{66. Kapitel}

3.4K 403 87
                                    

Harrys Blick blieb ausdruckslos. Seine Maske fiel in keiner Sekunde. Selbst dann nicht, als Juliet meinen Namen nannte. Immer mehr bekam ich das Gefühl, dass das gar keine Maske war. Sondern, dass sein, von jeglichem Gefühl verlassenes Gesicht, die Wirklichkeit abzeichnete. Nicht er war es, der sich an Erinnerungen festhielt, sondern ich. Es machte den Eindruck als wäre er voran geschritten und ich stehen geblieben. Er vergaß und ich hielt fest.

Harry begann zu sprechen. "Der Sergeant ist sehr professionell und förmlich. Er hielt sich immer an alle Regeln und Vorschriften. Er war schon beinahe penibel, wenn es darum ging." Für einen Bruchteil einer Sekunde huschte ein Lächeln über sein Gesicht, bevor seine Mimik wieder zu marklosem Marmor versteinerte. "Er händigte mir keine Beweismittel aus und genauso wenig ließ er mich in Akten sehen."

Und da passierte es. Harry log. Er log vor Gericht und leistete somit einen Meineid. Er brachte sich in noch größere Schwierigkeiten, um mich zu schützen.

Juliet nickte verstehend. "Sie sind einfach mit ihm mitgegangen. Sie mussten wohl eine sehr enge Bindung zu ihm aufgebaut haben."

Der Pflichtverteidiger sprang auf. "Einspruch! Irrelevant. Das sind reine Unterstellungen, die die Staatsanwältin meinem Mandanten gegenüber äußert."

Der Richter trat in Aktion. "Abgelehnt. Ich finde diese Frage durchaus relevant." Der ältere Herr richtete seinen Blick auf Juliet. "Dennoch muss ich der Verteidigung Recht geben, dass dies eine Unterstellung ist. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass ihre Aufgabe darin besteht, Fragen zu stellen und nicht Mutmaßungen zu verlautbaren."

Juliet ruderte zurück. "Lassen Sie mich das Ganze anders formulieren." Der Richter willigte ein. Sie verkürzte ihren Abstand zu Harry. Eindringlich sah sie ihn an. "Vertrauten Sie dem Sergeant?" Ihre Stimme war in diesem Moment so sanft. Sie schnurrte beinahe. Juliet war sich des Sieges sicher.

Harrys Blick schien das erste Mal in Erinnerungen verloren. Er sprach langsam. Dachte über jedes Wort genauesten nach. "Louis, ist einer dieser Menschen, der einen wieder hoffen lässt. Er lässt einen hoffen, dass alles irgendwann Sinn ergibt und jedes noch so große Leid sich bezahlt macht. Er hat schon so viel Schlechtes gesehen und selbst erlebt und dennoch war er positiver und optimistischer, als jeder andere." Alle starrten Harry wie hypnotisiert an. Mein Herz raste. "Mit jeder Faser meines Körpers wollte ich ihm glauben." Seine Stimme verdunkelte sich. „Aber ich konnte nicht. Er war ein Polizist. Er war alles was ich nicht war. Also nein, nein ich habe ihm nicht vertraut."

Jeder der Anwesend war in Harrys Bann gezogen. Keiner nahm Notiz davon, wie ich scharf die Luft einzog. Aber Sauerstoff blieb meinen Lungen fern.

Log er um mich zu Schützen oder war es sein purer Ernst?

Harry balancierte so gut wie kein Zweiter auf dem schmalen Draht, welcher die Illusion von der Wirklichkeit trennte.

Juliet räusperte sich. Sie war, wie jeder andere, in Harrys Bann gefangen. "Vielen Dank", wisperte sie leise. "Ich würde gerne den nächsten Zeugen aufrufen." Mit einem zarten Lächeln auf den Lippen bedankte Harry sich und stand auf.

Der Richter sah auf seine Uhr. "Beeilen Sie ich mit der Befragung. Wir müssen in wenigen Minuten eine gesetzlich vorgeschriebene Pause einlegen."

Juliet nickte verstehend. Mit ihren nächsten Worten, fand ihre Stimme, zu ihrer gewohnten Kraft zurück. "Die Staatsanwaltschaft ruft Sergeant Louis Tomlinson in den Zeugenstand."

Ich erstarrte als mein Name aufgerufen wurde. Die Panik, die in mir aufkam, verschluckte alle Geräusche. War die Stille überall oder nur in meinem Kopf? Ich hatte das Gefühl, mein Herzschlag würde als Echo durch den Saal wandern und jedem ins Ohr flüstern, wie schuldig ich war. Der Klang meiner eigenen Atemzüge war ohrenbetäubend. Ich lief an den Geschworenen vorbei. Ihre prüfenden Blicke waren wie tausend Nadelstiche.

Schachmatt || LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt