{51. Kapitel}

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„Was siehst du mich so an?" fragte mich Harry schmunzelnd, als wir das Haus seiner Mutter wieder verlassen hatten.

Ich sprach meine Gedanken ehrlich und laut aus. „Ich habe Schuldgefühlte. Ich war mir so sicher, dass das Ganze zu viel für dich war und dass du einfach abhauen würdest. Ich habe an dir gezweifelt."

Hörbar atmete Harry aus. „Deine Wahrnehmung hat dich nicht betrogen. Ich hatte wirklich vor abzuhauen." Er fuhr sich mehrmals durch sein Haar, aber nicht um seine Locken zu bändigen. Es war eine Geste des Zwangs, welchen der enorme Stress zuvor ausgelöst hatte. Harry schien es kaschieren zu wollen, indem er seine Hand schnell wieder nach unten riss und in seiner Hosentasche vergrub. Er räusperte sich. „Damals wusste ich vielleicht nicht, welchen Schaden und welches Leid ich verursachte, aber dennoch war nun mal ich dafür verantwortlich. Du hattest Recht. Ich bin nicht mehr im Luminal, ich trage Verantwortung."

„Du hast das heute wirklich toll gemacht. Ich bin stolz auf dich." Ich konnte diese Worte kaum ehrlicher meinen, als in dieser Sekunde. „Ich weiß, so hast du dir das alles nicht vorgestellt. Ich gebe mir die Schuld dafür. Das wäre zu vermeiden gewesen. Ich hätte dich nicht direkt an deinem zweiten Tag in die Öffentlichkeit schleifen dürfen." Ich ließ mein Haupt sinken und musterte den Gehweg.

Im Augenwinkel sah ich, dass Harry stehen geblieben war. Als ich aufsah, blickte ich direkt in seine grünen Augen. „Du warst die gesamte Zeit über bei mir. Du hast mir deine Stimme geliehen, als meine verstummte. Hast meine Geschichte mit deinen Worten dargelegt, als ich es nicht konnte." Er stoppte seinen Redefluss. „Verstehst du was ich dir damit sagen will?"

Unfähig, auch nur einen Laut von mir zu geben, schüttelte ich meinen Kopf.

Harry trat auf mich zu und nahm mein Gesicht in seine Hände. „Ich hätte es nur vor mir hergeschoben. Und irgendwann hätte man mir die Möglichkeit für immer genommen, mich bei ihr zu melden. Und das wiederum hätte ich ewig bereut. Doch durch deinen Zuspruch und deine Geduld für mich, hast du diese Reue in mir erst gar nicht entstehen lassen." Harry strich mit seinem Daumen über meine Wange. „Du, Louis, bist der Grund, warum ich mir dieses Treffen nicht besser hätte vorstellen können." Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, welches seine Grübchen zum Vorschein kommen ließ. „Ich weiß, zwischenmenschlich muss ich noch einiges lernen, aber dennoch hoffe ich, meine Worte konnten zum Ausdruck bringen, wie sehr ich dir danke..." Nah bewegte er sein Gesicht an meines. „... und wie viel du mir bedeutest." Seine Lippen küssten mich zärtlich. Es war einer dieser Küsse, die so unschuldig waren. Voller Gefühl und Zuneigung. Ein Kuss, der einem wahrlich den Atem rauben konnten.

Seit diesem Gespräch waren nun mehrere Wochen vergangen. Wochen, in denen Harry stätig über sich hinaus wuchs. Er hatte immer noch mit Problemen des Alltags zu kämpfen. So verging nahezu kein Tag, an dem er sich kein Duell mit dem Herd lieferte. Aus welchem das Gerät ohne Knöpfe als klarer Sieger und der Lockenkopf als Verlierer hervorging. Aber dennoch gab er sein bestes, seine Vergangenheit ruhen zu lassen und nach vorne zu blicken.

Harry schien weit entfernt von irgendwelchen Entzugserscheinungen oder paranoiden Wahnvorstellungen. Dennoch entging es mir nicht, dass Harry, unter Menschen gehen, zu vermeiden schien. Er isolierte sich auf seine eigene Art und Weise. Er las Bücher, studierte Dokumentation, lernte jonglieren oder erfand sich in der Küche neu.

Ein Teil von mir war froh. So wusste ich noch immer nicht, ob Harry wirklich schon bereit war auf Londons, viel besuchten und lauten, Straßen zu wandeln. Man durfte nicht außer Acht lassen, dass Harry dazu ausgebildet wurde, Gefahren zu erkennen und auszuschalten. Aber nicht alles was in einer Hochsicherheitsanstalt als Gefahr galt, war dies auch im echten Leben. Ein Schussgeräusch musste nicht automatisch aus einer Pistole stammen, es konnte auch das Fehlzünden eines Motors bedeuten. Ein Schrei gehörte nicht immer zu einer Person in Nöten, sondern auch mal zu einem herumtollenden Kind. Rauch war nicht gleich Feuer. Eile war nicht gleich Panik.

Ein anderer Teil von mir war besorgt. Londons Delinquente wollten keine Auszeit nehmen, um mir etwas Zeit mit Harry zu ermöglich. Weshalb ich, schneller als mir lieb war, wieder in aktuelle Fälle versank. Liam durfte das Krankenhaus nicht nur verlassen, sondern auch wieder arbeiten. Ich war froh, ihn wieder an meiner Seite zu wissen. Auch wenn das nur auf den Schreibtisch bezogen war. Denn Außendienst würde für Liam auch in nächster Zeit noch Tabuzone bedeuten. Aufgrund dieser Umstände blieb viel an mir hängen. Und in der Zeit, in der ich meinem Job nachging, blieb Harry alleine.

Ich hatte ihm ein Smartphone besorgt, damit er auch weiterhin Kontakt zu Niall, Zayn und Noam halten konnte. Ich hatte die Hoffnung, Harry würde sich dadurch weniger alleine gelassen fühlen.

Die Realität sah jedoch anders aus. Kaum, wenn nicht sogar nie, fand das Telefon wirklich in Harrys Nähe. Aufgeladen wurde es auch nur dann, wenn ich mich darum kümmerte, sonst lag es in irgendeiner Ecke herum. Ich nahm es dem Lockenkopf nicht übel. Er argumentierte damit, dass er es nicht brauchen würde. Es sei Verschwendung, da er fast niemanden in seinem Leben hatte, den er anrufen konnte oder der ihn anrufen würde. Ich ließ ihm seinen Willen.

Doch als ich heute, früher als gewohnt, vom Revier zurückkam, wünschte ich mir, ich hätte darauf bestanden, dass der Lockenkopf sein Handy immer bei sich zu tragen hatte.

Denn Harry war nirgends aufzufinden.

Schachmatt || LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt