{47. Kapitel}

5.1K 532 56
                                    

Ich versuchte mich aus Harrys verkrampfter Umklammerung zu lösen. „Es tut mir leid", ruderte ich zurück. „Die vergangen Tag mussten für dich noch anstrengender gewesen sein, als für mich. Ich hätte dich nicht gleich damit löchern dürfen." Ich ließ meine Arme neben meinen Körper sinken und trat einen Schritt zurück.

„Nein, das ist es nicht", ließ Harry mich wissen. „Ich musste schon durch so viele traumatisierende Dinge durch, dass es bereits für zwei Leben reichen würde." Ein schwaches Lächeln trat auf seine Lippen, verschwand jedoch sofort wieder, ohne seine Augen erreicht zu haben. „Ich möchte nur einfach nicht, dass du dir Sorgen machst."

Nachdenklich biss ich auf meiner Unterlippe herum. „Sagst du mir wenigstens, wie es dazu kam?"

Harry fuhr sich durch die Haare, ehe er seinen Blick direkt auf mich richtete. „Ein Häftling namens Haydon Hunter fand meine wahre Identität heraus."

Bei seinen Worten klappte mein Mund auf und meine Augen wurden groß. „Wie, ich..." Harry zog scharf die Luft ein, was mich fürs erste verstummen ließ. Ich versuchte meine wirren Gedanken zu sortieren, scheiterte jedoch maßlos.

Für den Bruchteil einer Sekunde war Harrys Miene maskenhaft erstarrt. „Je weniger du von allem weißt, desto sicherer bist du." Der ernste Unterton war kaum zu überhören und ließ mich schaudern.

„Also geht Gefahr von ihm aus?" fragte ich mit genauso ernstem Gesicht.

Der Lockenkopf trat einen Schritt auf mich zu und überbrückte wieder so die Distanz die ich zuvor zwischen uns brachte. Er nahm meine Hände in seine. Sein Daumen strich kaum merklich über meinen Handrücken. „Wenn Gefahr bestünde, dann würde ich mich nicht in deiner Nähe aufhalten. Ich würde unter keinen Umständen Haydons Aufmerksamkeit auf dich lenken wollen, Louis. Solange er in den Fängen des Luminals ist, wird nichts passieren."

Harrys Worte schienen ehrlich und dennoch fiel es einem kleinen Teil in mir schwer, ihm vollends Glauben zu schenken. Ich wollte mehr über diesen mysteriösen Häftling wissen, der Harry zu Fall brachte, aber etwas signalisierte mir, dass ich dieses Gespräch an dieser Stelle zu beenden hatte. Harry würde mich ohnehin in der Dunkelheit lassen. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um mit ihm darüber zu sprechen.

Ich löste meine Hand aus seiner, um ihm fürsorglich über den Arm streichen zu können. „Der Tag war lang", sagte ich, während ich mich abwandte und mich weiter in das Innere der Wohnung fortbewegte. Ich führte ihn in das Schlafzimmer. „Du kannst hier schlafen."

Harrys Pupillen bewegten sich rasend schnell, als er den Raum in Augenschein nahm, der sich nun vor uns erstrecke. All die Ernsthaftigkeit verschwand schlagartig aus seiner Mimik. „ Wow. Das Bett ist beinahe so groß wie meine ganze Isolationszelle." Geistig abwesend drückte er mit seinen Fingern gegen die Matratze. „Die ist sogar weich!" Mit leuchtenden Kinderaugen drehe er sich wieder um. „Das worauf wir im Luminal schlafen mussten, war so weich wie der Boden auf dem du stehst" fügte er leise hinzu.

Ich wollte dem Lockenkopf ein Lächeln schenken, aber ich konnte nicht. Das Entsetzen, welches sich soeben in meinen Knochen ausbreitete, lähmte mich. Andere in Harrys Alter freuten sich über einen teures Steak mit perfektem Garpunkt, ein neues Auto oder einen Wellnessurlaub in einem Luxusresort. Und Harry...? Der freute sich darüber, nach all der Zeit endlich mal wieder in einem richtigen Bett schlafen zu dürfen.

Die tiefe Stimme meines Gegenübers holte mich von meinen Gedanken wieder zurück in die reale Welt. „Das ist jetzt aber nicht einer dieser Momente, in denen du mir heldenhaft dein Bett überlässt indem du selbst auf der Couch schläfst, oder?"

„Ähm..." setzte ich an, doch seine Worte überraschten mich so sehr, dass ich meinen Satz einfach nicht zu Ende planen konnte.

„Nur weil ich weggesperrt war, heißt das nicht, dass ich nicht auch solche Teenie Filme kenne". Ein amüsiertes Lächeln breitete sich auf den Lippen des Grünäugigen aus. Harry lehnte seinen Oberkörper nach vorne, um mir in mein Ohr flüstern zu können. „Diese Filme sind voll von Klischees. Klischees, denen ich nicht entspreche. Also warum an deren Regeln festhalten?"

Als Harry sich wieder aufrecht vor mich hinstelle, verlor ich mich sofort wieder in seinen Augen. Kristallklar funkelten sie mich an. Ich öffnete meinen Mund, aber kein Ton verließ meine Lippen.

„Verzeih, habe ich dich etwa überrumpelt?" Seine Augen lösten sich aus meinen und wanderten langsam meinen Körper hinab.

„Nein, gar nicht", log ich und versuchte dabei genauso lasziv die Konturen seines Körpers mit meinen Augen zu umrunden, wie er es bei mir auch tat.

Harry legte seine Hand in meinen Nacken und zog mich ein Stück näher an sich heran. Er bog seinen Kopf zu mir hinab, als wollte er mich küssen. Aber er tat es nicht. Mit gefährlichem Gesichtsausdruck fragte er mich „also...willst du deine Nacht mit einem Ex-Häftling verbringen?"

Schachmatt || LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt