Dies war nicht das erste Mal, dass ich vor Gericht auszusagen hatte. Es war für mich zu einer gewöhnlichen Tätigkeit geworden, welche meine Job eben so mit sich brachte. Und dennoch war heute alles anders als sonst.
Fälle des Luminals unterlagen strengster Geheimhaltung. Im Gerichtsaal wurden nur jene Menschen geduldet, welche auch für den Verlauf der Verhandlung von Bedeutung waren. So auch ich.
Ich atmete ein letztes Mal tief durch, bevor ich den Knoten meiner Krawatte enger zog. In wenigen Augenblicken würde ich, nach mehr als drei Monaten, wieder auf Harry treffen. Und mein Körper schien absolut nicht zu wissen, wie er drauf reagieren sollte. Meine Handflächen waren schweißnass. Mein Herz schlug schwer in meiner Brust und meine Atmung war alles andere als kontrolliert.
Die großen Flügeltüren aus Holz öffneten sich mit einem lauten ankündigenden Knarren, aber niemand, der bereits Anwesenden, drehte sich zu mir um. Jeder schien in die Tiefen seiner Gedankenwelt eingetaucht zu sein, um sich auf das Kommende vorzubereiten.
Zögernd trat ich ein. Ich suchte mir einen freien Sitzplatz direkt am Gang. Mein Blick schweifte über die Menschen. Regungslos, wie Schaufensterpuppen saßen sie da. Ich sah in viele Gesichter, welche mir fremd waren. Mein Blick wanderte weiter. Erstmals konnte ich Personen zuordnen. Ich erkannte Marley, die Leiterin der Anstalt, auch Noam und sogar Zayn und Niall waren hier. In der hintersten Ecke des Gerichtssaals erkannte ich Anne. Ihr Anblick brach mir das Herz. Was diese Frau bereits durchstehen musste, wünschte man wahrlich keinem.
Ich wollte mich erheben, um mich zu ihr zu setzten, da wurde ich von einem Geräusch abgelenkt. Ich fokussierte die Tür, die neben der Geschworenenbank war, auf der nur Männer in schwarzen Anzügen saßen. Die Tür wurde geöffnet.
Ein Mann trat zum Vorschein. Durch seinen strengen Blick wirkte sein sonst so jugendliches Gesicht alt. Er war elegant gekleidet und trug einen Aktenkoffer bei sich. Als der Mann zur Seite trat, fiel mein Blick auf die Person die hinter ihm war.
Die grünen Augen wirkten müde und ausdruckslos. Die Augenringe sprachen Bände. Sein letzter Schlaf musste bereits einige Tage zurück liegen. Das lange lockige Haar wurde ihm aus dem Gesicht gebunden. Er war in einem eleganten Anzug gewandet. Mit einem tiefen Dunkelblau war die Farbe seiner Kleidung leblos gehalten. Auch das darunterliegende schwarze Hemd, welches nur eine Nuance dunkler als das Sakko war, brachte kein Leben in Harrys Erscheinung. Im ersten Augenblick wirkte er blass und mager. Die Haut über den Wangen war eingefallen. Die Wangenknochen traten deutlich hervor. An seinem Hals und den Schlüsselbeinen erkannte man mehrere Verbrennungen, die von Elektroschocker stammten.
Wie viel kann ein einzelner Mensch ertragen?
Die beiden Männer traten durch die Tür. Der Pflichtverteidiger sprach wie wild auf Harry ein, als sie gemeinsam den Gerichtssaal betraten. Der Lockenkopf blieb stehen. Er schickte seinen Blick auf Erkundungstour. Stumm sah er sich an, wer über seine Verhaftung benachrichtigt wurde. Seine Augen wanderten dabei über jede einzelne Person. Kein Gesicht wurde ausgelassen. Doch noch bevor sein Blick mich erreichen konnte, ließ Harry seinen Kopf zu Boden sinken. Erst als er mich visuell passiert hatte, hob er seinen Blick wieder an und setzte die Erkundungstour fort.
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass mich diese Geste der Verachtung nicht schmerzte. Es war wie ein Stich, aus einer eisig kalter Klinge.
Der Verteidiger symbolisierte Harry sich zu setzten, während er selbst noch wenige Worte mit der Staatsanwaltschaft der Gegenpartei wechselte.
Es wurde laut im Saal, als sich alle Anwesenden erhoben. Ein älterer Herr in schwarzer Robe betrat die Räumlichkeiten. In seiner Hand hielt er eine überfüllte Akte. In dem Moment, als der Mann Platz nahm, taten es ihm alle anderen gleich.
"Vielen Dank für Ihr Erscheinen", ertönte seine raue, aber kraftvolle Stimme. "Ich bin Richter Gelliger. Die Situation ist eine etwas andere, als manche von Ihnen es vielleicht bereits kennen mögen. Denn wir verhandeln hier und heute über die weitere Zukunft eines Angestellten der Luminalstrafanstalt." Der Richter drehte sich nun zum Protokollanten, fast so, als würde er das Folgende nur für ihn sagen. "Aus Sicherheitsgründen sind die Geschworenen keine Bürgerlichen wie sonst, sondern zwölf neutrale Richter, welche mir anschließend bei der Urteilsfindung beratend zur Seite stehen werden." Er blickte auf den obersten Zettel der überfüllten Akte. "Der Angeklagte wird von dem Pflichtverteidiger Nicolas Carpenter vertreten. Die Gegenseite wird repräsentiert durch die Staatsanwältin Juliet Haynes."
Mein Kopf schreckte hoch, als ich diesen Namen hörte. Ich blinzelte mehrmals. Ich traute meinen Augen nicht. Doch tatsächlich. Die zierliche Frau in dem figurbetonten Kostüm war meine Ex-Freundin.
War es ein Vorteil?
War es ein Nachteil?
Ich hatte keine Ahnung. Eine Urteilsfindung schien mir unmöglich zu sein.
Harrys Verteidiger ergriff das Wort. "Ich hätte diesbezüglich eine Anmerkung vorzubringen, Euer Ehren."
Der Richter sah auf seine Uhr. "Nach 10 Sekunden die erste Anmerkung. Das ist neuer Rekord, selbst für Sie, Mr. Carpenter. Aber nun gut, sei es drum. Was ist diese Anmerkung?"
"Miss Haynes stand in einer Beziehung zu einem geladenen Zeugen. Sergeant Louis Tomlinson", verlautbarte der Pflichtverteidiger seinen Einwand.
"Ist dem so, Miss Haynes?" Der Richter sah zu Juliet.
Sie nickte. "Ja, doch diese Beziehung wurde schon vor einiger Zeit auf Eis gelegt."
„Nur auf Eis gelegt reicht nicht, fürchte ich."
"Tot und begraben, Euer Ehren", korrigierte Juliet.
Der Richter schien zu überlegen.
DU LIEST GERADE
Schachmatt || Larry
FanfictionWas passiert, wenn der gefährlichste Insasse eines Hochsicherheitstrakts, zu deinem größten Vertrauten wird? Du fühlst dich genau bei der Person am wohlsten, bei der du es am wenigsten tun solltest. Larry Stylinson Cover by SPACE_BLAKK