"Ich will damit sagen, dass diese Figuren..."
„Nicht von ein und demselben Spiel stammen" sprach ich leise vor mich hin und beendete so Harrys angefangenen Satz.
„Richtig" antwortete er.
Ich zog die Luft scharf ein. „Faszinierend." Ich sprach meine Gedanken laut aus, ohne darüber nachzudenken. „Das war mir vollkommen entgangen." Meine beginnende Wut hatte sich verflüchtig. Mein Verstand arbeitete wieder auf Hochtouren.
„Sie haben ja auch viele Dinge um die Ohren, da können Sie schwer an alles denken", hörte ich Harrys Stimme am Rande.
„Denken Sie, der Mörder kannte seine Opfer und hat vor dem Mord die jeweilige Figur entwendet?" Ich sprach weniger zu Harry, sondern eher zu mir selbst. Mein Kopf erstellte ein Profil des Täters. Er musste Kraft haben und besaß medizinisches Wissen. Er wohnte womöglich in der Nähe seiner Opfer. Sie waren vielleicht Teil seines sozialen Umfeldes. Die Wohnungen wiesen keinen Hinweise darauf, dass eingebrochen worden war. Also hatte er es geschafft, ihr Vertrauen zu erlangen? Waren seine Opfer seine Freunde? Oder gelangte er nur durch einen Vorwand in die Wohnung? Aber Irgendwoher musste er wissen, dass sie ein Schachspiel besaßen. Er entwendet eine Figur und deponiert sie nach dem Mord in der Leiche. Aber warum?
„Denkbar wäre es." Ein Schmatzgeräuscht ließ meinen Kopf zu Harry herumfahren.
„Du blutest." Schlagartig war ich aus meinen Gedanken zurück. Ich erhob mich aus dem Stuhl und wollte dem Wärter ein Zeichen geben, doch dieser beachtete mich kein Stück. Ich hämmerte gegen die Glasscheibe.
„Derek!", hörte ich es plötzlich laut und kraftvoll hinter mir Rufen, bevor es sich in ein schmerzverzerrtes Brummen verwandelte. Als ich mich zurück zu dem Wärter drehte, hatte dieser mich bereits in den Fokus genommen. Ich deutete auf den Verbandskasten hinter ihm. Er verstand sofort. Entriegelte die Tür und reichte mir das Erste Hilfe Set. Ich nahm ein Wattebausch heraus und drückte es vorsichtig auf Harrys blutende Lippe. Ich konnte seinen Blick deutlich auf mir fühlen.
Ich gab den Verbandskasten an Derek zurück. Auf seine sich entfernende Schritte, folgte auch schon das Alarmsignal der Tür.
„Ich breche die Befragung jetzt hier ab. Sie sollten sich ausruhen. Wenn Sie noch mehr sprechen, fallen Sie nicht mehr durch Ihre schönen Augen auf, sondern durch ein Chelsea Smile." Ich stoppte kurz in meiner Bewegung. Was hatte ich da gerade gesagt? Harry wollte zu einem Lächeln ansetzten, ich hinderte ihn jedoch daran, indem ich mit dem Wattebausch wieder auf seiner Lippe herumzudrücken begann.
„Aber Sie haben mir noch nicht gesagt wie es Ihnen geht und ich durfte noch gar nicht meine Frage stellen" nuschelte er protestierend.
„Ich weiß nicht. Sie sehen wirklich schlimm aus." Ich sah von seiner Lippe auf in seine Augen, welche dabei waren mich zu durchbohren.
„Ach kommen Sie. Ich hatte schon so einen schlechten Tag."
Es war zwecklos mit jemanden wie Harry zu diskutieren. Er würde ohnehin bekommen was er will. Mit einer Handbewegung deutete ich ihm, dass er mir nun seine Frage stellen konnte.
Sie ließ auch nicht lange auf sich warten. „Hatten Sie schon mal etwas mit einem Mann?"
Mich schockte die Frage kein bisschen. Im Gegenteil, ich hatte schon damit gerechnet. Weshalb ich auch schon meine Antwort parat hatte. „Einmal im College. Es war eine sehr betrinkenswerte Nacht und Flaschendrehen ist womöglich etwas aus dem Ruder gelaufen. Die meisten Details sind mir entfallen."
Harry hob seine Augenbraue an. „Eine sehr betrinkenswerte Nacht? Sie klingen als wären Sie bereits 60, Sarge."
„Wer weiß, vielleicht bin ich das auch."
Sein Blick wanderte an die Decke der Zelle. „Hm nein. Sie sind 29" sagte er.
„W-woher wissen Sie das?"
Harry versuchte mit den Schultern zu zucken, ließ es allerdings bleiben, als er wohl zu viele Schmerzen dabei empfand. „Wusste ich nicht. Ich habe geraten und Sie haben es mir gerade bestätigt." Ich biss mir auf die Zunge, was nicht unbemerkt blieb. „Machen Sie sich nichts daraus, ich wäre selbst auch noch darauf gekommen. In Ihnen ließ man wie in einem offenen Buch."
„Das ist jetzt eine Lüge", protestierte ich. Harry richtete sich mit einem schmerzverzerrten Brummen auf und saß nun direkt vor mir auf dem Tisch. „Ihre Körpergröße stört Sie am meisten an Ihnen. Sie finden sich zu klein und denken Sie wirken dadurch nicht autoritär. Was wiederum Ihre Tattoos erklärt. Damit wollen Sie Ihrem niedlichen Erscheinungsbild entgegen wirken. Sie kaschieren sie zwar mit Ihrer Kleidung, aber dennoch kann man sie erahnen. Und das wissen Sie." Ich öffnete meinen Mund, aber mein Hirn hatte noch keine Information an meine Sprechorgane weitergeleitet. Also schloss ich ihn wieder, ohne etwas gesagt zu haben. „Machen Sie sich nichts daraus. Kleine Männer haben für mich etwas Anziehendes an sich." Er wollte seinen Mund zu einem schiefen Lächeln verziehen, gab es jedoch auf, als ihn die Schwellungen seiner Haut dran zu hindern schienen.
„Sie baggern mich immer noch an und das obwohl Sie wissen, dass ich eine Freundin habe?" meldete ich mich nun auch endlich aus der Starre zurück.
„Klar. Dass Sie bei mir besser aufgehoben sind, als bei Ihrer Freundin wissen wir beide."
Mein Traum der vergangen Nacht rauschte an mir vorbei. Stille entstand, in der keiner etwas sagte.
„Oh es ist etwas vorgefallen. Habe ich Recht?" Ein ersticktes Lachen verließ seine Brust. „Sie hätten die Stille nutzen könne, um mich davon zu überzeugen, wie toll Ihre Freundin nicht ist. Aber das haben Sie nicht." Harry legte seinen Kopf schief. „Und seien wir Mal ehrlich, ich bin ein Luminalhäftling, keiner ist bei mir gut aufgehoben." So viele Gefühle spiegelte seine Miene, aber ich konnte kein einziges zuordnen. Sie rauschten so schnell über sein Gesicht. „Oh was war es? Was läuft schief? Bläst sie nicht gut? Erinnert sie Sie zu sehr an Ihre Mutter?"
Ruckartig stand ich auf. Fing gerade noch den Stuhl, bevor er fallen konnte. „Die Befragung ist beendet."
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Schachmatt || Larry
FanficWas passiert, wenn der gefährlichste Insasse eines Hochsicherheitstrakts, zu deinem größten Vertrauten wird? Du fühlst dich genau bei der Person am wohlsten, bei der du es am wenigsten tun solltest. Larry Stylinson Cover by SPACE_BLAKK