{71. Kapitel}

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Nicht der Mann war es, der mein Erinnerungsvermögen anknipste. Sondern der Hund, der bei ihm war.

Im Gegensatz zu seinem Herrchen, wessen Gesicht von einem Kapuzenpulli verdeckt wurde, blickte der riesige Alaskan Malamute direkt in die Kamera, welche dieses Bild aufnahm. Seine schwarzen Knopfaugen schienen den Fotografen förmlich anzuvisieren.

„Ich traf den Mann einst in dem Park, in welchem wir damals die zweite Leiche gefunden hatten", sprach ich wie hypnotisiert. „Hufflepuff, sein Hund... er sprang mich an." Mein Blick wandere zurück zu dem Mann auf dem Bild.

Mit den Ellbogen auf den Knien abgestützt saß er an einer Bushaltestelle. Lediglich einzelne dunkelbraune Haarspitzen lugten von der Kapuze hervor. Der Rest wurde von seiner Kleidung und dem riesigen wolfsartigen Hund verdeckt, der vor ihm saß. Mein Gedächtnis fügte weitere Details hinzu, welche ich bei unserer Begegnung aufgeschnappt hatte. Er war ein Mann von Größe und muskulöser Statur. Seine Stimme war freundlich. Obwohl seine Orientierung ausgeprägt war, hatte ich das Gefühl, dass er nicht von hier war.

Dom unterbrach den Film, den meine Erinnerungen erzeugten. „Du kennst ihn?" fragte er überrascht.

Kennen ist vielleicht etwas zu viel, er nannte mir den schnellsten Weg zur nächsten Apotheke. Das war auch schon alles, was er zu mir gesprochen hatte." Ich zuckte mit den Schultern. In meinen Augen war es eine Nichtigkeit, doch Doms Gesichtsausdruck verriet mir, dass ich mich dabei irrte. „Er machte auf mich einen freundlichen Eindruck. Und danach habe ich ihn auch nie wieder gesehen."

„Das stimmt so nicht ganz." Dom rutschte näher zu mir und tippte auf das Foto, welches ich immer noch in Händen hielt. Seine Augen waren dabei starr auf mich gerichtet. „Das ist Hunter Burris."

Mein Mund klappte auf. Meine Sprechorgane revidierten. Ich brachte keinen Laut heraus. Vollkommen unwillkürlich, ging ich mit dem Gesicht noch näher an das Bild heran. Das war er also? Der berühmt berüchtigte Hunter Burris. Dessen Männer sich perfekt getarnt direkt unter uns bewegten und es bis in ein geschütztes Regierungsgebäude schafften.

Der Mann, ohne Gewissen, sollte tatsächlich derselbe sein, der seinen Hund liebevoll Hufflepuff nannte? Gefährlich und skrupellos soll er einer Frau sieben Mal in den Rücken geschossen haben und gleichzeitig war auch er es, der seinen Vierbeiner am Halsband festhielt, um zu verhindern, dass sein Hund mich verletzte, als er an mir hochspringen wollte? Derselbe Mann, der Harry tyrannisierte, erklärte mir geduldig und mit freundlicher Stimme den Weg zur nächsten Apotheke?

Ohne meinen Blick von dem Foto zu nehmen, sprach ich zu Dom. "Wie sicher bist du dir, dass das Hunter ist?"

Dom reichte mir einen weiteren Zettel. "Das ist ein Auszug aus der Luminalakte seines Bruders Haydon."

Ich sah auf die Fotos die ihn einmal von vorne und zweimal im Profil zeigten. Je länger ich die Bilder von Haydon und die von Hunter verglich, desto beständiger wurde mein Wissen. Zweifelsohne, der Mann mit dem Hund war Hunter Burris.

"Wenn du ein Regierungsbeamter wärst und ein Häftling unterstützt dich in deinen Ermittlungen, wie würdest du vorgehen?" fragte ich.

Dom schien von meiner plötzlichen Frage sichtlich irritiert zu sein, aber dennoch versuchte er unvoreingenommen zu antworten. "Ich würde ihn in ein Zeugenschutzprogramm stecken."

"Und wie?" fragte ich weiter.

"Auf jeden Fall braucht der Häftling eine neue Identität." Der Bunthaarige schien nun gedanklich vollkommen bei meiner Story zu sein. "Er muss irgendwo untergebracht werden, wo ihn keiner vermutet und dennoch nah genug, um Informationen sicher weitergeben zu können. Und dann sollte man alle anderen bereits vorhandenen Daten vernichten... Ooooh, warte! Du denkst Harry ist in einem Zeugenschutzprogramm und die Regierung versuchen durch ihn an Hunter ran zu kommen?"

Ich nickte zustimmend. "Denkbar wäre es oder nicht? Dann bleibt aber immer noch die Frage nach dem Warum. Im Gerichtssaal wollte Harry keiner Glauben schenken, dass Hunter ein eigenständig existierendes Individuum war. Warum also jetzt auf einmal?"

Dom zuckte mit den Schultern. "Vielleicht gab es doch noch einen Zeugen, der die Aussage von Harry gestützt hat. Doch egal wie sehr du dir auch den Kopf darüber zerbrechen magst. Du wirst keine Antwort finden. Selbst wenn es wirklich einen weiteren Zeugen gegeben hätte, wir wissen nicht, wer er ist. Harry ist somit der einzige der dir sagen kann was passiert ist. Und der ist irgendwo in einem deutschsprachigen Land verschollen." Dom sah auf seine Finger und prüfte die Beständigkeit seines schwarzen Nagellacks.

"Moment, warte. Deutschsprachiges Land?" fragte diesmal ich sichtlich irritiert.

"Naja ein Zeugenschutzprogramm dient dazu die Identität des Zeugen zu verschleiern. Aber sobald Hunter mitbekommt, dass gerade all seine Leute verhaftet werden wird er sofort wissen, wer dahinter steckt. Und Hunter kennt Harry persönlich. Seine Identität kann somit nicht geschützt werden, aber man kann versuchen seinen Aufenthaltsort zu verschleiern."

Ich legte meine Stirn in Falten. "Und da denkst du ausgerechnet an Deutschland?"

"Siehst du, genau das ist der Punkt." Voller Energie machte Dom mir seinen Gedankengang ersichtlich. "Ich habe nie Deutschland gesagt. Sondern nur deutschsprachig. Man vergisst dabei einfach vollkommen die andren Vollzentren wie Österreich oder die Schweiz. In diesen Ländern wird auch Deutsch gesprochen. Und was ist mit den Halbzentren Belgien, Südtirol, Luxemburg und Liechtenstein? Er könnt sich in einem dieser Länder aufhalten. Bis man raus gefunden hat in welchem er ist, hat er das Land schon wieder verlassen."

Ich ließ mir seinen Vorschlag durch den Kopf gehen. „Ich weiß nicht, das ist sehr weit hergeholt, Dom."

"Vermutlich hast du Recht." Er erhob sich. "Ich schaue definitiv zu viele Filme." Dom und ich gingen noch einige Zeit neben einander her, bis sich unsere Wege trennten und ich wieder alleine war.

Ohne Rücksicht auf meine Nachbarn zu nehmen ließ ich die Wohnungstür ins Schloss fallen. Der Tag war lang und nervenaufreibend. Ich wollte einfach nur noch ins Bett und alles hinter mir lassen, doch etwas durchschnitt meinen Plan. Es war mein Handy, das fröhlich vor sich hin läutete.

Ich sah auf das Display. Die Nummer des nächtlichen Anrufers begann mit +41.

Schachmatt || LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt