{57. Kapitel}

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Doms Worte nahmen mir die Luft zum Atmen. In meinem Kopf wollte kein einziger Gedanke Form annehmen. Meine Ansichten über die Erlebnisse der vergangen Tage wurden zerrissen. Sie begannen zu zerbröckeln, wie morsches Holz.

„Louis?" Ich fühlte, wie Dom an meinem Arm rüttelte. Erst als bei meinem nächsten Atemzug frischer Sauerstoff in meine Lunge strömte, klärte sich meine Benommenheit auf. Ich sah hoch in Doms Augen. Sie waren grün. So grün wie Harrys.

Harry.

Ich musste zu ihm. Ich musste ihn warnen.

Meine zuvor schlendernden Schritte beschleunigten sich ohne mein Zutun. Der Bunthaarige kam mir hinterher, blieb jedoch zurück, als ich mein Tempo immer weiter steigerte. Irgendwann lief ich nicht mehr, ich sprintete. Die Bäume zogen an mir vorüber. Nicht lange und Beton ersetzte die Natur. Ich hatte den Park verlassen.

Geräusche blendete ich vollkommen aus. Ich hörte das Hupen der Autos nicht, als ich unachtsam über die Straße lief. Die warme Sommerluft lies meinen Körper sich schneller erhitzen. Ich fühlte ein aufkommendes Stechen in meiner Seite. Mit beiden Händen drückte ich dagegen. Meine Schritte wurden langsamer. Meine Atmung ging stoßweise. Nicht selbst gefahren zu sein, bereute ich noch nie so sehr, wie in diesen Sekunden.

Die Sonne war gerade dabei unterzugehen. Und dennoch waren noch unzählige Menschen unterwegs. Ich wollte gerade in die nächste Straße einbiegen, als mich etwas zum Stoppen brachte.

Eine Gestalt in der Ferne.

Unauffällig bewegte sich die Gestalt zwischen den anderen noch herumirrenden Menschen umher. Sie fiel kaum auf. Wie ein kleiner Pinselstrich in einem riesigen Gemälde.

Ich musste meine Augenlider zusammenkneifen. Die Distanz war zu groß, um auch nur ansatzweise scharf sehen zu können. Und dennoch war ich mir sicher, die Gestalt ähnelte Harry.

Warum war er hier? Was machte er zu dieser Zeit in diesem Stadtviertel? Meine Gedanken führten Krieg in meinem Kopf. Es war ein Kampf von Licht und Schatten. Als spielte mein innerer Engel Schach gegen den Teufel.

Er vertritt sich nur die Beine.

- Nein. Dafür ist er zu weit von der Wohnung weg. Sieh nach wohin er will.

Damit würdest du eine Grenze überschreiten. Harry ist ein freier Mann.

- Du bist ein Cop. Wo bleibt deine Neugier?

Neugier ist der Katze Tod.

- Ist jemand ohne Neugier nicht ohnehin längst tot?

Der Teufel setzte meinen Engel schachmatt. Und so nahmen meine Beine ihre Arbeit wieder auf.

Harrys Schritte waren nahezu doppelt so lang wie meine. Nur mit Mühe schaffte ich es halbwegs an ihm dran zu bleiben.

„Ey pass doch auf", zischte mich ein halbstarker Typ von der Seite an, als ich ihn versehentlich rempelte. Ich drehte mich zwar nach ihm um, versäumte es jedoch mich zu entschuldigen, stattdessen hastete ich weiter durch die Menschenmenge. Ich duckte mich bei den Leuten vorbei und drückte mich an den Wänden entlang. Harry sah sich auch nicht nur einmal um. Er schien sich seines Zieles sicher. Im Gegensatz zu mir. Ich hatte keine Ahnung wohin die Reise ging.

Wir verließen die belebte Hauptstraße und bewegten uns nun auf den Seitengassen fort. Schlagartig wurde die Anzahl an Menschen, die uns umgaben, weniger. Ich musste den Abstand zwischen uns größer werden lassen oder Harry wurde mitbekommen, dass ich ihm gefolgt war. Ich blieb also vor der nächsten Kreuzung an einer Gebäudekante stehen und zählte in meinem Kopf bis zehn. Dann bog ich meinen Oberkörper vor und sah nach links. Sackgasse.

Schachmatt || LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt