Mit einem schmerzerfüllten Brummen richtete Harry sich auf. „Etwas zu heiß für meinen Geschmack. Na Sarge, wie geht es Ihnen heute? Wie war Ihr Tag bisher?"
„Oh mein Gott Harry, was ist passiert?" Ich stürzte auf den kleinen Tisch zu und nahm sein Gesicht in Augenschein.
Sein linkes Auge war vollständig zugeschwollen. Die Lider schimmerten dunkelrot und Tränenflüssigkeit sickerte durch seine Wimpern hindurch. Eine bläulich-grüne Verfärbung hatte sich über seinen rechten Wangenknochen gelegt. Die Unterlippe war an mehreren Stellen aufgeplatzt und frisches Blut haftete daran. Die Wunde dürfte ihm durchs sprechen immer wieder aufgerissen sein.
Die Hämatome an Harrys Hals und Schulterpartie stammten nicht von zu heißen Küssen, sondern sahen bei genauerem hinsehen eher nach Würgemalen aus. Eine Platzwunde an der Augenbraue wurde nur notdürftig verarztet.
Ich konnte seinen restlichen Oberkörper nicht begutachten, da sein T-Shirt meinem Blick den Weg versperrte. Und obwohl er so zugerichtet war, trug er ein sanftes Lächeln auf den Lippen. Ich sah ihn fragend an. „Sie haben mich gerade Harry genannt" schmunzelte er vor sich hin.
Ich ignorierte seine Feststellung. „Wie konnte das passieren? Kamen Sie etwa mit anderen Häftlingen in Berührung?"
Harry erhob sich, die Zähne fest zusammenbeißend. Intuitiv streckte ich meine Hand nach ihm aus, für den Fall, dass ich ihn notgedrungen stützen musste. „Oh zu früh gefreut" nuschelte er leise. „Ich würde sagen ein klassisches zur falschen Zeit, am falschen Ort", brachte Harry mühselig heraus.
Ich beäugte ihn kritisch, während er versuchte sich an der Lehne des Stuhls abzustützen. "Sind Sie nicht alle einzeln inhaftiert?"
„Doch, aber es gibt einen Gemeinschaftsraum. In den werden wir einmal alle zwei Wochen für ein paar Stunden hingesteckt. Damit wir unsere sozialen Kompetenzen nicht verlieren." Harry verdrehte die Augen... Naja das eine Auge.
„Haben Sie auch zugeschlagen?"
Er schnaubte verächtlich. "Das hier ist das Luminal. Wenn ich mich nicht gewehrt hätte, hätten Sie heute keinen mehr für die Befragung. Also ja ich habe quasi auch hingeschlagen."
Ich wollte nachfragen, was dieses „quasi" zu bedeuten hatte, doch stattdessen sah ich Harry dabei zu, wie er sich mit schmerzverzerrtem Blick auf den Tisch legte. Er schien die gesamte Zeit über die Luft angehalten zu haben, denn sobald er lag, entließ er kraftvoll die Luft aus seiner Lunge. Unter dieser Bewegung konnte man Harrys Brustkorb deutlich knirschen hören. Da mussten wohl einige Rippen gebrochen oder zumindest angeknackst sein.
Sein Kopf lag nun direkt unter meinem Kinn. Ich schob meinen Stuhl zurück. Sein Oberteil war leicht nach oben gerutscht. Es offenbarte weitere Tattoos und leider auch zusätzliche Verletzungen. Ich schüttelte meinen Kopf, als ich merkte, dass ich schon zu lange auf Harrys entblößtes Becken sah.
„Was war der Grund für die Schlägerei?"
Harry schenkte mir ein sarkastisches Lachen. Ich konnte keinerlei Emotionen aus seinen Gesichtszügen herauslesen. Seine Verletzungen hinderten mich daran „Okay, ich liege halbwegs bequem. Fangen wir an" presste er durch zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Ich denke, wir sollten die Befragung verschieben" sagte ich, ihn weiter musternd.
Harry stöhnte genervt auf. „Das sagen Sie nachdem ich mich so mühsam hingelegt habe?" Es entging mir nicht, dass er heute feindseliger gestimmt war, als sonst.
„Tut mir leid, aber ich darf Sie nur befragen, wenn Sie als zurechnungsfähig gelten."
„Ich weiß. Ich war extra auf der Krankenstation." Harry versuchte seinen Oberkörper anzuheben, dabei zog er scharf die Luft ein und ein erstickter Schrei verließ seine Kehle. „Soll ich?" fragte ich zögernd. Ein dumpfes Geräusch ertönte, als er seinen Kopf wieder auf die Tischplatte sinken ließ. Er nickte. Vorsichtig griff ich in seine Hosentasche, die er vorhin selbst zu erreichen versuchte und zog das Stück Papier heraus.
Die Textur des Krankenblattes war so weich wie Klopapier. Schnell überflog ich es. Ich verzog mein Gesicht, als ich mir die lange Liste an Verletzungen durchlas, die Harry zugefügt wurden. Im letzten Drittel des Dokuments entdeckte ich, was ich suchte. Es wurde ein Haken bei „ausreichend zurechnungsfähig" gesetzt. Ich wollte es gerade wieder zusammenfalten und zurück an Harry reichen, als mir etwas ins Auge sprang. Es wurde eine Randnotiz hinzugefügt. „Sie sind Asthmatiker?". Ich sah von dem bedruckten Stück Papier hoch. Harry hielt seine Augen geschlossen.
„Mhm" brummte er leicht. „Problem damit?" Ich faltete das Dokument, behielt es aber weiterhin in Händen. "Na los, geben Sie schon her." Er streckte seinen Arm über seinen Kopf und somit in meine Richtung.
Ich sah kurz verwirrt das Krankenblatt an, ehe ich es ihm zögernd reichen wollte. "Nicht das" durchschnitt Harrys Stimme die Luft. Ich hatte es noch nicht mal ansatzweise in seine Richtung bewegt. "Die Figuren."
"Woher wissen Sie, dass ich sie mit habe?" Harry schenkte mir ein verzerrtes Lächeln als Antwort. Langsam begann ich es zu realisieren. "Sie blöder Arsch", rief ich aus. "Haben Sie mich allen ernstes manipuliert?" Er blieb stumm. Genervt ließ ich meine Zunge schnalzen.
Ich biss meine Zähne zusammen und legte ihm schlussendlich die Plastiktüten mit den Schachfiguren in die geöffnete Hand. Was blieb mir auch anders über. Er beäugte sie nur kurz, ehe er sie wieder an mich zurückgab.
„Das ist alles? Sie wollten Sie unbedingt haben und dann sehen Sie sie nicht mal richtig an?" Wut stieg langsam, aber sicher in mir hoch.
„Wurden die Wohnungen der Opfer begutachtet?"
Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen, um ruhig zu bleiben. „Nur flüchtig. Aber es gab keinen Hinweis auf einen Einbruch."
„Wurden dort Schachspiele entdeckt?" Sein Blick war an die Decke gerichtet. Ich antwortete nicht, da ich zuerst verstehen musste, wie er darauf kam. Doch Harry gab mir nicht viel Zeit. Er sprach einfach weiter. „Sehen Sie sich die Figuren genau an." Er richtete seinen benommen wirkenden Blick nun direkt zu mir. „Der Turm hat einen minimalen Gelbstich und an der Unterseite geringe Abnutzungen. Das Pferd hingegen ist noch reinweiß und fast neu. Ich will damit sagen, dass diese Figuren..."
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Schachmatt || Larry
FanfictionWas passiert, wenn der gefährlichste Insasse eines Hochsicherheitstrakts, zu deinem größten Vertrauten wird? Du fühlst dich genau bei der Person am wohlsten, bei der du es am wenigsten tun solltest. Larry Stylinson Cover by SPACE_BLAKK