{45. Kapitel}

5.5K 559 159
                                    

Ich schluckte und das obwohl mein Mund staubtrocken war. "Harry?" hauchte ich tonlos. Der Lockenkopf nickte langsam, ohne auch nur eine Sekunde seine Augen von mir zunehmen. Ich nahm seine Regung gar nicht wahr. Ich glaubte eher daran, meinen Verstand nun vollkommen verloren zu haben, als dass er wirklich vor mir stand.

Sinn suchend blickte ich umher. Meine Augenlider begannen zu flackern und mein Stand wurde wackelig. „I-Ich...Ich hielt deine Sterbeurkunde in meinen Händen", stotterte ich. Harrys Griff um meine Arme wurde fester. Er schien nun einen Großteil meines Gewichtes zu tragen, um meine schwächer werdenden Beine zu entlasten.

"Es tut mir leid" murmelte der Lockenkopf leise. "Ich konnte dich nicht in den Plan einweihen... nicht so lange ich nicht sicher wusste, dass es funktionieren wird." Seine samtige Stimme wieder hören zu dürfen, war ein wahres Geschenk.

Ich begann ihn zu mustern. Ich suchte Hinweise. Hinweise die mir zeigen würden, dass Harry nicht wirklich vor mir stand. Sondern das das alles nur ein Betrug meiner Sinne an mich war.

Meine Hand war zittrig, als ich sie nach ihm ausstreckte. Ich war überrascht, wie glaubhaft intensiv mir mein Gehirn Empfindungen vorgaukeln konnte. So bildete ich mir doch tatsächlich ein, den Stoff des schwarzen Hemdes zu erfühlen, das seinen Oberkörper bekleidete. Seidig glitten meine Fingerspitzen darüber. Problemlos konnte ich eine Locke von seinem braunen Haar um meinen Zeigefinger wickeln. Ich fühlte wie warm seine Haut war, als ich sein Gesicht berührte.

Harry fing meine, ihn ertastende, Hand ab. Vorsichtig hielt er sie fest, als wäre sie so fragil wie eine zarte Blume. "Louis, Ich bin real."

Stumm betrachtete ich meine Hand, die so sicher in seiner lag, als würde sie dort hingehören.

Harrys linker Arm, der noch immer auf meinem Ellbogen ruhte, rutschte nun zu meiner Hüfte und zog mich so näher an sich. Er schloss seine Arme um mich und hielt mich einfach fest. Nur langsam verstand ich, warum er das tat. Durch diese Geste war es mir möglich seinen rhythmischen Herzschlag an meiner Brust fühlen zu können. Kaum merklich war das Pochen, aber dennoch war es da. Ich vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge. Immer mehr Tränen der Erleichterung durchnässten sein Hemd, während Harry sein Kinn auf meinem Kopf bettete.

"Was ist passiert?" nuschelte ich nach einiger Zeit, die verstrichen war, gegen seinen Hals.

"Ich werde es dir erklären, sobald Zeit dafür ist, aber jetzt will ich einfach nur weg von diesem Ort."

Seine Worte ließen mich aufsehen. "Weg von diesem Ort? Wie meinst du das?"

"Marley hat mir die Möglichkeit geboten, meine Arbeit in einem anderen Hochsicherheitstrakt auszuführen. Aber ich habe abgelehnt."

"In Isolation zu bleiben war doch alles was du wolltest", fiel ich ihm ins Wort.

"Vielleicht war es das einmal, aber seit ungefähr einem halben Jahr gibt es etwas anderes das ich will." Er schenkte mir ein liebliches Lächeln. "Ich bin hier her gekommen, habe meine Aufgabe verrichtet und darauf geachtet mich selbst zu schützen." Ich lauschte seiner Stimme, während wir uns in Bewegung setzten. Harrys Präsenz zog mich so in den Bann, dass ich das Verlassen des Raumes nicht mal am Rande mitbekam. „Seit ich dich kenne, Louis, geht das nicht mehr. Meine eigene Sicherheit bedeutet mir nichts. Ohne es überhaupt zu merken, wurde dich zu beschützen, meine oberste Priorität."

Die Gänge zogen an uns vorüber. „Ich bin mit dem Wissen hier hergekommen, dass du nicht mehr am Leben seist und jetzt sagst du mir, dass du heute mit mir das Luminal verlassen willst?" Hektisch fuhr ich mir durch die Haare. Das war alles was ich wollte und dennoch klang es laut ausgesprochen viel zu unglaubwürdig. Die letzten Wochen waren von Finsternis und Zerstörung durchzogen und plötzlich sollte sich alles einfach zum Guten wenden? Wäre mein Leben ein Film, würde sich an dieser Stelle jeder Zuseher fragen: Wo war der Haken an der Sache?

Schachmatt || LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt