{44. Kapitel}

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»Resozialisierung.«

Dieses Wort war so unscheinbar und dennoch schaffte es eine Woge an Hoffnung in mir auszulösen.

Doch Niall löschte die kleine Flamme der Hoffnung, die meinen Geist am Leben hielt, sofort wieder aus.

Seine Hand, die bereits auf der Türklinke ruhte, wurde zurückgezogen. „Weißt du, Louis, wir haben dir nicht alles erzählt." Er ließ seine Hand wieder sinken und sah mich an. „Vor ungefähr 4 Jahren wurde schon einmal der Versuch unternommen Harry zu resozialisieren. Aber wir sind kläglich daran gescheitert. Er kam in ein eigenes Rehabilitationszentrum. Doch es durften für ihn einfach zu viele fremde Menschen auf einmal gewesen sein."

Angestrengt versuchte ich seinen Worten zu folgen. „Harry fiel in einen Schockzustand, war nicht mehr ansprechbar." Nialls Gesicht machte den Anschein, als würden alle Eindrücke und Erinnerungen von damals mit einem Schlag wiederkehren. „Über mehrere Wochen hinweg sprach er kein einziges Wort. Er litt unter Halluzinationen und paranoidem Verfolgungswahn. Er aß nicht und verlor drastisch an Gewicht." Nialls Blick lag schon lange nicht mehr auf mir, sondern war in die Ferne geglitten.

„Wir mussten ihn zu mehrt zurück in seine Isolationszelle bringen. Es dauerte unzählige Wochen bis sich Harrys Zustand wieder einigermaßen normalisierte." Geistig abwesend fuhr er sich durch sein blondes Haar. „Mit diesem Tag erkannten wir, dass die Schäden, die Harry durch die Isolation und den psychischen Stress davon getragen hatte, einfach zu schwerwiegend waren, um nochmals einen Rehabliliationsversuch zu unternehmen." Das Gesicht des sonst so fröhlichen Wärters wirkte noch nie so ernst und leblos zu gleich, wie in diesem Moment.

Sein Blick lag nach wie vor weit in der Fern und schien nicht mehr zum Greifen nahe. „Ich weiß nicht was er dir erzählt hat, aber Harry ist nicht hier geblieben, weil das Luminal zu seinem Zuhause geworden war. Sondern er ist hier geblieben, weil die Welt da draußen ihm mittlerweile einfach fremd war. Er hatte damit abgeschlossen."

Die gesamte Zeit über hüllte ich mich in Schweigen, aber nicht weil ich nichts zu sagen hatte, sondern weil ich einfach nicht konnte. Es war ein Alptraum der einfach kein Ende nahm. Warum wachte ich nicht endlich auf?

„Nicht nur wir haben entschieden, Harry im Luminal zu behalten... sondern auch er. Er wollte nie wieder über Resozialisierung sprechen, geschweige denn davon, überhaupt das Wort zu hören. Harry blieb standhaft... bis zu dem Tag, als er das erste Mal auf dich traf, Louis."

Niall sah mir nun wieder direkt in die Augen und auch ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. „Vielleicht gibt es da draußen doch noch irgendwo einen Platz für mich, waren Harrys erste Worte an mich, als du die Anstalt verlassen hattest." Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen, während meine Augen wieder glasiger wurden und sich erneut erste Tränen vor mein Sichtfeld schoben.

Niall atmete tief durch. „Es ist wahr, dass Harry aufgeflogen ist und es ist auch wahr, dass er nach einer Auseinandersetzung mit mehreren Häftlingen nicht mehr in seine Isolationszelle zurückgekehrt ist, aber..." setzte er an, doch ein Blick auf seine Uhr unterbrach ihn. Er ließ mich seinen Satz nicht zu Ende hören, stattdessen drehte er sich einfach um und ging.

„Warte. Was? Niall, komm zurück. Lass mich nicht alleine!"

Doch dieser wandte sich lediglich zu mir um, um mir sein typisches Lächeln zu schenken. „Ein anderer Wärter wird dich zurück ins Foyer bringen." Seine Stimme wurde mit jedem weiteren Schritt, den er sich entfernte, leiser. „Einer der sich in diesem Verlies hier unten ohnehin viel besser auskennt, als ich das tue. Oh und er wartet schon hinter dieser Tür auf dich!" Und damit war Niall aus meiner akustischen Reichweite. Seine Stimme verschwand zusammen mit seinen Schritten.

Ich gab meinen Körper erst gar nicht die Zeit, gebührend drauf zu reagieren, stattdessen drückte ich in Windeseile die Klinke herunter und stemmte mein Gewicht dagegen, sodass die Tür aufflog. Meine Augen hatten sich so sehr an das düstere Licht zuvor gewöhnt, dass ich jetzt Schwierigkeiten hatte, etwas durch die Tageslicht simulierenden Lampen zu erkennen.

Ich kniff meine Augenlider zusammen, ehe ich sie gleich drauf wieder unnatürlich weit aufzuriss. Und das nur, um erkennen zu können, dass ich mich alleine in einem sonst leeren Raum befand.

Meine Schuhe quietschen über den kaum beschrittenen Bodenbelag, als ich mich einmal um meine eigene Achse drehte.

Niemand trat in Erscheinung.

Enttäuscht und von meiner eigenen Naivität gedemütigt ließ ich mich auf den kalten Boden sinken. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen, als ich plötzlich eine Tür in ihr Schloss fallen hörte. Das Geräusch kam vom anderen Ende des Raumes. Schritte eilten auf mich zu. „Wieso hast du mich einfach alleine gelassen?" entgegnete ich Niall trotzig.

Doch nicht Nialls, sondern eine viel tiefere melodische Stimme vertonte eine Antwort. „Ich würde dich niemals alleine lassen." Große Hände griffen behutsam nach meinen Armen und zogen mich vorsichtig zurück auf meine Beine. Vollkommen perplex hob ich meinen Kopf an.

Mein Blick versank in kristallklarem Smaragdgrün.

Schachmatt || LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt