{23. Kapitel}

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°°°Harrys P.o.v.°°°

Langsam schlug ich meine Augen auf. Ich wollte mich strecken und jeder der mir dabei zugesehen hätte, hätte mich für hilflos und unbeholfen erklärt. Aber das war ich nicht. Alles war genauestens berechnet. Ich streckte meinen rechten Arm in die Luft und den linken zur Seite hin aus, bis ich ein erlösendes Knacken hörte. Meine Beine mussten angewinkelt bleiben, da ich sonst eine kleine Ablage umstoßen würde, auf der mein Frühstück abgestellt wurde. Meinen Kopf hielt ich in einer leichten Schräglage, um mich nicht an der Wand direkt hinter mir zu verletzen.

Meine Isolationszelle war knapp bemessen, weshalb ich nur meine Arme auszustrecken brauchte, um die Kleidung zu erreich, die für mich bereit gelegt wurde. Für das Ankleiden stand ich auf. Ein kleines Fenster in der Stahltür ermöglichte dem Häftling, der seine Zelle direkt gegenüber hatte, mir jedes Mal dabei zu zusehen.

Mein Frühstück bestand wie an jedem Morgen, der vergangenen 10 Jahre, aus zwei Scheiben ungetoastetem Toastbrot ohne Rinde, mit etwas Butter bestrichen. Ich blieb mir selbst treu, indem ich es auch heute nicht anrührte.

Nachdem mich ein Wärter abgeholt hatte, damit ich die Sanitärräume besuchen konnte, wurde ich wieder zurück in meine Isolationszelle gesteckt.

Einiges an Zeit war vergangen. Ich wusste nicht wie viel. Das wusste ich nie. Hier drin verlor man jegliches Zeitgefühl, sowie den Sinn hinter Wochentagen und Monatsnamen. Die vier Jahreszeiten waren für mich nur noch eine Pizza. Sonst hatten sie jegliche Bedeutung verloren. Sonne hatte ich schon lange keine mehr gesehen und auch Regentropfen und Schneeflocken waren mir fremd geworden.

Ein Alarm ertönte. Die Tür meiner Isolationszelle wurde geöffnet. Das der Alarm zur Sicherheit der Wärter diente, war ein Irrglaube. Er war für uns Insassen. Er zeigte uns an, dass wir uns nun mit dem Gesicht zur Wand zu drehen hatten. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt und die Handgelenke nach außen gedreht, sodass mein Aktionsradius auf ein Minimum beschränkt wurde.

Ich erkannte Zayns Stimme, die zu mir sprach, während sich das kalte Metall um meine Handgelenke legte. „Du hast Besuch." Er zog die Fesseln zu. Früher hätte es mir Schmerzen bereitet, doch mit den Jahren wurde die Haut um meine Gelenke taub.

An meinem Ellbogen drehte Zayn mich zu sich herum. „Du kannst deinen Augen sagen, sie können das Funkeln wieder einstellen. Es ist nicht der Sergeant", sagte er mit einem Grinsen im Gesicht.

Meine Laune sank ins Bodenlose. „Wer denn dann?" fragte ich irritiert.

„Ich weiß es nicht, aber vorhin hat man zwei Kolleginnen für die Leibesvisitation gerufen, also kannst du dir ziemlich sicher sein, dass es eine Frau sein wird."

Während Zayn mich durch die Gänge schob, ging mein Verstand alle möglichen Personen durch, die mich wohl besuchen würden. Schnell kam ich zu einer Antwort.

Niemand.

Es gab niemanden.

Die Zelle war noch leer, als ich hineingeschoben wurde. „Soll ich die Handschellen jetzt auch wieder abmachen?" Zayn wirkte unbeholfen, es war nicht nur eine neue Situation für mich, sondern auch für ihn. Ich hatte vielleicht viele Befragungen, aber keine Besuche.

„Mach sie ab." Eigentlich mussten nicht nur die Hände des Häftlings gefesselt werden, sondern auch dessen Füße. Ein zusätzlicher Gurt, der um Arme und Brustkorb geschnallt wird, sollte einem auch noch die letzte Bewegungsfreiheit nehmen. Mir diese Sicherheitsvorkehrungen anzulegen, versuchten allerdings nur Neulinge, die noch nicht wussten, wie es hier lief.

Ohne zu zögern, tat er, was ich gesagt hatte. Er nahm die Handschellen ab und verließ die Zelle.

Kurze Zeit später, ertönte der Alarm und eine geheimnisvolle Person trat vor mich.

Ich blickte sie nicht an, aber ich fühlte, wie ihre Augen meinen Körper entlang wanderten.

„Du...Du bist attraktiv", ertönte ihr zartes Stimmchen, nach einigen Momenten der Stille.

Ich fuhr mit meiner Zunge über meine Zähne und ließ sie anschließend nach unten schnalzen. „Ja, das ist auch alles, was ich kann." Der Ton den ich anschlug, war rau.

Sie räusperte sich und nahm vor mir Platz. „Ich brauche deine Hilfe."

„Das brauchen sie alle, die auf dieser Seite des Tisches sitzen."

Im Augenwinkel sah ich, dass sie verhalten nickte. „Ich verstehe." Sie zog die Luft ein. „Ich... Ich I-ich bin Juliet Haynes."

Sofort sprang ich auf und starrte sie, aus weit aufgerissenen Augen, an. „Ist ihm was passiert? Ist Lou etwas passiert?"

Sie hob schützend ihre Hände. „Nein, es geht ihm gut." Mit immer noch erhöhtem Blutdruck ließ ich mich zurück auf die Sitzfläche sinken.

Juliet musterte mich, sagte aber nichts weiter. Sie schien hier hergekommen zu sein, ohne sich ihren Plan genau zu Recht gelegt zu haben. „Ich bin hier, weil ich sehen wollte wer du bist." Sie blickte auf ihre Hände. „Immer wenn dein Name fällt, hellt sich Louis' Gesicht auf. Er wirkt glücklich..."

Ihre Worte verwirrten mich. Ich hätte alles kommen sehen, alles...aber nicht das. „Juliet, zwischen mir und Lou ist nichts vorgefallen..." versuchte ich mich rechtzufertigen. Weniger um meine Haut zu schützen, sondern mehr um Louis' zu schützen.

„Das weiß ich, Louis ist ein treuer Mann." Das was sie sprach, wirkte positiv, aber ihr Gesicht war zu einer Maske verzerrt. Man konnte förmlich die Last auf ihren zarten Schultern sehen. „Harry... Als Lou und ich uns kennengelernt hatten, wusste ich, unsere Zeit ist begrenzt. Ich bin nicht glücklich und er ist es auch nicht." Sie stoppte kurz und schien ihre Gedanken neu zu ordnen. „Ich wollte ihn, mit alledem nicht alleine lassen... Jetzt wo ich so vor dir sitze, weiß ich, dass er nicht alleine ist... und es auch nie wieder sein wird."

Ich wollte etwas erwidern, aber ich konnte nicht. Es war, als hätte ich meine Stimme verloren.

„Harry, er vertraut dir... also vertraue ich dir auch. Ich möchte, dass du Louis schützt. Schütze ihn vor allen schlechten Dingen dieser Welt."

Ihre Worte versetzten mir einen Stich. Wild begann ich meinen Kopf zu schütteln. „Nein. Das kann ich nicht." wisperte ich leise.

Juliets Blick war undefinierbar. „Warum nicht?"

Ich schluckte. „Weil ich gelogen habe. Ich habe versagt, Juliet."

Sie erhob sich aus dem Stuhl. „Dann biegst du das eben wieder hin." Sie sagte dies mit solch einer Professionalität, die mir das Gefühl gab, dass sie ein Roboter sei. Aber ich wusste, es war ein Schutzmechanismus, der einzubrechen drohte. Mir war klar, sobald sie aus dieser Zelle trat und sie in ihr Auto steigen würde, würde sie weinen. Sie würde zu Lou fahren und ihn verlassen. Eine Welt wird für ihn zusammenbrechen. Sie nahm ihm auch noch das letzte bisschen Halt. Und das nur, weil sie dachte, ich könnte ihn retten. Aber das konnte ich nicht. Ich war der, der ihn zu Fall bringen würde.

Es war wieder einer dieser Momente, in denen ich es hasste, zu sein, wer ich eben war.

Schachmatt || LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt