{7. Kapitel}

5.6K 542 78
                                    

Noch in der Nacht klingelte mein Handy. Seit ich den Fall übernommen hatte, schlief ich nicht mehr. Ich wartete. Genau auf diesen Moment. Schnell riss ich mein Smartphone vom Nachttisch und nahm den Anruf entgegen, bevor er Juliet wecken würde.

„Tomlinson" sagte ich, während ich mich leise aus dem Bett erhob. Mein Blick huschte zu Juliet. Sie schlief tief und fest, eingekuschelt in zwei Decken. Sie hatte sich nicht mehr abgeschminkt. Ihr Make-up saß mittlerweile verschmiert in ihrem Gesicht.

Auf Zehenspitzen verließ ich den Raum und schloss die Tür hinter mir.

Liam war auf der anderen Seite der Leitung. „Wir haben eine neue Leiche" sagte er müde und mit kratziger Stimme.

Ich atmete tief ein und schloss meine Augen. „Wo?"

Er nannte mir die Adresse, während ich mich bereits hektisch anzog und zum Tatort eilte.

Einer der Streifenpolizisten hob das Absperrband für mich an, sodass ich problemlos darunter durchgehen konnte. Ich ließ meinen Blick über das Gelände schweifen. Es war ein kleiner Park. Er lag relativ versteckt, weshalb nicht viele Menschen hier her kamen. Nur die Wenigsten wussten, dass sich noch so weit außerhalb der Stadt ein solch schöner Park befand. Er beherbergte seltene Blumen und alte Bäume boten im Sommer schattige Plätzchen. Einige mit Moos bewachsene Statuen verliehen dem Ganzen einen historischen Charme.

Doch in diesem Moment hatte der einst so zauberhafte Park, all seine Schönheit verloren. Überall liefen Kollegen der Spurensicherung herum. Das Blaulicht der Streifenwägen kroch über das Gras und Absperrband flatterte im Wind.

Liam tauchte in meinem Blickfeld auf. Er kaute auf seinem Kugelschreiber herum, seine Augenbrauen waren zusammengezogen, als würden ihn seine Gedanken in Grund und Boden schreien. Als auch er mich endlich sah, kam er auf mich zu.

„Was haben wir?" fragte ich meinen Kollegen.

Liam sah kurz auf seinen Notizblock. „Sie war vermutlich Anfang 20."

„Sie?" unterbrach ich ihn direkt.

„Ja." Ich sah wie sich sein Kiefer anspannte. Wir traten näher an die Leiche heran, sie war mittlerweile mit einem Leintuch bedeckt, als er weiter sprach „Sie ist vermutlich schon über 24 Stunden Tod. Der Mörder hat ihren Körper mit Laub bedeckt. Den Kopf aber nicht."

„Wer hat sie gefunden?" fragte ich.

„Ein Gärtner, er ist hier für die Grünraumpflege zuständig." Liam deutete zu einem Mann, Mitte 40. Er wurde gerade am Rande des Schauplatzes von einem Polizisten befragt.

„Wurde wieder eine Schachfigur gefunden?" Mein Blick wanderte zurück zu Liam.

„Die Kleidung des Opfers wurde bereits durchsucht. - Nichts."

Ich nickte geistig abwesend. Meine Knie knackten leicht, als ich in die Hocken ging. Liam tat es mir gleich und zog das Tuch in einer flüssigen Bewegung zur Seite.

Aus erstem Reflex drehte ich meinen Kopf weg und kniff die Augen zusammen. Ich musste mich kurz sammeln, ehe ich einen zweiten Blick wagen konnte.

Ich zog die Luft scharf ein und sah wieder zu dem Opfer. Sie war dunkelblond. Ihre Haut hatte trotz der kühlen Jahreszeit einen leichten Brancheschimmer. Sie musste in der vergangen Zeit wohl öfters ein Solarium aufgesucht haben. Ihre Kleidung war einfach und eher bequem gehalten.

Ich rutschte näher zu ihrem Gesicht und versuchte nun das in Augenschein zu nehmen, wofür ich zuvor noch nicht bereit war. Das linke Auge der Frau wurde sauber aus der Augenhöhle herausgelöst. Feine glatte Schnitte wiesen darauf hin, dass zu Beginn mit einem Skalpell gearbeitet worden sein musste. Später durfte wohl auch Gewalt eine Rolle gespielt haben, denn der Sehnerv des Opfers wurde nicht durchtrennt, sondern herausgerissen.

„War das die Todesursache?" wand ich mich an Liam, als ich mich über den Kopf des Opfers bog. „Nein. Stumpfe Gewalteinwirkung am Regio occipitalis", folgte sogleich die Antwort.

„Wurde das Auge gefunden?"

„Nein noch nicht."

Ich streifte meine Handschuhe über und griff in die leere Augenhöhle. Ich musste die Muskeln, die eigentlich das Auge einbetteten zur Seite bewegen. Das Gewebe machte ein schmatzendes Geräusch, als ich dranfasste.

„Was hast du vor?" Der Ekel der Liams Stimme durchzog, war kaum zu überhören.

„Die erste Figur war nicht in den Taschen der Kleidung... sondern im Opfer."

Meine Hypothese schien sich zu bewahrheiten als ich plötzlich etwas ertastete. Ich versuchte das Objekt zu umfassen. Vorsichtig zog ich es heraus.

Ich sah auf das was ich nun in Händen hielt.

Die nächste weiße Schachfigur.

Mit meinem Daumen strich ich das Blut und die Gewebestücke, die daran hafteten weg, um zu erkennen, welche Figur es war. Ich wog sie in meiner Hand umher, ohne sie auch nur wirklich anzusehen.

Mein starr gewordener Blick traf auf den von Liam. Keiner von uns beiden sagte ein Wort.

Meine Stimme war die erste die zurückkehrte. „Wie?" flüsterte ich, mehr zu mir selbst als zu Liam. „Wie konnte er wissen, dass es das Pferd sein wird? Keiner von uns hat ein Muster erkannt, er aber offenbar schon."

Ich spürte, dass Liam mir seine Hand auf die Schulter legte. „Nutz es zu unserem Vorteil."

Ich gab die Figur an einen der Spurensicherung weiter, der sie für mich eintütete und beschriftete.

Schachmatt || LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt