{19. Kapitel}

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„Tomlinson", knurrte ich in mein Telefon.

Das, von meiner Hosentasche warme Display wärmte meine Wange. Ich kickte einen Stein vor mich her, während ich darauf wartete, dass der unbekannte Anrufer sein erstes Wort tätigen würde.

„Hallo, ich bin Noam Dubois..." Seine Stimme und der dazugehörige französische Akzent, der auf manchen Wörtern stärker und auf manchen weniger zu hören war, verrieten mir sofort, wer er war.

Der Mann aus dem Luminal, der mich bisher bei jeder meiner Befragungen hinter dem Empfangsschalter begrüßt hatte. „...aus dem Lumin..."

„Ja, ich weiß wer Sie sind. Wie kann ich helfen?" schnitt ich ihm, durch meine soeben errungene Erkenntnis, das Wort ab.

„Ich rufe aufgrund dringlichsten Bitten einer unserer Insassen an." Er stoppte kurz, als müsste er nochmals nachlesen, um welchen Häftling genau es sich handelte. „Harry Styles", kam es schlussendlich aus dem Hörer.

Ich wusste, welcher Name fallen würde und dennoch stellte ich jede meiner Bewegungen ein, als er ertönte. Ich trat nicht nochmal gegen den Stein und ich tätigte auch keinen weiteren Schritt. „Was ist passiert?"

„Tut mir leid für die Störung, ich habe Ihre Nummer im Revier erfragt. Es ist eigentlich gegen die Vorschriften, aber Mr. Styles hat in den letzten Stunden mehrmals einen Wärter zu sich gerufen, um Ihren Gesundheitszustand zu erfragen."

Je mehr Noam sagte, desto weniger verstand ich. „Meinen Gesundheitszustand?"

„Ja, Sie mussten die letzte Befragung wohl vorzeitig verlassen und er dürfte deshalb etwas in Sorge um Sie sein."

Mein Körper war zu müde, um eine angemessene Reaktion zu zeigen. Ich stand einfach nur da und starrte auf den Gehweg. „Gibt es eine Möglichkeit ihn zu sprechen?"

„Ich darf leider kein Telefon an ihn aushändigen, aber ich könnte einen Termin für einen Besuch notieren."

„Oh ähm nein das ist nicht notwendig. Könnten Sie ihm einfach nur ausrichten, dass es mir gut geht?" Gegen Ende des Satzes wurde ich immer leiser. Doch Noam schien sich darüber keine Gedanken zu machen. Denn nach seiner Bestätigung, meiner Bitte nach zu kommen, war das Freizeichen, das nächste Geräusch das ich vernahm.

Ich ließ mein Handy wieder in meine Hosentasche gleiten und lief weiter.

Ich musste nicht besonders leise sein, als ich zuhause ankam. Juliet war um diese Uhrzeit mit Sicherheit schon wach, da sie in weniger als einer Stunde zur Arbeit musste.

Die Tür zur Wohnung hatte ich noch gar nicht richtig geöffnet, da ertönte schon Krach von der anderen Seite. Ich trat ein und erblickte Juliet, welche an der Kommode im Flur herum hantierte. Ich sah ihr eine Weile zu, bis sie mich endlich bemerkte. „Und wie findest du's?" waren ihre ersten Worte an mich, nachdem ich die gesamte Nacht nicht hier war.

Ich trat näher heran und beäugte was sie mir präsentierte. Ich kniff meine Augen zusammen und richtete, für eine bessere Sicht, meinen Oberkörper weiter herab. „Eine Schüssel voll.... Sand? Mit... was ist das?" Ich griff nach einem der Gegenstände, die sich in der Schüssel befanden. „Mit einer Plastikblume und Steinen?"

„Das ist ein Zen Garten." Juliet sah mich erwartungsvoll an, aber ich konnte ihre Freunde weder erwidern, noch so tun als ob. „Ach komm geh weg, ich brauche Platz. Ich bin noch nicht fertig."

„Willst du gar nicht fragen wo ich die ganze Nacht war oder ist dir meine Abwesenheit entgangen?" Mein Tonlage war selbst für mich schwer zu interpretieren.

Juliet hob ihren Blick nicht an, sie war weiter auf die Schüssel voll Sand konzentriert. „Naja du warst vermutlich auf einem Einsatz." Ihr gelangweiltes Schulterzucken löste eine schmerzhafte Leere in mir aus. Ihr Desinteresse war nicht neu für mich. Sie fragte mich nie wie es mir ging oder wie mein Tag war.  Also warum störte es mich gerade in diesem Moment so sehr?

„Wie kommt es, dass ein Insasse eines Hochsicherheitstrakts besorgter um mich ist, als meine eigene Freundin, mit der ich seit vier Jahren eine Beziehung führe?"  Es war eine rhetorische Frage, weshalb ich mich noch während dem sprechen abwendete und gehen wollte. „Viel Spaß mit deinem Samigarten."

„Es heißt Zen Garten", war alles, was ich leise hinter mir hörte.

Als Juliet in die Arbeit ging, war ich alleine.

Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich mir das Video der Überwachungskamera bei der Apotheke ansah. In Windeseile hatte ich es durch. Es passierte nichts, was meine Aufmerksamkeit beanspruchte. Es waren lediglich 4 Gestalten zu erkennen. Ein Mitarbeiter der Straßenreinigung, welcher damit beschäftigt war, die Wege von Zigarettenstummel zu  befreien, ein altes Pärchen und wieder der Mann der seinen Hund Gassi führte. Ich fuhr mir über mein müdes Gesicht.

Es wurde allmählich Nacht. Juliet lag bereits im Bett und schlief.

Und ich tat was ich sonst auch tat. Ich saß da und starrte an die Wand. Die Dunkelheit wurde von schwachem Mondlicht durchbrochen, das einen Weg in das Innere des Raums fand. Unschuldig tanzte es über den Boden.

In dieser Nacht fand ich heraus, dass Stille laut war. Sehr laut. Nahezu ohrenbetäubend.

Ich war wie ferngesteuert, als ich mich erhob, anzog und die Wohnung verließ.

Ich hatte kein Ziel und dennoch fand ich mich schnell vor einem Tabakautomaten wieder. Klirrend fiel das Geld hinein.

Ich schloss meine Augen, als der Rauch in meine Lunge strömte.

Es hatte mittlerweile zu Regnen begonnen. Einige Wasserlacken bildeten sich auf der unebenen Oberfläche des Asphalts. In einer davon spiegelten sich die Scheinwerfer eines nahenden Autos.

Es war ein Taxi.

Ohne nachzudenken hob ich meine Hand. Teer kleidete meine Lunge aus, als ich einen letzten kräftigen Zug meiner Zigarette nahm, ehe ich sie zu Boden warf. Ich öffnete die Tür und stieg ein. Mein Blick war zum Fenster gerichtet, aber ich sah nicht hinaus. Ich sah den Regentropfen dabei zu, wie sie über die Scheibe liefen, bis sie schlussendlich aus meinem Sichtfeld verschwanden.

„Wohin wollen Sie?" fragte mich der Fahrer.

Ja wohin wollte ich denn?

Ich wollte nachhause.

Aber nicht das Zuhause, dass an einen Ort gebunden war. Nein. Ich meinte das Zuhause, das erst durch Zuwendung und Geborgenheit bestimmter Menschen entstand.

Es war dieser Moment, in dem ich meine Mutter so sehr vermisste.

Meine Gedanken waren aus meiner Reichweite. Ich fühlte zwar, wie sich mein Mund öffnete und ich dem Fahrer eine Adresse nannte. Aber dennoch konnte ich nicht hören, was ich sagte.

Das Taxi fuhr los.

Schachmatt || LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt