lillith."

Ohne ein weiteres Wort trat Liam zur Seite und ließ mich passieren. Ich eilte aus dem Revier. Noch während ich auf dem Weg in meine Wohnung war, versuchte ich Harry zu erreichen. Doch weder bei der Nummer aus der Schweiz, noch bei der deutschen meldete sich jemand. Aber ich gab nicht auf. Immer und immer wieder rief ich an.

Auch nicht nur eine Sekunde verschwendete ich einen Gedanken daran, dass es Harry so ergangen war wie Isabella. Dass er vielleicht bereits irgendwo lag. Nicht mehr fähig um Hilfe zu rufen, da ihn jeder weitere Atemzug dem Tode näher brachte. Ich dachte nicht daran. Denn in jeder meiner Vorstellung war ich schneller als Hunter. Eine andere Option ließ ich nicht zu.

Ich erreichte meine Wohnung. Mein Handy klemmte ich zwischen Schulter und Ohr ein, sodass ich beide Arme frei hatte.

Ich wollte gerade die Tür aufschließen, als mich ein Geräusch innehalten ließ. Es schien direkt aus meiner Wohnung zu kommen. Es klang nach dem Scharren von Krallen. Es war unmittelbar hinter dieser Tür. Irgendetwas schien in meiner Wohnung zu sein, was unbedingt hinaus wollte.

Die Tür war erst einen kleinen Spalt offen, da versuchte auch schon etwas hindurch zukommen.

Es war ein riesiger Hund. Ich erkannte ihn sofort.

Hufflepuff.

Schachmatt || LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt