Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Wütend folgte ich ihm. „Wieso kommst du erst jetzt damit an, wo ich dabei bin den Fall abzuschließen?"
Harry drehte sich so schnell und schwungvoll zu mir um, dass ich erschrak. „Du wolltest meine Hilfe nicht! Es wäre gegen die Vorschriften, jetzt wo du nicht mehr im Luminal bin." Harry straffte seine Schultern und lehnte sich mir immer weiter entgegen. Verunsichert trat ich einen Schritt zurück. Da fühlte ich auch schon die kalte Wand an meinem Rücken. Harry presste seine Hände so stark zu Fäusten, dass all seine Knöchel ergebend knackten.
Ich atmete tief durch, um seine Wut nicht auf mich abfärben zu lassen. Ich suchte nach den richtigen Worten. „Ruhe war deine stärkste Kraft und jetzt stehst du vor mir, bebend vor Wut. Was ist passiert?"
„Was passiert ist, möchtest du wissen?" Seine Stimme verlor an Lautstärke. „Mir ist langweilig. Hier ist es langweilig. DAS ALLES IST LANGWEILIG." Mit einem Schlag war die Ruhe wieder eingebrochen. Mit jedem Wort das seinen Mund verlies, zuckte ich mit den Augenlidern. „Ich habe eine Frage an dich. WANN?" Er spuckte mir dieses Wann regelrecht vor die Füße. „Wann ist es passiert?"
„Wann ist was passiert?" Ich verstand nicht im Geringsten worauf er hinaus wollte.
„Wann wurde ich vom sexy Häftling, reizvoll und gefährlich... zur zu fett gewordenen Katze, die nur noch schläft und der man hin und wieder mal die Wampe krault?"
Ich hatte bereits viel Übung darin mit aggressiven und gefährlichen Personen ein Gespräch zu führen. Doch hierbei konnte mir alle Übung der Welt nicht helfen. Das hier war ein ganz anderes Szenario. Harrys Worte passten einfach nicht zu seiner Mimik. Sie waren hasserfüllt, doch sein Gesichtsausdruck war angestrengt, als würde es enorme Konzentration fordern.
Er sah, dass ich ihn musterte. Er drehte seinen Kopf zur Seite und ließ mich nur noch sein Profil sehen, welches von seinen Haaren ein Stück weit verdeckt wurde. Harry brachte einen Stritt weit Abstand zwischen uns und ließ mich somit aus meiner beklemmenden Haltung.
„Du bist fast nie hier." Harrys Tonlage war mechanisch. „Und wenn du mal hier bist, dann hängt dein Kopf über Akten. Ich könnte deine Fälle innerhalb weniger Stunden lösen, aber für meine Hilfe bist du dir ja offenbar zu gut geworden." Seine Lippen bildeten ein falsches Lächeln. „Selbst eine tote Schildkörte kann sich schneller fortbewegen, als was du deine Verbrecher schnappst. Du verschwendest Zeit. Eine Zeit, in der du es nicht mal auf die Reihe kriegst, alle Beweise richtig zusammenzusetzen!"
Seine harschen Worte gingen wie Giftpfeile auf mich nieder. Widerstandslos bohrten sie sich direkt in mein Inneres und verletzten mich. Aber allmählich hatte ich eine Theorie, wo diese Wut ihren Ursprung hatte.
Dieses neue Leben bedeutet für Harry nicht nur einen Neuanfang sondern zeitgleich auch eine Degradierung. Vom Alpha hinter Gittern, zum unterdrückten Mitläufer in Freiheit.
„Harry...", ich atmete tief ein und gab mein Bestes den Schmerz zu ignorieren, den sein verbaler Angriff auslöste. „Du hast Recht. Ich versuche gerade zwei Dinge gleichzeitig zu tun. Und dadurch mache ich weder das eine, noch das andere richtig. Ich bin nicht so aufmerksam, wie meine Fälle es eigentlich von mir verlangen und ich helfe auch dir bei deiner Resozialisierung nicht."
Ich war überrascht, als Harrys Stimme nicht mehr dunkel und rau war, sondern nun wieder ihren melodischen Klang annahm. Ein Funken Traurigkeit spiegelte sich darin. „Dann... musst du dich wohl für eines der beiden Dinge entscheiden."
Meine Rezeptoren schienen sofort bereit eine Antwort aufmarschieren zu lassen. Ich öffnete meinen Mund. Gab aber keinen Laut von mir.
Mein lückenhafter Gedankengang wurde unterbrochen, als Harry meine Hände in seine nahm. Er schüttelte seinen Kopf. „ Nein. Du bist mir keine Antwort schuldig." Harrys Gemütszustand drehte sich schlagartig um 180 Grad. „Es tut mir leid", flüsterte er hauchzart. Ich wollte etwas erwidern, aber er unterbrach mich. „Sage jetzt bitte nicht, es sei in Ordnung. Denn das ist es nicht. Niemand darf so mit dir sprechen. Und am aller wenigsten Ich." Er sah auf meine Hände, die in seinen lagen. „Du verdienst es unterstützt zu werden. Und... ich möchte dich unterstützen. Für dein Glück, nehme ich alles Leid der Welt in Kauf." Harry schloss für ein Sekunde seine Augen und atmete tief durch. „Na los, fahr aufs Revier. Wenn du dich um den Fall kümmerst, dann hilfst du Millionen von Menschen. Aber wenn du hier bleibst, dann hilfst du nur einer einzigen Person...Nur mir...und ich kann warten." Mit glasigen Augen sah er mich an. Auch jetzt ließ er mir keine Zeit zu reagieren. Seine Hände rutschten an meine Hüften und schoben mich zur Tür.
„Ich werde mich beeilen. Gib mir eine Stunde, damit ich alles in die Wege leite." Ich küsste ihn. „Und dann wenn ich zurück bin, dann gibt es nur dich und mich."
Harry strich mein Haar aus meinem Gesicht und Lächelte schwach. „Das klingt schön."
Auf dem Revier angekommen rollte ich mit Liam den Fall nochmals neu auf, diesmal unter Berücksichtigung von Harrys Anmerkungen.
In der Zeit in der wir Seite an Seite die Beweismittellage auf neue Hinweise untersuchten, schien meinem Kollegen nicht entgangen zu sein, dass etwas vorgefallen war. Kurz umriss ich ihm meine vergangenen Stunden. „Harrys Gefühlswelt ist eben eine ganz andere, als die unsere", sagte ich schlussendlich, zu einem Ende kommend. „Seine gesamte zwischenmenschliche Entwicklung ist anders. Worte, die auf andere Individuen beruhigend wirken, können für Harry wie Öl sein, das man ins Feuer kippt."
Liam hörte mir aufmerksam zu, bevor er seine Bedenken kundtat. „Und du bist dir auch wirklich sicher, dass das nur seine andersartige Gefühlswelt ist und nicht eventuell... naja Entzugserscheinungen? Niall meinte doch, dass Harry so etwas schon einmal hatte." Er zuckte mit den Schultern und griff nach der nächsten Akte.
„Niall sprach von Halluzinationen, welche bereits nach drei Tagen aufgetaucht waren. Harry ist jetzt schon seit mehreren Wochen bei mir. Er ist ein bisschen launisch... und sind wir das nicht alle mal?"
Liam blieb mir eine Antwort schuldig.
Aus einer Stunde auf dem Revier wurden zwei. Und aus zwei Stunden wurden vier. Dieses Rad drehte sich immer weiter und so kam es, dass ich beinahe die gesamte Nacht hinter meinem Schreibtisch verbrachte. Die Uhr zeigte bereits 3 Uhr morgens, als ich mich auf den Weg zurück zu Harry machte.
Ich wollte schon mit meinem rechten Fuß über die Türschwelle treten, als ich realisierte was sich da eigentlich vor mir erstreckte.
Überall lagen Glassplitter. Bilderrahmen waren von den Wänden gefallen und am Boden in unzählige Stücke zersprungen. Große Trümmer aus Holz, die einst mein Mobiliar waren, zierten nun den Untergrund.
Ich griff nach meinem Halfter. Ein Déjà-vu kam in mir auf. Das war nicht das erste Mal, dass ich diese Wohnung mit gezogener Waffe betrat. Nicht wissend, was darin auf mich warten würde.
Langsam schritt ich stätig vorwärts. Die Glassplitter knackten untern meinen Füßen, als sie unter meinem Gewicht in weitere Stücke zerbrachen. Die Spur aus zertrümmerter Einrichtung zog sich den gesamten Flur entlang.
Ich hatte nur einen einzigen Gedanken: Was auch immer hier gewütet hatte... hoffentlich war Harry entkommen.

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Schachmatt || Larry
FanfictionWas passiert, wenn der gefährlichste Insasse eines Hochsicherheitstrakts, zu deinem größten Vertrauten wird? Du fühlst dich genau bei der Person am wohlsten, bei der du es am wenigsten tun solltest. Larry Stylinson Cover by SPACE_BLAKK